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RA 01/2016 - Entscheidung des Monats

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48 Strafrecht

48 Strafrecht RA 01/2016 des Patienten erheblich ausgehöhlt werden würde. Anders als die mutmaßliche Einwilligung, setzt die Rechtsfigur der hypothetischen Einwilligung gerade nicht voraus, dass eine Einwilligung nicht bzw. nicht ohne erhebliche Risiken für Leib oder Leben des Patienten eingeholt werden kann. Überspitzt formuliert, könnte der Arzt seinem Patienten daher ohne jegliche Aufklärung jeden lege artis durchgeführten Eingriff im Vertrauen darauf aufzwingen, dass die medizinische Indikation und die sachkundige Ausübung des Eingriffs beim Richter zumindest hinreichende Zweifel auslösen werden, dass sich der Patient bei korrekter Information dem ärztlichen Votum angeschlossen hätte. Die Barriere, die der […] Subsidiaritätsgrundsatz im Fall der mutmaßlichen Einwilligung völlig zu Recht gegen ein Unterlaufen des Selbstbestimmungsrechts errichtet hat, würde damit gänzlich wieder eingerissen. Keine Vergleichbarkeit der hypothetischen Einwilligung mit anderen Rechtfertigungsgründen Keine Vergleichbarkeit der hypothetischen Einwilligung mit pflichtgemäßem Alternativverhalten Schließlich überzeugt die Annahme der hypothetischen Einwilligung als Rechtfertigungsgrund auch in dogmatischer Hinsicht nicht. Die Gründe, die das (vorläufige) Unwerturteil der Tatbestandsmäßigkeit in Rechtfertigungssituationen revidieren, liegen bei der hypothetischen Einwilligung gerade nicht vor: Weder stellt sich die hypothetische Einwilligung als Akt der Selbstbestimmung dar (als Surrogat der Einwilligung oder mutmaßlichen Einwilligung), noch war der ärztliche Heileingriff in Abwägung kollidierender Interessen zu diesem Zeitpunkt erforderlich (Erforderlichkeitsprinzip als Kennzeichen von Rechtfertigungsgründen). Dass die hypothetische Einwilligung als Rechtfertigungsgrund dementsprechend nicht taugt, wird letztlich auch daran deutlich, dass das in diesem Fall zwangsläufige Entfallen der Rechtswidrigkeit des Eingriffs konsequenter Weise zugleich zur Folge hätte, dass gegen einen auf Basis der hypothetischen Einwilligung handelnden Arzt keine Nothilfe geleistet werden dürfte. […] Soweit in der Literatur statt der Annahme eines Rechtfertigungsgrundes zur dogmatischen Begründung der hypothetischen Einwilligung der Gedanke des rechtmäßigen Alternativverhaltens aus dem Bereich der Zurechnungslehre fruchtbar gemacht wird, mit der Folge dass lediglich das Erfolgsunrecht ausgeschlossen sein soll, die Rechtswidrigkeit als solche hingegen unberührt bleibe, wird dieses untragbare Ergebnis zwar umgangen. Abgesehen davon, dass die übrigen bereits angeführten Einwände gegen die hypothetische Einwilligung durch diesen dogmatischen Kniff nicht ausgeräumt werden, vermag diese Anlehnung an die Zurechnungslehre aber auch sonst nicht zu überzeugen. Der Gedanke des rechtmäßigen Alternativverhaltens lässt sich nicht ohne Brüche von der Tatbestandsebene des Fahrlässigkeitsdelikts auf die Rechtfertigungsebene übertragen. […] Im Falle des Fahrlässigkeitsdelikts entfällt die Zurechnung des tatbestandlichen Erfolgs unter dem Gesichtspunkt des fehlenden Pflichtwidrigkeitszusammenhangs dann, wenn es dem Täter auch im Falle rechtmäßigen Alternativverhaltens faktisch nicht möglich gewesen wäre, den Eintritt des Erfolges zu vermeiden. Der Arzt kann indessen in der Situation der hypothetischen Einwilligung den (Unrechts-)Erfolg faktisch immer vermeiden, indem er den Eingriff, von dem er weiß, dass er weder durch eine tatsächliche noch durch eine mutmaßliche Einwilligung gedeckt ist, schlichtweg unterlässt. Jura Intensiv

RA 01/2016 Strafrecht 49 Nach alledem ist die hypothetische Einwilligung nach hier vertretener Auffassung für den Bereich des Strafrechts abzulehnen. Selbst wenn man entgegen der hier vertretenen Ansicht der hypothetischen Einwilligung im Strafrecht die Anerkennung nicht versagen wollte, wäre im Übrigen im hier zu entscheidenden Fall eine Rechtfertigung (oder ein Ausschluss des Erfolgsunrechts) unter diesem Gesichtspunkt letztlich abzulehnen. Wie bereits angedeutet, setzt die Annahme einer hypothetischen Einwilligung voraus, dass davon auszugehen ist, dass der konkret betroffene Patient - hier die Nebenklägerin - auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung in den medizinisch indizierten und lege artis durchgeführten Eingriff eingewilligt hätte. Davon ist jedoch nach der durchgeführten Beweisaufnahme nicht auszugehen.“ A ist auch nicht durch eine hypothetische Einwilligung gerechtfertigt und hat somit rechtswidrig gehandelt. III. Schuld Eine Strafbarkeit des A gem. § 223 I StGB könnte jedoch entfallen, wenn er sich irrig Umstände vorgestellt hätte, bei deren tatsächlichen Vorliegen er gerechtfertigt wäre (sog. Erlaubnistatbestandsirrtum). „[…] entfällt die Strafbarkeit wegen vorsätzlicher Körperverletzung auch nicht wegen Vorliegens eines Erlaubnistatbestandsirrtums. Ein solcher ist im vorliegenden Fall auf Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht gegeben. Wenn ein Arzt das fehlende Einverständnis des Patienten erkennt, einen körperlichen Eingriff aber gleichwohl für rechtlich zulässig hält, weil ihm dieser aus medizinischer Sicht sinnvoll und geboten erscheint, liegt kein Erlaubnistatbestands- sondern lediglich ein Verbotsirrtum (in Form des Erlaubnisirrtums) gemäß § 17 StGB vor. In diesem Fall missachtet er - wenn auch wohlmeinend - das dem Patienten grundsätzlich zustehende Selbstbestimmungsrecht und irrt damit lediglich über die Grenzen eines Rechtfertigungsgrundes. Exakt so liegt der Fall hier. Der Angeklagte ging […] nicht vom Vorliegen einer tatsächlichen Einwilligung aus. Er nahm auch nicht irrtümlich Tatsachen an, bei deren Vorliegen eine mutmaßliche Einwilligung zu bejahen gewesen wäre. Vielmehr ging der Angeklagte nach seinen eigenen Angaben davon aus, dass der Eingriff aufgrund der medizinischen Indikation zur Vermeidung einer weiteren Operation und der hiermit verbundenen Narkose im Interesse der Nebenklägerin vorgenommen werden dürfe. Dieser Irrtum schließt auch die Schuld des Angeklagten nicht aus. Diese Wirkung kommt dem Verbotsirrtum nur dann zu, wenn er unvermeidbar war. Dies kann im Falle eines Irrtums vorstehend dargestellten Inhalts bei einem Arzt kaum je der Fall sein.“ Jura Intensiv Selbst bei Anerkennung der hypothetischen Einwilligung lägen deren Voraussetzungen nicht vor. BGH, Urteil vom 04.10.1999, 5 StR 712/98, NJW 2000, 885 A hat also trotz seines Irrtums schuldhaft gehandelt. IV. Antrag Der gem. § 230 StGB erforderliche Strafantrag ist gestellt. V. Ergebnis A ist strafbar gem. § 223 I StGB.

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