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RA 01/2017 - Entscheidung des Monats

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32 Öffentliches Recht

32 Öffentliches Recht RA 01/2017 Bei Gesetzesverfassungsbeschwerden ist stets die unmittelbare Betroffenheit genau zu untersuchen. 2. Kernproblem: Subsidiarität bei Verfassungsbeschwerde gegen Parlamentsgesetz Grds. auch in dieser Situation inzidente Kontrolle des Parlamentsgesetzes durch Fachgerichte geboten, damit BVerfG auf einen juristisch aufbereiteten Sachverhalt trifft. Ausn.: Sachverhaltsaufbereitung durch Fachgerichte nicht erforderlich, weil ausschließlich verfassungsrechtliche Fragen zu klären sind. und die damit festgelegten Endtermine für die Nutzung der Kernkraftwerke in ihrem Grundrecht aus Art. 14 I 1 GG verletzt sein. Sie ist darüber hinaus auch selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen. Insbesondere legt das Gesetz selbst die Endtermine fest, bedarf also keiner weiteren Umsetzung durch einen Vollzugsakt. Folglich ist K beschwerdebefugt. VI. Rechtswegerschöpfung/Subsidiariät K muss das in § 90 II BVerfGG verankerte Gebot der Rechtswegerschöpfung und der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde beachtet haben. Ein direkter Rechtsweg gegen ein Parlamentsgesetz wie die 13. AtG-Novelle steht K nicht zur Verfügung. Jedoch gebietet der Grundsatz der Subsidiarität evtl. eine inzidente Überprüfung der 13. AtG-Novelle durch die Fachgerichte. „[210] Eine zumutbare fachgerichtliche Rechtsschutzmöglichkeit gegen die angegriffenen Bestimmungen der 13. AtG-Novelle besteht für die Beschwerdeführerinnen nicht. Die hier allein in Frage kommende Feststellungsklage vor den Verwaltungsgerichten ist im Zusammenhang mit dem Angriff gegen ein Gesetz zwar nicht von vornherein ausgeschlossen, setzt aber zumindest die Feststellungsfähigkeit eines konkreten Rechtsverhältnisses voraus. Ein sinnvoller Feststellungsantrag, der über die den Verwaltungsgerichten in jedem Fall verwehrte Feststellung der Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Normen hinaus ginge und diese gleichwohl zum Gegenstand der Klärung eines konkreten Rechtsverhältnisses machte, ist hier jedoch nicht erkennbar. [211] Eine Verweisung der Beschwerdeführerinnen auf den Weg vor die Fachgerichte wäre im Übrigen, selbst wenn es dafür einen zulässigen Rechtsbehelf gäbe, weder zur Klärung einfachrechtlicher Fragen noch zur Aufbereitung des Tatsachenmaterials für die hier zu entscheidenden Fragen sachlich geboten. In Rede steht allein die verfassungsrechtliche Beurteilung der durch die 13. AtG-Novelle getroffenen Regelungen. Dass diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von schwierigen einfachrechtlichen Vorklärungen abhängt, ist nicht ersichtlich. […]“ Jura Intensiv Folglich steht der Verfassungsbeschwerde der K der Grundsatz der Subsidiarität nicht entgegen, sodass sie zulässig ist. B. Begründetheit der Verfassungsbeschwerde Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, soweit die 13. AtG-Novelle in das Grundrecht der K aus Art. 14 I 1 GG eingreift und dieser Eingriff nicht gerechtfertigt ist. Definition „Eigentum“ Jarass/Pieroth, GG, Art. 14 Rn 7f.; Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn 1000-1005 Differenzierung im Schutzbereich: Werksgrundstücke, Kraftwerksanlagen •• atomrechtliche Genehmigung I. Eingriff in den Schutzbereich Es muss ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 14 I 1 GG vorliegen. Das in sachlicher Hinsicht geschützte Eigentum umfasst die Summe aller vermögenswerten Rechte, die dem Einzelnen durch die Gesetze zugewiesen sind und ihm eine private Nutzungs- und Verfügungsbefugnis einräumen. Hier ist die Eigentumsgarantie in verschiedenen Ausprägungen betroffen: „[228] […] Danach genießen das Eigentum und der Besitz der Beschwerdeführerinnen verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz an den Werksgrundstücken und den Kraftwerksanlagen. Verfassungsrechtlich geschützt ist auch die Nutzbarkeit dieser Betriebsanlagen. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 01/2017 Öffentliches Recht 33 [231] Die atomrechtliche Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer Kernkraftwerksanlage […] selbst sind kein nach Art. 14 GG geschütztes Eigentumsrecht. Solche Genehmigungen zum Betrieb gefährlicher Anlagen sind staatliche Erlaubnisse, mit denen je nach Ausgestaltung repressive oder präventive Verbote mit Erlaubnisvorbehalt überwunden werden. Sie sind damit nicht vergleichbar jenen subjektiven öffentlichen Rechten, denen nach gefestigter verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung Eigentumsschutz zuerkannt wird, weil sie dem Einzelnen eine Rechtsposition verschaffen, welche derjenigen eines Eigentümers entspricht und die so stark ist, dass ihre ersatzlose Entziehung dem rechtsstaatlichen Gehalt des Grundgesetzes widersprechen würde. Solche Rechte sind durch eine zumindest eingeschränkte Verfügungsbefugnis und durch einen in nicht unerheblichem Umfang auf Eigenleistung beruhenden Erwerb gekennzeichnet. Beides fehlt den atomrechtlichen Genehmigungen.“ Durch die mit der 13. AtG-Novelle festgelegten Endtermine für den Kraftwerksbetrieb begrenzt der Gesetzgeber die Nutzbarkeit der Werksgrundstücke und Kraftwerksanlagen der K und greift insoweit in ihr Eigentumsgrundrecht ein. II. Rechtfertigung des Eingriffs Der Eingriff ist gerechtfertigt, soweit er durch die Schranken des Eigentumsgrundrechts gedeckt ist. 1. Festlegung der Schranke Hinsichtlich der Schranke ist der einfache Gesetzesvorbehalt des Art. 14 I 2 GG (Inhalts- und Schrankenbestimmungen) vom qualifizierten Gesetzesvorbehalt des Art. 14 III GG (Enteignung) abzugrenzen. „[245] Die Enteignung ist auf die vollständige oder teilweise Entziehung konkreter subjektiver, durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleisteter Rechtspositionen zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben gerichtet. […]“ Jura Intensiv Fraglich ist, ob eine Enteignung zusätzlich auch noch einen Vorgang der Güterbeschaffung verlangt. Der Wortlaut und die Entstehungsgeschichte des Art. 14 GG geben dazu keine Antwort. „[253] Für die Begrenzung der Enteignung auf Güterbeschaffungsvorgänge spricht insbesondere, dass ein praktischer Bedarf für den bloßen Eigentumsentzug, der nicht zugleich mit einem Übergang des Eigentums auf den Staat oder einen Drittbegünstigten verbunden ist, gerade dann besteht, wenn das Eigentumsrecht im weitesten Sinne bemakelt ist oder in sonstiger Weise als Gemeinwohllast wahrgenommen wird, der Staat also kein originäres Interesse an der Beschaffung des betroffenen Gegenstands aus Gründen des Gemeinwohls hat (so z.B. die Entziehung deliktisch erlangten Eigentums als Nebenfolge einer strafrechtlichen Verurteilung). Es entspricht der grundsätzlichen Sozialpflichtigkeit des Eigentums (Art. 14 Abs. 2 GG), den Eigentumsentzug in solchen Fällen nicht als entschädigungspflichtige Enteignung zu qualifizieren, sondern als Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums, die auch beim Entzug von Eigentum nur ausnahmsweise einen Ausgleich erfordert. 3. Kernproblem: Sind bereits erteilte behördliche Genehmigungen vom Eigentumsschutz erfasst? Nein, da nicht Äquivalent eigener Leistung. Art. 14 I 1 GG schützt nicht die Genehmigung als solche, sondern die daraufhin geschaffenen privaten Vermögenspositionen. Soweit der Schutzbereich eröffnet ist, liegt unproblematisch auch ein Eingriff vor. Deshalb kann der Eingriff mit einem Ergebnissatz festgestellt werden. Definition „Enteignung“ 4. Kernproblem: Setzt eine Enteignung zwingend einen Vorgang der Güterbeschaffung voraus? Vorgang der Güterbeschaffung = Eigentum wird auf den Staat oder einen Dritten übertragen Argument pro Erfordernis der Güterbeschaffung: Hoheitliche Entziehung rechtswidrigen Eigentums ist dann keine entschädigungspflichtige Enteignung. D.h. wer rechtswidrig Eigentum an einer Sache erlangt hat und diese vom Staat weggenommen bekommt, soll nicht auch noch durch eine Entschädigung gem. Art. 14 III 2 GG für sein rechtswidriges Verhalten belohnt werden. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

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