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RA 01/2017 - Entscheidung des Monats

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34 Öffentliches Recht

34 Öffentliches Recht RA 01/2017 Weiteres Argument pro Erfordernis der Güterbeschaffung: Erlaubt klare Abgrenzung des Art. 14 I 2 von Art. 14 III GG. Vgl. Dürig, JZ 1954, 4, 9; Schwarz, DVBl 2014, 133, 138 Das dürfte eine Billigkeitsüberlegung sein, wie sie schon oben formuliert wurde: Wer Eigentum rechtswidrig erlangt hat, soll keine Enteignungsentschädigung erhalten. Zu diesem (sehr speziellen) Problem äußert sich das BVerfG umfassend in Rn 272-280. Angemessenheit [254] Bildet die Güterbeschaffung ein konstitutives Enteignungsmerkmal, hat dies zudem den Vorteil einer klaren Abgrenzung zur Inhalts- und Schrankenbestimmung, […]. So kann zudem die in der Sache unstreitige grundsätzliche Entschädigungslosigkeit von Einziehung, Verfall oder Vernichtung beschlagnahmter Güter nach straf- und polizeirechtlichen Vorschriften konsistent erklärt werden. [256] Der Hinweis, dass es für den Eigentümer gleichgültig sei, ob der Entzug seines Eigentums mit oder ohne anschließende Übertragung auf einen Dritten erfolge, übersieht, dass das Institut der Enteignung vom Grundgesetz nicht nur aus der Sicht des betroffenen Eigentümers, sondern gerade auch mit Blick auf die Allgemeinheit konzipiert ist, die aus Gemeinwohlgründen auf privates Eigentum zugreift, wofür strenge Voraussetzungen und Grenzen bestimmt sind. Insoweit macht es durchaus einen Unterschied, ob Eigentumspositionen etwa wegen sozialer Unverträglichkeit entzogen werden oder deswegen, weil die öffentliche Hand sie auf sich selbst oder Dritte überleiten will, um sie zur Aufgabenwahrnehmung zu nutzen.“ Folglich ist die Enteignung auf Güterbeschaffungsvorgänge beschränkt, die hier nicht vorliegen, da keine Eigentumspositionen der Kraftwerksbetreiber auf den Staat oder einen Dritten übertragen wurden. Somit handelt es sich bei den verfahrensgegenständlichen Bestimmungen der 13. AtG-Novelle um Inhalts- und Schrankenbestimmungen, die sich auf den einfachen Gesetzesvorbehalt des Art. 14 I 2 GG stützen können. 2. Schranken-Schranken a) Formelle Verfassungsmäßigkeit der 13. AtG-Novelle In formeller Hinsicht begegnet die 13. AtG-Novelle keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Insbesondere statuiert das Grundgesetz keine separate Sachaufklärungspflicht, auch wenn es sich, wie K behauptet, um einen gesetzgeberischen Schnellschuss handelt. Das Grundgesetz geht davon aus, dass die öffentliche Diskussion der Gesetzesvorhaben im Bundestag die hinreichende Gewähr für eine ausreichende Sachverhaltsaufklärung bietet. Jura Intensiv b) Materielle Verfassungsmäßigkeit der 13. AtG-Novelle aa) Verhältnismäßigkeit Mit der Beschleunigung des Atomausstiegs durch die 13. AtG-Novelle verfolgt der Gesetzgeber das legitime Ziel, die mit der Kernenergie für Mensch (Art. 2 II 1 GG) und Umwelt (Art. 20a GG) verbundenen Gefahren zu minimieren. Dafür sind die gesetzlichen Bestimmungen geeignet und erforderlich, was insbesondere nicht dadurch infrage gestellt wird, dass im grenznahen Ausland weiterhin Kernkraftwerke betrieben werden, da für die Beurteilung der Geeignetheit und Erforderlichkeit einer gesetzgeberischen Maßnahme primär auf die Zielerreichung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ankommt. Schließlich müsste das gewählte Mittel in einem angemessen Verhältnis zum verfolgten Zweck stehen. Einerseits weist der Eingriff in das Eigentumsgrundrecht der Kraftwerksbetreiber durch die erstmalige Vorgabe fester Endtermine eine ganz erhebliche Intensität auf. Andererseits dienen die Vorschriften der 13. AtG-Novelle dem Schutz besonders hochwertiger Rechtsgüter. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die 13. AtG-Novelle © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 01/2017 Öffentliches Recht 35 durch Vorfälle in Fukushima ausgelöst wurden, die so in Deutschland nicht auftreten können. Zumindest im Bereich einer Hochrisikotechnologie wie der Kernenergie ist es vom politischen Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers gedeckt, auf eine geänderte öffentliche Meinung zu reagieren, auch wenn Ursache für die Meinungsänderung ein Vorfall ist, der sich in Deutschland nicht wiederholen kann. Hinzu kommt, dass die Zuweisung zusätzlicher Reststrommengen durch die 11. AtG-Novelle nicht auf einer Eigenleistung der betroffenen Unternehmen beruhte und auch keine Kompensation für Eigentumsbeeinträchtigungen der Kraftwerksunternehmen, sondern das Ergebnis einer energiepolitischen Entscheidung des Gesetzgebers war. Sie verdienen damit nur einen schwächeren Eigentumsschutz. Anders ist dies jedoch bzgl. der beim Atomausstieg 2002 gewährten Reststrommengen. Sie dienten als Kompensation für den Verlust der bis 2002 bestehenden unbefristeten Nutzungsmöglichkeit der Kernkraftwerke. Das Vertrauen in ihren Bestand ist daher besonders schutzwürdig. Weiterhin kann es zu Ungleichbehandlungen bei den Kraftwerksbetreibern kommen, wenn einige ihre Reststrommengen verbrauchen können und andere nicht, wodurch sich die Eingriffsintensität steigert. Folglich ist die 13. AtG-Novelle insoweit unangemessen, als sie eine vollständige Ausnutzung der mit dem Atomausstieg 2002 gewährten Reststrommengen verhindert. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber mit der durch die 11. AtG-Novelle vorgesehenen Laufzeitverlängerung bei den Kraftwerksbetreibern ein Vertrauen geschaffen, das diese zu Investitionen in ihre Kraftwerke veranlasst haben könnte. Sie mussten nicht damit rechnen, dass der Gesetzgeber diese Laufzeitverlängerung kurz darauf mit der 13. AtG-Novelle wieder rückgängig macht. Folglich ist die 13. AtG-Novelle insoweit unangemessen, als sie keinen Ausgleich für diese sog. frustrierten Investitionen vorsieht. Somit verstößt die 13. AtG-Novelle teilweise gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip. bb) Art. 19 I 1 GG Die 13. AtG-Novelle könnte auch gegen die in Art. 19 I 1 GG normierte Schranke-Schranke des Verbots eines Einzelfallgesetzes verstoßen. Jura Intensiv „[394] […] Das schließt die Regelung eines Einzelfalls nicht aus, wenn der Sachverhalt so beschaffen ist, dass es nur einen Fall dieser Art gibt und die Regelung dieses singulären Sachverhalts von sachlichen Gründen getragen wird. Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG enthält letztlich eine Konkretisierung des allgemeinen Gleichheitssatzes; danach ist es dem Gesetzgeber verboten, aus einer Reihe gleichgelagerter Sachverhalte einen Fall herauszugreifen und zum Gegenstand einer Sonderregel zu machen. [395] Gemessen hieran verstößt § 7 Abs. 1a Satz 1 AtG nicht gegen das Verbot grundrechtseinschränkender Einzelfallgesetze. Zwar ist diese Bestimmung über die verbindlichen Abschalttermine nicht allgemein gefasst; vielmehr erfolgt für jedes in Betrieb befindliche Kernkraftwerk eine eigene Festlegung, so dass eine Regelung für mehrere Einzelfälle vorliegt. Das Gesetz greift damit aber nicht aus einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle einen einzelnen Fall oder eine bestimmte Gruppe heraus, sondern regelt abschließend alle verbleibenden Fälle. Die Willkür einer gesetzlichen Einzelfallregelung, vor der Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG schützen will, ist hier nicht gegeben.“ Differenzierung zwischen den Reststrommengen Sog. frustrierte Investitionen 5. Kernproblem: Unzulässiges Einzelfallgesetz? Art. 19 I 1 GG ist eine spezielle Ausprägung des Art. 3 I GG. Daher ist ein Einzelfallgesetz bei Vorliegen eines sachlichen Grundes zulässig, was aber selten der Fall ist, da Art. 19 I 1 GG ansonsten weitgehend ins Leere laufen würde. Da das AtG für alle Kraftwerke eine Einzelfallregelung trifft, fehlt es an einer Ungleichbehandlung und somit an einem Verstoß gegen Art. 19 I 1 GG. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

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