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RA 07/2020 - Entscheidung des Monats

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Das BVerfG beleuchtet in seinem sehr umfangreichen Urteil die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Fernmeldeaufklärung des Bundesnachrichtendienstes (BND) im Ausland. Die nachfolgende Darstellung der Entscheidung beschränkt sich auf die – vom BVerfG erstmals beantwortete – examensrelevante Kernfrage, ob die deutsche Staatsgewalt auch bei einem Handeln gegenüber Ausländern im Ausland an die Grundrechte des Grundgesetzes gebunden ist.

368 Öffentliches Recht

368 Öffentliches Recht RA 07/2020 Handeln des deutschen Staates über die Staatsgrenzen hinweg zwingt zur räumlichen Ausdehnung des Grundrechtsschutzes. Ausschließlich Bindung deutscher Staatsgewalt • keine unzulässige Bindung anderer Staaten • kein Verstoß gegen das Völkerrecht [96] Mit dieser Verknüpfung der Grundrechte und der Gewährleistung der Menschenrechte wäre ein Verständnis der Grundrechte des Grundgesetzes, das deren Geltung an der Staatsgrenze enden lässt und deutsche Stellen gegenüber Ausländern im Ausland von ihrer Verpflichtung auf die Grund- und Menschenrechte entbindet, nicht vereinbar. Der Anspruch des Grundgesetzes, auf der Grundlage internationaler Konventionen im Zusammenwirken über die Staatsgrenzen hinweg unveräußerliche Rechte einer jeden Person […] sicherzustellen, würde damit konterkariert. Unter den Bedingungen der Internationalisierung politischer Handlungsbedingungen und eines zunehmenden Engagements der Staaten auch jenseits der eigenen Grenzen müsste dies dazu führen, dass der Grundrechtsschutz des Grundgesetzes einem erweiterten Handlungsradius der deutschen Staatsgewalt nicht folgen und – im Gegenteil – im Zusammenwirken der Staaten gegebenenfalls sogar unterlaufen werden könnte. […] [101] Die Bindung an die deutschen Grundrechte begründet nur eine Verantwortlichkeit und Verantwortung deutscher Staatsorgane. Sie flankiert allein autonome politische Entscheidungen der Bundesrepublik Deutschland und begrenzt ausschließlich eigene Handlungsspielräume. Entsprechend wirken die Grundrechte als Abwehrrechte auch im Ausland nur gegenüber der deutschen Staatsgewalt und laufen damit parallel zu den durch das völkerrechtliche Interventionsverbot begründeten Beschränkungen. In der Grundrechtsbindung liegt damit weder ein Verstoß gegen das völkerrechtliche Interventionsverbot, noch beschränkt sie die Handlungs- oder Rechtsetzungsmacht anderer Staaten. […] Insbesondere erweitert die Grundrechtsbindung nicht staatliche Befugnisse im Ausland, sondern beschränkt nur potentiell von der deutschen Staatsgewalt in Anspruch genommene Handlungsmöglichkeiten. [103] Aus der Grundrechtsbindung als solcher folgt damit nichts für die Frage, ob solche Maßnahmen völkerrechtlich zulässig sind. Erst recht sind andere Staaten nicht gehindert, sich gegen diese Maßnahmen auf ihrem Gebiet zur Wehr zu setzen […]. In der Bindung der deutschen Staatsgewalt an die Grundrechte liegt insoweit keine Belastung anderer Staaten, die völkerrechtliche Bedenken begründen könnte. […]“ Somit folgt auch aus der Einbindung der Bundesrepublik Deutschland in die internationale Staatengemeinschaft, dass die deutsche Staatsgewalt bei einem Handeln gegenüber Ausländern im Ausland an die Grundrechte des Grundgesetzes gebunden ist. III. Umfang der Grundrechtsbindung Fraglich ist allerdings noch, wie stark diese Grundrechtsbindung im Ausland ausgeprägt ist. Unterschiedliche Stärke der Grundrechtsbindung: • Welches Grundrecht ist konkret betroffen? • Welche Funktion der Grundrechte ist betroffen? „[104] Die umfassende Bindung der deutschen Staatsgewalt an die Grundrechte lässt unberührt, dass sich die aus den Grundrechten konkret folgenden Schutzwirkungen danach unterscheiden können, unter welchen Umständen sie zur Anwendung kommen. Das gilt […] auch für die Reichweite ihrer Schutzwirkung im Ausland. So mögen schon hinsichtlich des persönlichen und sachlichen Schutzbereichs einzelne Gewährleistungen im Inland und Ausland in unterschiedlichem Umfang Geltung beanspruchen. Ebenso kann zwischen verschiedenen © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 07/2020 Öffentliches Recht 369 Grundrechtsdimensionen, etwa der Wirkung der Grundrechte als Abwehrrechte, als Leistungsrechte, als verfassungsrechtliche Wertentscheidungen oder als Grundlage von Schutzpflichten zu unterscheiden sein. Soweit die Grundrechte auf Konkretisierungen des Gesetzgebers angewiesen sind, kann auch insoweit den besonderen Bedingungen im Ausland Rechnung zu tragen sein. Erst recht ist der Einbindung staatlichen Handelns in ein ausländisches Umfeld bei der Bestimmung von Anforderungen an die Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen – insbesondere im Rahmen der Verhältnismäßigkeit – Rechnung zu tragen. [105] Vorliegend geht es um den Schutz vor Überwachungsmaßnahmen im Rahmen der Auslandsfernmeldeaufklärung durch die […] Grundrechte der Art. 10 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG in ihrer Abwehrdimension. Aus der grundsätzlich umfassenden Grundrechtsbindung der deutschen Staatsgewalt folgt, wie sich aus den vorstehenden Darlegungen ergibt, jedenfalls insoweit eine Grundrechtsbindung auch des Bundesnachrichtendienstes und des Gesetzgebers bei der Regelung seiner Befugnisse. Eine Freistellung nachrichtendienstlicher Aufklärungsmaßnahmen von der Grundrechtsbindung wegen ihrer Auslandsgerichtetheit kennt das Grundgesetz ebenso wenig wie wegen ihres politischen Charakters. Vielmehr schafft die umfassende Grundrechtsbindung nach Art. 1 Abs. 3 GG die Voraussetzungen dafür, auch Grundrechtsgefährdungen durch neue technische Entwicklungen und sich hierdurch ergebende Kräfteverschiebungen Rechnung tragen zu können. Das gilt insbesondere für die sich wandelnde Bedeutung der Nachrichtendienste im Zuge der Fortentwicklung der Informationstechnik und des hiermit möglich gewordenen Ausgriffs auf das Ausland.“ Weiterhin Berücksichtigung des Auslandsbezugs in der Verhältnismäßigkeit Subsumtion: Gesetzgeber und BND sind bei Auslandsüberwachung an Art. 10 I GG und Art. 5 I 2 GG als Abwehrrechte gebunden Folglich sind bei der Auslandsfernmeldeaufklärung des BND die Grundrechte der überwachten Personen aus Art. 5 I 2, 10 I GG zu beachten, sodass Eingriffe in diese Grundrechte der Rechtfertigung bedürfen. FAZIT Die Klarstellung des BVerfG, dass die deutsche Staatsgewalt auch bei einem Handeln gegenüber Ausländern im Ausland an die Grundrechte gebunden ist, hat enorme Bedeutung und eine hohe Examensrelevanz. Wichtig ist vor allem, die zentralen Argumente des Gerichts nachzuvollziehen (umfassender Wortlaut des Art. 1 III GG, Anbindung der Grundrechte an internationale Gewährleistungen durch Art. 1 II GG, Vermeidung von Lücken im Grundrechtsschutz bei grenzüberschreitenden Handlungen deutscher Staatsorgane) und zu erkennen, dass die Bindungswirkung der Grundrechte im Ausland vom jeweiligen Einzelfall abhängt, also durchaus geringer sein kann als im Inland. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

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