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RA 08/2017 - Entscheidung des Monats

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440 Strafrecht

440 Strafrecht RA 08/2017 In der Literatur wird die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme ganz überwiegend allein über das Kriterium der Tatherrschaft durchgeführt also danach, wer als Zentralgestalt das Geschehens den tatbestandlichen Geschehensverlauf steuernd in den Händen hält und nach seinem Gutdünken hemmen oder ablaufen lassen kann (Joecks, StGB, § 25 Rn 8; Rönnau, JuS 2007, 514). Für den BGH ist die Tatherrschaft lediglich eines von mehreren Indizien für diese Abgrenzung (wenn auch wohl das wichtigste). Abgrenzung von bedingtem Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit BGH, Urteil vom 14.01.2016, 4 StR 84/15, NStZ-RR 2016, 79 Der BGH nimmt die Abgrenzung von bedingtem Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit hier – wie in der Rechtsprechung üblich – nach der sog. Billigungstheorie vor. Zu weiteren Abgrenzungstheorien s. Schweinberger, JI-Skript Strafrecht AT I, Rn 224 ff. Ob ein Beteiligter dieses enge Verhältnis zur Tat hat, ist nach den gesamten Umständen, die von seiner Vorstellung umfasst sind, in wertender Betrachtung zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte dafür können gefunden werden im Grad des eigenen Interesses am Erfolg der Tat, im Umfang der Tatbeteiligung und in der Tatherrschaft oder wenigstens im Willen zur Tatherrschaft, so dass Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich von seinem Willen abhängen. […] Stets muss sich die Mitwirkung nach der Willensrichtung des sich Beteiligenden als Teil der Tätigkeit aller darstellen. Voraussetzung für die Zurechnung fremden Handelns als eigenes mittäterschaftliches Tun ist ein zumindest konkludentes Einvernehmen der Mittäter. So liegt der Fall hier. Die Angeklagten haben sich am Tattag auf die Durchführung eines spontanen Autorennens geeinigt. […] Nachdem der Angeklagte H […] seinen Kontrahenten zweimal herausgefordert und […] hatte, gab [der Angeklagte N] seine Zurückhaltung schließlich auf [und] ließ sich auf das Rennen ein […]. […] Nur ergänzend sei darauf hingewiesen, dass ein Kräftemessen mittels eines Autorennens / Stechens naturgemäß ein von einer gemeinsamen Tatherrschaft getragenes Verhalten darstellt. Die Teilnehmer finden sich geplant, spontan oder sukzessive zusammen, um ihr fahrerisches Können und die Potenz ihrer Fahrzeuge auf einer gewissen Fahrstrecke zu vergleichen und den Wettkampf als Sieger zu beenden. Dabei gehen sie zusammen Risiken ein, bestimmen zusammen den Fahrablauf und setzen zusammen die Gefahrenquellen für ihre Umwelt, die im innerstädtischen Bereich eine ganz andere Qualität erreichen als zum Beispiel auf einer genehmigten Rennstrecke oder einer einsamen Landstraße.“ H und N haben somit als Mittäter gem. § 25 II StGB gehandelt. 4. Vorsatz H und N müssten vorsätzlich gehandelt haben. Bzgl. der Tötung des W kommt hier allenfalls bedingter Vorsatz in Betracht. Jura Intensiv „Bedingter Vorsatz und bewusste Fahrlässigkeit unterscheiden sich darin, dass der bewusst fahrlässig Handelnde mit der als möglich erkannten Folge nicht einverstanden ist und deshalb auf ihren Nichteintritt vertraut, während der bedingt vorsätzlich Handelnde mit dem Eintreten des schädlichen Erfolges in der Weise einverstanden ist, dass er ihn billigend in Kauf nimmt oder dass er sich wenigstens mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet. Bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen liegt es nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne zu Tode kommen und - weil er mit seinem Handeln gleichwohl fortfährt - einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt. Eine hohe und zudem anschauliche konkrete Lebensgefährlichkeit von Gewalthandlungen stellt mithin auf beiden Vorsatzebenen das wesentliche auf bedingten Tötungsvorsatz hinweisende Beweisanzeichen dar. Allerdings können im Einzelfall das Wissens- oder das Willenselement des Eventualvorsatzes fehlen, wenn etwa […] [der Täter] trotz erkannter objektiver Gefährlichkeit der Tat ernsthaft und nicht nur vage auf ein Ausbleiben des tödlichen Erfolges vertraut (Fehlen des Willenselements). Beide Elemente müssen tatsachenfundiert getrennt voneinander geprüft werden. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 08/2017 Strafrecht 441 Die Prüfung, ob bedingter Vorsatz oder bewusste Fahrlässigkeit vorliegt, erfordert insbesondere bei Tötungs- oder Körperverletzungsdelikten eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände, wobei es vor allem bei der Würdigung des voluntativen Vorsatzelements regelmäßig erforderlich ist, dass sich der Tatrichter mit der Persönlichkeit des Täters auseinandersetzt und seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung sowie seine Motivation und die zum Tatgeschehen bedeutsamen Umstände - insbesondere die konkrete Angriffsweise - mit in Betracht zieht. BGH, Urteil vom 19.04.2016, 5 StR 498/15, NStZ-RR 2016, 204; Beschluss vom 09.06.2015, 2 StR 504/14, NStZ-RR 2016, 111 Schon eine Gleichgültigkeit gegenüber dem zwar nicht erstrebten, wohl aber hingenommenen Tod des Opfers rechtfertigt die Annahme bedingten Tötungsvorsatzes. Der mit bedingtem Tötungsvorsatz handelnde Täter hat kein Tötungsmotiv, sondern geht einem anderen Handlungsantrieb nach. Selbst ein unerwünschter Erfolg steht dessen billigender Inkaufnahme nicht entgegen. […] Im Übrigen sind an die für die Feststellung eines zumindest bedingten Tötungsvorsatzes erforderliche Überzeugungsbildung des Tatrichters keine überspannten Anforderungen zu stellen. […] Vielmehr genügt ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige Zweifel nicht aufkommen lässt. […] Die jüngere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stellt klar, dass Gleichgültigkeit gegenüber der erkannten Möglichkeit des Erfolgseintritts für den dolus eventualis bei Tötungsdelikten genügt. […] Soweit es mittäterschaftliches Handeln betrifft, haftet jeder Mittäter für das Handeln der anderen nur im Rahmen seines - zumindest bedingten - Vorsatzes; er ist also für den Taterfolg nur insoweit verantwortlich, als sein Wille reicht, so dass ihm ein Exzess der anderen nicht zur Last fällt. Handlungen eines anderen Tatbeteiligten, mit denen nach den Umständen des Einzelfalles gerechnet werden muss, werden jedoch vom Willen des Mittäters umfasst, auch wenn er diese sich nicht besonders vorgestellt hat. […] Jura Intensiv Die Angeklagten haben demnach als wegen vielfach begangener Verkehrsverstöße bereits sanktionierte Kraftfahrzeuglenker in Form eines Autorennens aus Gewinnstreben, angestrebter Selbstbestätigung und zwecks Demonstration der Stärke des eigenen Wagens zur Tatzeit ihre Fahrzeuge über die aufgezeigte Distanz über die Berliner Hauptverkehrsadern […] gelenkt, dabei ihre Geschwindigkeit beständig gesteigert, rotes Ampellicht missachtet und im Tatzeitpunkt den Geschädigten W tödlich verletzt, weil sie mit etwa dreifach überhöhter Geschwindigkeit bei für sie rotem Ampellicht mit Vollgas und ohne jegliche Einsichtsmöglichkeit in die Unfallkreuzung eingefahren sind. Dies stellt ein in jeder Hinsicht halsbrecherisches Verhalten dar, das zum Tod oder zur Verletzung Dritter und auch der eigenen Person führen konnte. Im Hinblick auf den konkreten Fahrstil und die Tatörtlichkeiten war die hohe Wahrscheinlichkeit eines schweren Verkehrsunfalls naheliegend, zumal die Fahrstrecke nicht menschen- und autoleer war, die Fahrzeuge […] im Grenzbereich des technisch Machbaren gelenkt wurden und sich die Gefährlichkeit der Handlung mit der Länge der gefahrenen Strecke kontinuierlich erhöhte, da damit auch die Wahrscheinlichkeit eines Unfalls zunahm. Bei einer wertenden Gesamtbetrachtung aller vorstehenden Umstände ist danach das Wissenselement BGH, Urteil vom 19.04.2016, 5 StR 498/15, NStZ-RR 2016, 204; BGH, Urteil vom 14.01.2016, 4 StR 84/15, NStZ-RR 2016, 79 BGH, Urteil vom 11.10.2016, 1 StR 248/16, NStZ 2017, 25 BGH, Beschluss vom 01.09.2016, 2 StR 19/16, NStZ-RR 2017, 77 Zum Wissenselement des Vorsatzes © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

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