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RA 09/2021 - Entscheidung des Monats

Wie in der Augustausgabe der RA 2021 angekündigt, erfolgt nun die Besprechung einer weiteren Entscheidung zum Thema Widerruf eines Online-Partnerschaftsvermittlungsvertrages. Hier liegt der Schwerpunkt bei der Berechnung des Wertersatzanspruchs und den Sanktionen im Falle einer treuwidrigen Forderung überhöhten Wertersatzes. Die Examensrelevanz in beiden Examen ist hoch.

450 Zivilrecht

450 Zivilrecht RA 09/2021 Anhaltspunkte für einen Anspruch auf Ersatz eines Verzögerungsschadens gem. §§ 280 I, II, 286 BGB ergeben sich hier nicht. Zur Treuepflichtverletzung: BGH, Urteil vom 16.01.2009, V ZR 133/08 Eine ausführlichere Darstellung finden Sie in der Vorausgabe, RA 08/2021 auf Seite 393 innerhalb der Besprechung des Urteils BGH, III ZR 126/19. Hier liegen die Schwerpunkte des Falles an anderer Stelle. I. Schuldverhältnis Das zur Anspruchsbegründung benötigte Vorliegen eines Schuldverhältnisses ist im Online-Partnerschaftsvermittlungsvertrag zu sehen. II. Pflichtverletzung der B Gem. § 241 II BGB sind die Parteien im Rechtsverkehr zur gegenseitigen Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen der jeweils anderen Partei verpflichtet. Aus diesem Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme ergeben sich neben Schutzpflichten auch Treuepflichten. Eine solche wird verletzt, wenn eine Partei der anderen Partei weit überhöhte Forderungen stellt und damit verlangt, was nicht geschuldet ist. Dies wäre hier der Fall, wenn die Forderung von Wertersatz in der geltend gemachten Höhe von 199,26 € gar nicht geschuldet oder in der Summe weit überhöht war. Zu klären ist, ob K der B überhaupt Wertersatz schuldet und im Falle einer solchen Verpflichtung, wie hoch die Summe Wertersatzforderung ist. Eine Wertersatzpflicht der K kommt hier allein aus § 357 VIII BGB in Betracht. Dies erfordert zunächst einen wirksamen Widerruf des Online-Partnerschaftsvermittlungsvertrages seitens K und ferner das Vorliegen der in § 357 VIII 1 und 2 BGB genannten Voraussetzungen. I. Widerruf der K gem. § 355 BGB Ein Verbraucherwiderruf der K gem. § 355 BGB erfordert ein Widerrufsrecht sowie eine fristgerechte Widerrufserklärung. K erklärte ausdrücklich am 13.07.2018 gem. § 355 BGB den Widerruf des Online-Partnerschaftsvermittlungsvertrages. Ein Online-Partnerschaftsvermittlungsvertrag zwischen der Verbraucherin K (§ 13 BGB) und der Unternehmerin B (§ 14 BGB) ist als Fernabsatzvertrag gem. §§ 310 III, 312, 312c, 312g BGB widerruflich. Indem der Widerruf einen Tag nach Vertragsschluss erfolgte, wurde die 14-tägige Widerrufsfrist des § 355 II BGB eingehalten. II. Voraussetzungen des Wertersatzes gem. § 357 VIII BGB Fraglich ist, ob B ein Wertersatzanspruch gem. § 357 VIII BGB zusteht. Die Grundvoraussetzungen eines Wertersatzanspruchs liegen vor. K wurde seitens B ordnungsgemäß belehrt, ferner hat K ausdrücklich die Leistung vor Ablauf der Widerrufsfrist verlangt. [22] Voraussetzung für einen Anspruch des Unternehmers auf Wertersatz für die bis zu einem Widerruf erbrachte Leistung aus einem Fernabsatzvertrag ist nach § 357 Abs. 8 Satz 1 und 2 BGB, dass der Unternehmer den Verbraucher gemäß Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 3 EGBGB über das Widerrufsrecht informiert, ihm die Widerrufsbelehrung und das Muster- Widerrufsformular in der Anlage 2 zum EGBGB in einer den benutzten Fernkommunikationsmitteln angepassten Weise zur Verfügung gestellt oder in geeigneter Weise zugänglich gemacht hat (…) und der Verbraucher von dem Unternehmer ausdrücklich verlangt hat, mit der Erbringung der Dienstleistung vor Ablauf der Widerrufsfrist zu beginnen. Diese Voraussetzungen liegen nach den von den Revisionen nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts vor. Ferner muss die seitens B erbrachte Leistung überhaupt einen messbaren Wert haben. Daran könnte man zweifeln, wenn B analog § 656 I 1 BGB keinen Anspruch gegen K auf Zahlung einer Vergütung für den Zugang zum Portal sowie für die Erstellung des Gutachtens hätte. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, auf einen Partnerschaftsvermittlungsvertrag, der einen persönlichen Kontakt zwischen Partnerschaftsvermittler und Kunden vorsieht, die © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 09/2021 Zivilrecht 451 für Ehevermittlungsverträge geltende Vorschrift des § 656 I BGB aufgrund des gleichliegenden Diskretionsbedürfnisses analog anzuwenden. Fraglich ist, ob dies auch für Online-Partnerschaftsvermittlungsverträge und die mit ihm verbundenen Leistungen gilt. [18] Die Gründe, die zur entsprechenden Anwendung des § 656 BGB auf einen Partnervermittlungsvertrag geführt haben, gelten für den verfahrensgegenständlichen Vertrag über eine „Online-Partnervermittlung“ nicht. Hier besteht die Leistungspflicht der Beklagten vor allem darin, ihren Kunden einen unbeschränkten Zugang zu der von ihr betriebenen Plattform zu gewähren, auf der diese aus eigener Initiative einen Kontakt zu möglichen Partnern herstellen können. Diese Möglichkeit besteht bei einer herkömmlichen Partnerschaftsvermittlung nicht. Zwar stellt auch die Beklagte ihren Kunden Partnervorschläge zur Verfügung. Diese beruhen aber allein auf einem elektronischen Abgleich der nicht näher überprüften eigenen Angaben der Kunden. Eine individuelle, persönliche Auswertung findet nicht statt. Auch eine Gewähr für die Richtigkeit dieser Angaben und damit für die Qualität der Vorschläge übernimmt die Beklagte nicht. Es bestehen daher keine Anhaltspunkte dafür, dass durch einen Rechtsstreit über den Vergütungsanspruch der Beklagten in die Intimsphäre ihrer Kunden in einer Weise eingegriffen würde, die vergleichbar mit der Situation bei einem herkömmlichen Partnerschaftsvermittlungsvertrag wäre. Insbesondere ist eine Beweisaufnahme darüber, ob die Beklagte auf die in Frage kommenden Partner intensiv genug eingewirkt oder Personen benannt habe, die überhaupt nicht an einer Partnerschaft interessiert oder hierfür nicht geeignet seien, nicht zu erwarten, da insoweit keine Leistungspflichten der Beklagten bestehen. [19] Auch im Hinblick auf das von der Beklagten erstellte Persönlichkeitsgutachten lässt sich eine entsprechende Anwendung des § 656 Abs. 1 BGB auf den vorliegenden Vertrag nicht begründen. Denn auch dieses wird automatisiert auf Basis von Algorithmen allein anhand der von dem Kunden eingegebenen Daten erstellt. Auch insofern besteht daher kein Diskretionsbedürfnis, das durch eine Beweisaufnahme in gleicher Weise betroffen wäre, wie dies bei einer auf persönlichem Kontakt beruhenden Partnerschaftsvermittlung der Fall sein könnte. [20] Für den Profilcheck gilt nichts anderes. Die Parteien haben übereinstimmend vorgetragen, dass die von der Beklagten betriebene Online- Partnervermittlung ausschließlich automatisiert abläuft und ein persönlicher Kontakt mit Mitarbeitern nicht zustande kommt. Für die Praxis dürfte die Frage der analogen Anwendung des § 656 I BGB auf Online-Partnerschaftsverträge damit entschieden sein. Zweifel an der Einschätzung des BGH sind aber in Prüfungsarbeiten nicht nur erlaubt, sondern erwünscht. Ob das Diskretionsbedürfnis wirklich geringer ausfällt ist angesichts der Datenschutz- sowie der Datensicherheitsaspekte zweifelhaft. Schließlich können Mitarbeiter des Portalbetreibers die Fotos der Nutzer samt der zugehörigen Texte sehen. Nicht zu unterschätzen ist auch die Gefahr von Hackerangriffen. Entscheidend ist für den III. Zivilsenat, dass Nutzern die Peinlichkeit erspart bleibt, über die von einem Vermittler getroffene Auswahl hinsichtlich der Qualität vor Gericht streiten zu müssen, da hier alles automatisiert abläuft. Dies gilt auch für das Persönlichkeitsgutachten sowie für den Profilcheck. Damit steht fest, dass die Leistungen der B einen Wert darstellen. Fraglich ist, wie dieser Wert berechnet wird. [23] Zur Bemessung des Wertersatzes nach dem Widerruf eines Vertrags ist gemäß § 357 Abs. 8 Satz 4 BGB auf den im Vertrag vereinbarten Preis für die Gesamtheit der vertragsgegenständlichen Leistungen abzustellen. Hiervon ausgehend ist der geschuldete Betrag nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Senats grundsätzlich zeitanteilig zu berechnen (…). Eine Ausnahme hiervon gilt nur, wenn der geschlossene Vertrag ausdrücklich vorsieht, dass eine oder mehrere der Leistungen gleich zu Beginn der Vertragsausführung vollständig und gesondert zu einem getrennt zu zahlenden Preis erbracht werden; nur unter dieser Voraussetzung kann der Verbraucher sachgerecht entscheiden, ob Den Zusammenhang zwischen dem Urteil des EuGH vom 08.10.2020, C-641/19 und dem Urteil des III. Senats vom 20.05.2021, III ZR 126/19 lesen Sie in der RA 08/2021, 393. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

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