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RA 11/2018 - Entscheidung des Monats

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612 Strafrecht

612 Strafrecht RA 11/2018 Problem: Verdeckung bei §§ 315b I, III, 315 III Nr. 1b) StGB Einordnung: Strafrecht BT III/Verkehrsdelikte BGH, Urteil vom 19.07.2018 4 StR 121/18 LEITSATZ DER REDAKTION Eine Verdeckungsabsicht i.S.v. §§ 315b I, III, 315 III Nr. 1b) StGB ist auch dann gegeben, wenn der Täter davon ausgeht, seine Beteiligung an einer vorangegangenen Straftat sei noch nicht in einem die Strafverfolgung sicherstellenden Umfang aufgedeckt und dies verhindern will. EINLEITUNG Der BGH stellt im vorliegenden Urteil klar, dass die Verdeckungsabsicht bei einem qualifizierten gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr gem. §§ 315b I, III, 315 III Nr. 1b) StGB – ebenso wie die Verdeckungsabsicht bei § 211 II StGB – nicht voraussetzt, dass der Täter verdecken will, dass überhaupt eine Straftat begangen worden ist. Eine Verdeckungsabsicht ist auch gegeben, wenn der Täter seine Identifizierung verhindern will. um die Strafverfolgung zumindest zu erschweren. SACHVERHALT Der Angeklagte A lud in einer Filiale der Firma K drei Fernsehgeräte und einen Blu-Ray-Player in den Einkaufswagen und passierte, ohne zu bezahlen, den Kassenbereich. Als er auf dem öffentlich zugänglichen Kundenparkplatz die Elektronikgeräte in seinen Pkw lud, forderte ihn die stellvertretende Filialleiterin F auf, den Kassenbon vorzulegen. A entgegnete aggressiv, einen Kassenbon gebe es nicht und sie solle verschwinden. Dann setzte er sich ans Steuer und fuhr mit hoher Beschleunigung und quietschenden Reifen in Richtung der einzigen Ausfahrt des Parkplatzes. Nachdem er mit etwa 30 bis 40 km/h eine Längskurve passiert hatte, beschleunigte er weiter stark. In diesem Moment kam M, ein K-Mitarbeiter, angelaufen und stellte sich in die Mitte der Ausfahrt. A bemerkte ihn aus einer Entfernung von etwa fünfzehn Metern, beschleunigte jedoch weiter und fuhr mit einer Geschwindigkeit von mindestens 50 km/h direkt auf M zu. Dabei ging es ihm nicht darum, die Tatbeute in Sicherheit zu bringen, sondern allein darum zu fliehen, um sich der strafrechtlichen Verantwortlichkeit zu entziehen. Ein Anfahren des M mit der Folge der Zufügung auch lebensgefährlicher Verletzungen nahm A billigend in Kauf. Er vertraute jedoch darauf, dass M nicht sterben würde. M sprang im letzten Moment zur Seite und blieb unverletzt. Strafbarkeit des A? [Anm.: §§ 113 f., 240, 241, 246, 249, 253 StGB sind nicht zu prüfen.] PRÜFUNGSSCHEMA: QUALIFIZIERTER GEFÄHRLICHER EINGRIFF IN DEN STRASSENVERKEHR, §§ 315b I, III, 315 III Nr. 1b) StGB A. Tatbestand I. Grunddelikt: § 315b I StGB 1. Tathandlung gem. § 315b I Nr. 1 – 3 StGB 2. Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs 3. Konkrete Gefahr für Leib oder Leben eines Menschen oder für fremde Sachen von bedeutendem Wert 4. Zurechnungszusammenhang 5. Vorsatz bzgl. 1. bis 4. II. Qualifikation: §§ 315b III, 315 III Nr. 1b) StGB B. Rechtswidrigkeit und Schuld © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 11/2018 Strafrecht 613 LÖSUNG A. Strafbarkeit gem. § 242 I StGB Dadurch, dass A den Einkaufswagen mit den Fernsehern und dem Blu-ray- Player aus der Filiale schob, könnte er sich wegen Diebstahls gem. § 242 I StGB strafbar gemacht haben. I. Tatbestand 1. Fremde bewegliche Sache Bei den im Eigentum der Firma K stehenden Elektronikgeräten handelt es sich um für A fremde bewegliche Sachen. 2. Wegnahme A müsste die Elektronikgeräte auch weggenommen, also fremden Gewahrsam daran gebrochen und neuen, nicht unbedingt tätereigenen, Gewahrsam begründet haben. Solange sich die Geräte in der Filiale befanden, also in der Gewahrsamssphäre des Filialleiters, bestand für A fremder Gewahrsam. Dadurch dass er die Geräte aus der Filiale herausgeschoben hat, hat er neuen Gewahrsam begründet. Er tat dies gegen den Willen des früheren Gewahrsamsinhabers, sodass auch ein Gewahrsamsbruch vorliegt. A hat die Elektronikgeräte somit weggenommen. 3. Vorsatz A handelte mit Vorsatz bzgl. der objektiven Tatumstände. 4. Absicht rechtswidriger Zueignung A müsste die Absicht rechtswidriger Zueignung gehabt haben. A wollte die Elektronikgeräte entweder selbst verwenden oder weiterverkaufen, hatte also die Absicht, diese seinem Vermögen einzuverleiben (Aneignungsabsicht). Außerdem wollte er die berechtigte Firma K dauerhaft aus ihrer Eigentümerposition verdrängen (Enteignungswille) und handelte deshalb mit Zueignungsabsicht. Da er keinen Anspruch auf diese Zueignung hatte, ist die von ihm beabsichtigte Zueignung rechtswidrig. Er hatte diesbezüglich Vorsatz und hat deshalb in der Absicht rechtswidriger Zueignung gehandelt. II. Rechtswidrigkeit und Schuld A handelte rechtswidrig und schuldhaft. III. Ergebnis A ist strafbar gem. § 242 I StGB. B. Strafbarkeit gem. §§ 252, 250 II Nr. 1, 3b) StGB Dadurch, dass A mit dem Auto auf M zufuhr, könnte er sich wegen besonders schweren räuberischen Diebstahls gem. §§ 252, 250 II Nr. 1, 3b) StGB strafbar gemacht haben. Allerdings setzt bereits der Tatbestand des Grunddelikts, § 252 StGB, voraus, dass der Täter in der Absicht handelt, sich im Besitz des gestohlenen Gutes zu erhalten. Eine solche Beutesicherungsabsicht ist aber aufgrund der Angaben im Sachverhalt eindeutig nicht gegeben. A ist somit nicht strafbar gem. §§ 252, 250 II Nr. 1, 3b) StGB. Sache ist jeder körperliche Gegenstand. Beweglich ist eine Sache, die tatsächlich fortgeschafft werden kann. Fremd ist eine Sache, die im Eigentum einer anderen Person steht. Dass z.B. eine Kassiererin den A (aber nicht seine Beute) gesehen und ihn hat passieren lassen, sodass auch eine Strafbarkeit wegen Betrugs, § 263 I StGB, in Betracht kommt, ist bei dem Sachverhalt praktisch ausgeschlossen. Es dürfte wohl nicht möglich sein, drei (!) Fernseher an eine Kasse vorbei zu schmuggeln. Vielmehr ist davon auszugehen, dass A den Einkaufswagen durch eine nicht besetzte Kasse geschoben hat. Eine Angrenzung von Trickdiebstahl und Sachbetrug ist deshalb nicht vorzunehmen. Bei wertvollen Waren wie insb. Fernsehgeräten ist es oft so, dass diese mit Sicherungsspinnen gesichert werden. Lösen diese erst beim Verlassen des Ladens einen Alarm aus, wäre zwar das Regelbeispiel des § 243 I 2 Nr. 2 StGB nicht erfüllt, es läge allerdings ein (unbenannter) besonders schwerer Fall gem. § 243 I 1 StGB vor. Löst die Spinne bereits beim Durchtrennen ihrer „Arme“ Alarm aus, kann bereits das Regelbeispiel greifen (vgl. BGH, Urteil vom 26.06.2018, 1 StR 79/18). Im vorliegenden Sachverhalt werden solche Sicherungsmaßnahmen aber nicht erwähnt. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

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