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RA 11/2018 - Entscheidung des Monats

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614 Strafrecht

614 Strafrecht RA 11/2018 C. Strafbarkeit gem. §§ 223 I, 224 I Nr. 2, 5, 22, 23 I StGB Durch das Zufahren auf M könnte A sich aber wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung zu dessen Nachteil gem. §§ 223 I, 224 I Nr. 2, 5 StGB strafbar gemacht haben. I. Vorprüfung M wurde nicht verletzt, es ist also keine Strafbarkeit wegen vollendeter Tat gegeben. Die Strafbarkeit des Versuchs der gefährlichen Körperverletzung ergibt sich aus § 224 II StGB. II. Tatentschluss A müsste Tatentschluss gehabt haben, also den Willen zur Verwirklichung der objektiven Tatumstände beim gleichzeitigen Vorliegen der besonderen subjektiven Tatbestandsmerkmale. 1. Bzgl. Grunddelikt: § 223 I StGB A hat es billigend in Kauf genommen, dass M verletzt würde, hatte also Tatentschluss bzgl. einer körperlichen Misshandlung und/oder Gesundheitsschädigung des M. Er hatte somit Tatentschluss bzgl. der Begehung des Grunddelikts gem. § 223 I StGB. 2. Bzgl. Qualifikation: § 224 I StGB A könnte auch Tatentschluss zur Verwirklichung der Qualifikation gem. § 224 I StGB gehabt haben. a) Bzgl. § 224 I Nr. 2 StGB A könnte Tatentschluss gehabt haben, die geplante Körperverletzung mittels eines anderen gefährlichen Werkzeugs zu begehen, § 224 I Nr. 2 2. Fall StGB. Anderes gefährliches Werkzeug i.S.v. § 224 I Nr. 2 StGB ist jeder Gegenstand, der aufgrund seiner Beschaffenheit und der konkreten Verwendung im Einzelfall dazu geeignet ist, erhebliche Verletzungen zuzufügen. A wusste, dass der von ihm gesteuerte Pkw bei der konkreten Art der geplanten Verwendung – An- oder Überfahren des M mit erheblicher Geschwindigkeit – dazu geeignet wäre, diesem erhebliche Verletzungen zuzufügen. A hatte also Tatentschluss zur Verwirklichung von § 224 I Nr. 2 StGB. Der klassische Streit i.R.v. § 224 I Nr. 5 StGB, ob diese Qualifikation eine konkrete Lebensgefahr voraussetzt (so Kindhäuser/Neu mann/Paeffgen, StGB, § 224 Rn 27) oder eine abstrakte Lebensgefährdung ausreicht (so die h.M.: BGH, Beschluss vom 16.01.2013, 2 StR 520/12, NStZ 2013, 345; Rengier, BT II, § 14 Rn 21), spielt hier – wie meistens – keine Rolle (vgl. auch Zimmermann/Dr. Schweinberger, JURA INTENSIV, Strafrecht BT II, Rn 493 ff.). b) Bzgl. § 224 I Nr. 5 StGB A hatte auch billigend in Kauf genommen, M lebensgefährliche Verletzungen zuzufügen. Er hatte also auch Tatentschluss bzgl. einer lebensgefährdenden Behandlung i.S.v. § 224 I Nr. 5 StGB. III. Unmittelbares Ansetzen, § 22 StGB Durch das Zufahren auf M hat A eine Handlung vorgenommen, die nach seiner Vorstellung ohne wesentliche Zwischenschritte in die Tatbestandsverwirklichung einmünden sollte, sodass das geschützte Rechtsgut – die körperliche Unversehrtheit des M – aus seiner Sicht bereits konkret gefährdet war und A deshalb auch die Schwelle zum „jetzt geht es los“ überschritten hatte. A hat somit i.S.v. § 22 StGB unmittelbar angesetzt. IV. Rechtswidrigkeit und Schuld A handelte rechtswidrig und schuldhaft. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 11/2018 Strafrecht 615 V. Kein Rücktritt Anhaltspunkte für einen strafbefreienden Rücktritt i.S.v. § 24 StGB sind nicht ersichtlich. VI. Ergebnis A ist strafbar gem. §§ 223 I, 224 I Nr. 2, 5, 22, 23 I StGB. D. Strafbarkeit gem. §§ 315b I Nr. 3, III, 315 III Nr. 1b) StGB Durch das Zufahren auf M könnte A sich aber wegen qualifizierten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gem. §§ 315b I Nr. 3, III, 315 III Nr. 1b) StGB strafbar gemacht haben. I. Tatbestand 1. Grunddelikt: § 315b I Nr. 3 StGB a) Tathandlung gem. § 315b I Nr. 3 StGB Durch das Zufahren auf M könnte A einen ähnlichen, ebenso gefährlichen Eingriff i.S.v. § 315b I Nr. 3 StGB vorgenommen haben. Grundsätzlich erfasst § 315b I Nr. 3 StGB – im Gegensatz zu § 315c StGB – nur verkehrsfremde Eingriffe, also Verhaltensweisen, die von außen auf den Verkehr einwirken. Ausnahmsweise wird die tatbestandliche Sperrwirkung des § 315c StGB jedoch bei verkehrsinternen Verhaltensweisen durchbrochen, wenn der Verkehrsteilnehmer den Verkehrsvorgang zu einem Eingriff in den Straßenverkehr „pervertiert“ (sog. verkehrsfeindlicher Inneneingriff). Für einen solchen verkehrsfeindlichen Inneneingriff ist jedoch mehr erforderlich als ein bloß fehlerhaftes Verhalten eines Verkehrsteilnehmers. Der Täter muss sein Fahrzeug in verkehrsfeindlicher Einstellung bewusst zweckwidrig einsetzen und dieses mit mindestens bedingtem Schädigungsvorsatz missbrauchen. A ist mit seinem Auto auf M zugefahren, damit dieser den Weg freigibt. Er hat also das Fahrzeug als Nötigungs- und nicht als Fortbewegungsmittel benutzt und dieses somit bewusst zweckentfremdet. Da er auch mit einer verkehrsfeindlichen Einstellung und mit Schädigungsvorsatz (s.o.) handelte, liegt ein verkehrsfeindlicher Inneneingriff vor. Somit hat A einen ähnlichen, ebenso gefährlichen Eingriff i.S.v. § 315b I Nr. 3 StGB vorgenommen. b) Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs A müsste auch die Sicherheit des Straßenverkehrs beeinträchtigt haben. Da der Parkplatz der Firma K und die entsprechende Zufahrt allen Kunden dauernd zur Benutzung offen stehen, sind diese Teile des (öffentlichen) Straßenverkehrs. Der sich dort aufhaltende M, also ein Verkehrsteilnehmer, konnte infolge der Handlung des A nicht mehr gefahrlos am Straßenverkehr teilnehmen, sodass die Sicherheit des Straßenverkehrs beeinträchtigt ist. c) Konkrete Gefahr für Leib oder Leben eines anderen oder für fremde Sachen von bedeutendem Wert M konnte sich nur durch einen Sprung in letzter Sekunde in Sicherheit bringen. Es ist also zu einem „Beinahe-Unfall“ und somit zu einer konkreten Gefahr für Leib und Leben des M, also eines anderen Menschen, gekommen. BGH, Beschluss vom 09.02.2010, 4 StR 556/09, NStZ 2010, 391; Fischer, StGB, § 315b Rn 8 Vgl. auch Schneider, JURA INTENSIV, Strafrecht BT III, Rn 983 ff. Zur Feststellung des Schädigungsvorsatzes ist es sinnvoll, das (versuchte) Körperverletzungsdelikt vor § 315b StGB zu prüfen, um sich hier eine Inzidentprüfung zu ersparen. Zum öffentlichen Straßenverkehr gehören neben den allgemeinen, dem Straßenverkehr gewidmeten Straßen, Wegen und Plätzen auch solche Verkehrsflächen, die jedermann oder nach allgemeinen Merkmalen bestimmte größere Gruppen von Verkehrsteilnehmern dauernd oder vorübergehend zur Benutzung offen stehen. Gefahr ist ein ungewöhnlicher Zustand, in dem nach den konkreten Umständen der Eintritt eines Schadens nahe liegt. Eine konkrete Gefahr setzt voraus, dass der Eintritt des Schadens derart nahe liegt, dass es lediglich vom Zufall abhängt, ob der Schaden ausbleibt. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

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