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RA Digital - 01/2018

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22 Referendarteil:

22 Referendarteil: Zivilrecht RA 01/2018 Parteianträge Die Klägerin beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin weitere 635,69 € zu zahlen. Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen. Sie behaupten, der LKW sei nach links in den an erster Position befindlichen Audi gefahren. Das Feuerwehrfahrzeug habe sich zwischen Rechtsabbiegerspur und rechter Geradeausspur genähert. Beweisbeschlüsse und Inhalt der Beweisaufnahme sind Teil der Prozessgeschichte und stehen daher im Indikativ Perfekt. Verweisen Sie stets konkret unter Angabe des Datums und der Seitenzahl. Ist bei der Zulässigkeit nichts problematisch, bejahen Sie diese schlicht und schreiben nichts weiter dazu. Haltereigenschaft, Sachschaden, Schadenshöhe waren hier unstreitig, gestritten wurde allein um den Geschehensablauf. Zu Beginn der Darstellung Beweiswürdigung ist es erforderlich, die Aussage des Zeugen, der angehörten Partei oder auch die zentralen Thesen des Sachverständigengutachtens kurz zusammenzufassen. Detaillierte und mustergültige Beweiswürdigung Versuchen Sie, sich hier auf so viele einzelne Kriterien zu stützen wie möglich! Wenn dies nicht die einzigen Argumente bleiben, dürfen auch Plausibilitätsgesichtspunkte berücksichtigt werden. Das Gericht hat nach informatorischer Anhörung des Beklagten zu 1 Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen D. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt des Sitzungsprotokolls der mündliche Verhandlung vom 26.10.217, Bl. 40 ff. d.A. Bezug genommen. ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE Die zulässige Klage ist überwiegend begründet. Es besteht in titulierter Höhe ein (weiterer) Schadenersatzanspruch gemäß §§ 7 I, 18 I StVG, 249 BGB, für den auch die Beklagte zu 2 nach § 115 I 1 VVG haftet. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur hinreichenden Überzeugung des Gerichts gem. § 286 ZPO fest, dass das Beklagtenfahrzeug unmittelbar vor der Kollision nach rechts in die Spur der Zugmaschine gefahren war. Der Zeuge D…, welcher die Zugmaschine seinerzeit führte, sagte aus, dass der Audi in zweiter Position links neben dem Zeugen gestanden habe. Vor dem Audi habe es in erster Position ein weiteres Fahrzeug gegeben, welches sich zur Bildung einer Fahrgasse nach links in den Kreuzungsraum bewegt habe. Der Vordermann des Zeugen habe sich nach Lichthupensignal des Zeugen nach rechts in den Kreuzungsraum bewegt. Als das Einsatzfahrzeug näher gekommen sei, habe der Zeuge „nach rechts rüber“ losfahren wollen und zu spät bemerkt, dass sich der Audi bereits vor die Zugmaschine gesetzt hatte, aber da sei alles schon zu spät gewesen. Jura Intensiv Das Gericht erachtet die Aussage des Zeugen D… als glaubhaft. Der Zeuge vermochte sich an den Unfall relativ präzise zu erinnern und zeigte im Rahmen seiner Vernehmung keinerlei Anzeichen von Nervosität. Auch Belastungstendenzen waren nicht erkennbar. So räumte der Zeuge ein, sich an die genaue Position des sich nähernden Feuerwehrfahrzeugs nicht erinnern zu können. Dem steht nicht entgegen, dass der Zeuge Arbeitnehmer bzw. Auftragnehmer der Klägerin ist, denn er steht anders als ein Familienangehöriger nicht direkt in deren Lager und profitiert selbst nicht vom Ausgang des Verfahrens. Es erscheint zudem plausibel, dass sich der PS-starke und schnelle Audi A8 bereits vor dem schwerfälligen Laster in Bewegung setzte. Für den Zeugen gab es keinen Anlass, sein Fahrzeug nach links zu steuern, weil er dem herannahenden Feuerwehrfahrzeug mit seiner großen Zugmaschine dann gegebenenfalls den Weg versperrt hätte. Dass der Zeuge den Audi aufgrund des toten Winkels bzw. seines erhöhten Sitzplatzes im letzten Moment übersah, erscheint dagegen nachvollziehbar. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 01/2018 Referendarteil: Zivilrecht 23 Hinreichende Zweifel an dem vom Zeugen geschilderten Unfallhergang bestehen auch nach Anhörung des Beklagten zu 1 nicht; eine förmliche Parteivernehmung gem. § 448 ZPO war nicht geboten: Die Rechtsprechung zur tendenziellen Gleichwertigkeit der Parteianhörung gem. § 141 ZPO und der Zeugenvernehmung basiert auf der besonderen Problematik des Vier-Augen-Gesprächs unter dem Aspekt der prozessualen Waffengleichheit bzw. des fairen Verfahrens. Soweit ersichtlich, wird nur vom OLG Koblenz im Urteil vom 19.01.2004, 12 U 1412/02 ausdrücklich vertreten, dass diese Rechtsprechung auch auf Verkehrsunfallstreitigkeiten uneingeschränkt zu erstrecken sei; im Einzelfall könne bei entsprechender Inhaltsanalyse und weiteren Glaubwürdigkeitskriterien der Parteianhörung Vorzug vor der Zeugenaussage gegeben werden. Das erkennende Gericht folgt dieser Auffassung nicht. Dabei ist festzuhalten, dass die informatorische Befragung kein Beweismittel ist. § 141 ZPO betrifft vielmehr die „Aufklärung des Sachverhalts“. Eine förmliche Parteivernehmung nach § 448 ZPO soll dagegen erst bei hinlänglicher Anfangswahrscheinlichkeit („Anbeweis“) zulässig sein. Dies bedeutet, dass die Anhörung im Verkehrsunfallprozess zwar geboten ist, dieser aber ein eigenständiger Beweiswert erst zukommt, wenn das Gericht nachfolgend und auf Antrag der Partei wegen hinreichenden Anfangsbeweises die Parteivernehmung gemäß § 448 ZPO anordnet. Würde bereits der formlosen Parteianhörung ein der Zeugenvernehmung vergleichbarer Beweiswert zugesprochen, würden diese Vorschriften schlicht umgangen. Eine Beweisnotlage, die die Anwendung der Grundsätze des Vier-Augen- Gesprächs rechtfertigen würde, ist vorliegend nicht gegeben. Denn die strukturelle Unterlegenheit einer Partei liegt bei einem Verkehrsunfall nicht vor. Anders als bei den Vier-Augen-Gesprächen erfolgt das Ereignis nicht in der Sphäre einer der Parteien, die im Gegensatz zur anderen Partei dann auch noch typischerweise Zeugen aufbieten kann. Vielmehr entscheidet bei einem Unfall regelmäßig der Zufall über das Vorhandensein von neutralen Zeugen, bzw. die Existenz von Zeugen mit Parteinähe (z.B. Ehegatte als Beifahrer). Jura Intensiv Außerdem hätte der Beklagte vorliegend den Sachverständigenbeweis zum Unfallhergang beantragen können, was er bewusst unterließ. Der Beklagte schöpfte also die zur Verfügung stehenden Beweismittel nicht aus, obgleich dem Unfallrekonstruktionsgutachten im Verkehrsunfallprozess regelmäßig eine zentrale Bedeutung zukommt. In einem solchen Fall findet mangels Beweisnot die Vier-Augen-Rechtsprechung keine Anwendung, die Parteianhörung bleibt freigestellt. Durchschlagend ist auch nicht das Argument, dass der Klägerin mit ihren Berufskraftfahrern stets geneigte Zeugen zur Verfügung stünden. Denn mit einer Widerklage oder der Drittwiderklage hätte der Zeuge D… wegen seiner Haftung nach § 18 StVG unschwer zur Partei gemacht werden können. Eine Zeugenvernehmung wäre dann unzulässig gewesen. Im Übrigen hat jeder Zeuge wahrheitsgemäß auszusagen. Somit hätten auch die Beklagten den Zeugen D… zum Beweis der Richtigkeit ihres Tatsachenvortrags benennen und ggf. eine Beeidigung anregen können. Sofern man einen Beweisnotstand schon dann bejahen wollte, wenn nur eine Partei Zeugen aus ihrer Sphäre benennt, würde vorab unterstellt, Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, § 448 Rn 4 Vorsichtiger wohl OLG Karlsruhe, NJW-RR 1998, 78: Die Glaubwürdigkeit eines im Lager der Parteien stehenden Unfallzeugen kann durch Anhörung der Gegenpartei erschüttert werden. Zur förmlichen Parteivernehmung und zum „Anbeweis“: Thomas/Putzo/ Reichold, ZPO, § 448 Rn 2 mwNw. Zur Anhörung im Verkehrsunfallprozess OLG München, NJW 2011, 3729 sowie Greger, MDR 2014, 312, 315 f. Der Verkehrsunfall entspricht nicht der klassischen Vier-Augen-Situation, weil weder eine Beweisnotlage noch eine strukturelle Waffenungleichheit besteht. Der Beklagte befand sich nicht in Beweisnot, da er es unterlassen hat, die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu beantragen. Weitere Argumente gegen eine Beweisnot der Beklagtenseite: Er hätte die Möglichkeit der Drittwiderklage gegen den Zeugen D gehabt oder den Zeugen D seinerseits benennen können. Unzulässigkeit der Unterstellung einer „Lageraussage“ © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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