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RA Digital - 01/2018

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32 Öffentliches Recht

32 Öffentliches Recht RA 01/2018 Subsumtion Ankündigung des Abschaltens der Beleuchtung und Aufruf an Bürger und Geschäftsleute, Beleuchtung ebenfalls auszuschalten, verletzt Sachlichkeitsgebot. Einzige Abweichung vom Berufungsurteil: Aufruf zur Teilnahme an der Gegendemonstration verletzt ebenfalls Sachlichkeitsgebot. Arg.: Unzulässige Lenkung der öffentlichen Meinungsbildung (ebenso Ferreau, NVwZ 2017, 1259, 1263) RA 1/2017, 37 Nach diesen Maßstäben hat das Oberverwaltungsgericht den Aufruf des Oberbürgermeisters der Beklagten, das Licht auszuschalten, sowie das Abschalten der Beleuchtung an mehreren städtischen Gebäuden zu Recht für rechtswidrig gehalten. […] Die mit beiden Maßnahmen verbundene negative Symbolik des öffentlichen Lichtlöschens bringt in drastischer Weise die Missbilligung der mit der Versammlung der Klägerin verfolgten politischen Ziele zum Ausdruck. Sie verlässt die Ebene eines rationalen und sachlichen Diskurses, ohne für eine weitere diskursive Auseinandersetzung mit den politischen Zielen der von der Klägerin angemeldeten Versammlung offen zu sein. Entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts verletzt aber auch der Aufruf des Oberbürgermeisters der Beklagten, an einer friedlichen Gegendemonstration teilzunehmen, das Sachlichkeitsgebot. Der Aufruf verfolgte das Ziel, die Versammlung der Klägerin in ihrer Wirkung zu schwächen und die Gegendemonstration zu stärken. Er greift unzulässig in den Wettstreit der politischen Meinungen ein und nimmt lenkenden Einfluss auf die Grundrechtsausübung der Bürger. Der Wettbewerb zwischen gegenläufigen friedlichen Versammlungen ist jedoch im Rahmen staatsfreier Meinungsbildung der Bevölkerung auszutragen und darf nicht staatlich beeinflusst werden.“ Demnach ist die Erklärung des O insgesamt rechtswidrig. FAZIT Die RA hatte bereits über die Berufungsentscheidung des OVG Münster berichtet, die das BVerwG weitgehend bestätigt hat. Mit seinem Urteil beantwortet das BVerwG mehrere äußerst examensrelevante Fragen: • Amtliche Äußerungen eines Bürgermeisters zu Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft können sich auf die gemeindliche Selbstverwaltungsgarantie stützen, solange sie nur zu mittelbar-faktischen Grundrechtseingriffen führen. Jura Intensiv • Amtliche Äußerungen eines Bürgermeisters über Parteien unterliegen einem strikten Neutralitätsgebot. Das gilt für Äußerungen über andere politische Gruppierungen hingegen nicht; hier muss der Bürgermeister aber das aus dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip folgende Sachlichkeitsgebot beachten. • Das Sachlichkeitsgebot beinhaltet einerseits die Pflicht des Bürgermeisters, Auseinandersetzungen rational-argumentativ zu führen, und verbietet ihm andererseits eine Lenkung der öffentlichen Meinungsbildung. Daher ist ihm auch ein Aufruf zu einer Gegendemonstration nicht gestattet, unabhängig davon, ob er die zuständige Versammlungsbehörde ist. Z.B. OVG Münster, RA 2017, 37, 39 Insbesondere der zuletzt genannte Punkt ist von großer Bedeutung, weil amtliche Aufrufe zu Gegendemonstrationen immer wieder zu Rechtsstreitigkeiten führen und die Obergerichte hier bisher durchaus eine abweichende Rechtsauffassung vertreten haben. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 01/2018 Öffentliches Recht 33 Problem: Fahrrad-Demo auf der Autobahn Einordnung: Versammlungsrecht OVG Münster, Beschluss vom 03.11.2017 15 B 1370/17 EINLEITUNG Eine geplante Fahrraddemonstration auf einer Autobahn gab dem OVG Münster die Gelegenheit, die Reichweite des Versammlungsgrundrechts auszuloten. SACHVERHALT Anlässlich des Weltklimagipfels in Bonn meldete A für Samstag den 04.11.2017 eine Fahrraddemonstration auf der Bundesautobahn (BAB) 555 zwischen der Anschlussstelle Wesseling und dem Kreuz Bonn-Nord bei der zuständigen Behörde an. Die Behörde untersagte ihm dies mittels einer für sofort vollziehbar erklärten, formell ordnungsgemäßen Verfügung. Stattdessen soll die Demonstration nach dem Willen der Verwaltung auf anderen Straßen in räumlicher Nähe zur BAB 555 stattfinden. Zur Begründung weist die Behörde darauf hin, dass der 04.11.2017 in das letzte Herbstwochenende in NRW fällt, sodass mit einem beträchtlichen Rückreiseverkehr zu rechnen sei, womit die Demonstration zu erheblichen Verkehrsbehinderungen führen werde. Ferner müsste die Autobahn wegen der vorbereitenden verkehrslenkenden Maßnahmen für mindestens zwei Stunden gesperrt werden, und zwar in beide Richtungen. Den A überzeugt diese Argumentation nicht. Er beruft sich auf sein Versammlungsgrundrecht und die dadurch garantierte freie Wahl des Versammlungsortes. Zudem gehe von einer Fahrraddemonstration auf einer Bundesautobahn mit Blick auf die Klimadiskussion eine besondere Signalwirkung aus. Weiterhin müsse ja nicht die komplette Autobahn gesperrt werden, sondern nur eine Fahrspur für die Fahrräder. Warum auch die Gegenfahrbahn zu sperren sei erschließe sich ihm überhaupt nicht. Schließlich verweist A auf regelmäßig stattfindende Fahrraddemonstrationen auf Stadtautobahnen in Berlin. Ist die Verfügung rechtmäßig? Jura Intensiv LEITSATZ Das Interesse des Veranstalters einer Versammlung und der Versammlungsteilnehmer an der ungehinderten Nutzung einer Bundesfernstraße hat je nach Lage der Dinge im Einzelfall hinter die Belange der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs zurückzutreten. Für Bundesautobahnen gilt dies in herausgehobener Weise, weil sie gemäß § 1 Abs. 3 FStrG nur für den Schnellverkehr mit Kraftfahrzeugen bestimmt sind. [Anm.: In Nordrhein-Westfalen existiert kein Landesversammlungsgesetz. Es ist anzunehmen, dass auf den besagten Stadtautobahnen in Berlin eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 80 km/h gilt, wohingegen für den fraglichen Abschnitt der BAB 555 Höchstgeschwindigkeit gefahren werden darf.] LÖSUNG Die Verfügung ist rechtmäßig, wenn sie auf einer wirksamen Ermächtigungsgrundlage beruht, die formell und materiell rechtmäßig angewandt wurde. I. Ermächtigungsgrundlage für die Verfügung Als Ermächtigungsgrundlage für die Verfügung kommt § 15 I VersammlG (i.V.m. Art. 125a I 1 GG) in Betracht. Die Norm ermöglicht auch den Erlass von „Auflagen“, also sonstiger Beschränkungen jenseits des Verbots einer Versammlung. Beachte: Da Versammlungen nicht genehmigt werden, handelt es sich um keine „echte“ Auflage i.S.v. § 36 VwVfG. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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