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RA Digital - 01/2019

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RA 01/2019 Zivilrecht 5 PRÜFUNGSSCHEMA A. K gegen B gem. §§ 437 Nr. 1, 439 I BGB I. Kaufvertrag II. Mangel bei Gefahrübergang III. Kein Ausschluss 1. Unmöglichkeit gem. § 275 I BGB 2. Bindung an die gewählte Art der Nacherfüllung 3. Nachträgliche Behebung des Mangels B. Ergebnis LÖSUNG A. K gegen B gem. §§ 437 Nr. 1, 439 I BGB K könnte gegen B einen Anspruch auf Lieferung einer mangelfreien Sache gem. §§ 437 Nr. 1, 439 I BGB haben. I. Kaufvertrag Am 20.07.2012 schlossen die Parteien einen Kaufvertrag i.S.d. § 433 BGB über einen Neuwagen zum Kaufpreis von 38.000 €. II. Mangel bei Gefahrübergang Das Fahrzeug müsste bei Gefahrübergang mangelhaft i.S.d. § 434 BGB gewesen sein. Die Gefahr ging gem. § 446 S. 1 BGB mit der Übergabe der Kaufsache an den Käufer auf diesen über. Ein Sachmangel gem. § 434 BGB liegt vor, wenn die Ist-Beschaffenheit der Kaufsache negativ von deren Soll- Beschaffenheit abweicht. Für eine besondere Vereinbarung der Beschaffenheit des Fahrzeugs (§ 434 I 1 BGB) liegen keine Anhaltspunkte vor. In Betracht kommt jedoch ein Sachmangel gem. § 434 I 2 Nr. 2 BGB. „[28] Das dem K gelieferte Neufahrzeug war bei Gefahrübergang [am 10.09.2012] schon aufgrund der irreführenden Warnmeldung nicht frei von Sachmängeln. Es eignete sich weder für die gewöhnliche Verwendung noch wies es die Beschaffenheit auf, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann (§ 434 I 2 Nr. 2 BGB). [29] Für die gewöhnliche Verwendung eignet sich ein Kraftfahrzeug grds. nur dann, wenn es nach seiner Beschaffenheit keine technischen Mängel aufweist, die die Zulassung zum Straßenverkehr hindern oder die Gebrauchsfähigkeit aufheben oder beeinträchtigen. Dem wird das von B gelieferte Fahrzeug nicht gerecht, weil dessen Gebrauchsfähigkeit beeinträchtigt war. [30] Die Fahrzeugsoftware erteilte dem Fahrer bei (drohender) Überhitzung der Kupplung - unter Hinweis auf die „Kupplungstemperatur“ - die Anweisung „Vorsichtig anhalten und Kupplung abkühlen lassen“. Ein durchschnittlicher Fahrzeugführer kommt einer solchen Aufforderung, die eine unmittelbare Reaktion verlangt, zur Vermeidung von Schäden nach und wird das Fahrzeug ohne vermeidbare Verzögerungen anhalten; sodann wird er mit Rücksicht auf den weiteren Text der Warnmeldung abwarten, bis diese erlischt („Nach Erlöschen dieser Meldung ist die Weiterfahrt möglich“). Nach dem Inhalt der Warnmeldung kann dies bis zu 45 Minuten dauern. Jura Intensiv In Klausuren sollte immer zunächst ein Mangel nach § 434 I 1 BGB angeprüft werden, weil die Haftung für einen Mangel aufgrund des Fehlens einer vereinbarten Beschaffenheit nicht rechtsgeschäftlich ausgeschlossen werden kann. Anschließend kann, wie hier, eine ausführliche Darstellung und Auseinandersetzung mit dem Mängelbegriff i.S.d. § 434 I 2 BGB erfolgen. Aufgrund der nicht erforderlichen Warnmeldung wies das Fahrzeug bei Gefahrübergang eine Beschaffenheit auf, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer auch nach der Art der Sache erwarten kann (§ 434 I 2 Nr. 2 BGB). © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

6 Zivilrecht RA 01/2019 Zur Beurteilung der Mängelfreiheit eines Kaufgegenstandes ist die Beschaffenheit, die „bei Sachen der gleichen Art“ üblich ist und die der Käufer „nach der Art der Sache“ erwarten kann, maßgebend (sog. herstellerübergreifender Vergleichsmaßstab). Die Nachlieferung einer mangelfreien Ersatzes war nicht nach § 275 I BGB unmöglich. Die Nacherfüllung gem. § 439 I BGB ist erst unmöglich, wenn weder Nachlieferung noch Nachbesserung geleistet werden können. [31] Ein Anhalten des Fahrzeugs war indes zum Schutz der Kupplung tatsächlich nicht geboten, weil diese auch abkühlen kann, wenn die Fahrt fortgesetzt wird. Dies blieb dem Fahrer jedoch - jedenfalls vor der Installation der nach dem Vortrag der Beklagten ab Juli 2013 zur Verfügung stehenden Programmverbesserung - verborgen. Die Aufforderung zum Anhalten des Fahrzeugs war daher irreführend und beeinträchtigte die gewöhnliche Verwendung des Fahrzeugs als Fortbewegungsmittel im öffentlichen Straßenverkehr, weil die installierte Software den Fahrer aufforderte, den Fahrbetrieb ohne objektiv gegebenen Anlass zu unterbrechen. [33] Das Fahrzeug wies - in Ansehung der irreführenden Softwaremeldung - bei Gefahrübergang auch nicht die Beschaffenheit auf, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach Art der Sache erwarten kann. Dem steht nicht entgegen, dass die von der Software bei (drohender) Überhitzung der Kupplung generierte irreführende Aufforderung, das Fahrzeug anzuhalten, um die Kupplung abkühlen zu lassen, dem - jedenfalls bis Juli 2013 - maßgeblichen Softwarestand der betreffenden Fahrzeugserie entsprach. [34] Denn § 434 I 2 Nr. 2 BGB bezeichnet als Vergleichsmaßstab zur Beurteilung der Mangelfreiheit eines Kaufgegenstandes ausdrücklich die Beschaffenheit, die „bei Sachen der gleichen Art“ üblich ist und die der Käufer „nach der Art der Sache“ erwarten kann. Nach dieser Maßgabe ist, wie der Senat bereits ausgesprochen hat, nicht lediglich eine auf denselben Fahrzeugtyp des Herstellers bezogene fabrikatsinterne Betrachtung anzustellen, sondern ein herstellerübergreifender Vergleichsmaßstab heranzuziehen, der Serienfehler unberücksichtigt lässt.“ Bei Gefahrübergang am 10.09.2012 lag daher ein Sachmangel .S.d. § 434 I 2 Nr. 2 BGB vor. III. Kein Ausschluss K fordert hier Ersatzlieferung einer mangelfreien Sache gem. § 439 I 2. Alt. BGB. Als Käufer steht ihm diesbezüglich grds. ein Wahlrecht zu. Der Anspruch auf Ersatzlieferung dürfte allerdings nicht ausgeschlossen sein. Jura Intensiv 1. Unmöglichkeit gem. § 275 I BGB In Betracht kommt hier ein Ausschluss wegen Unmöglichkeit nach § 275 I BGB. Dies setzt voraus, dass der Leistungserfolg dauerhaft nicht herbeigeführt werden kann. „[39] Die Revision beruft sich vergeblich darauf, B sei eine Ersatzlieferung deshalb unmöglich, weil das Software-Update zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch nicht entwickelt gewesen sei; erst ab Juli 2013 ausgelieferte Fahrzeuge seien damit ausgestattet gewesen. Somit seien diese nicht identisch mit dem von K im Jahr 2012 gekauften, dem damaligen Serienstandard entsprechenden Fahrzeug. [40] Die geschuldete Leistung ist dem Schuldner nur dann unmöglich, wenn er sie auch durch Beschaffung oder Wiederbeschaffung nicht erbringen kann. Die Unmöglichkeit der vom Verkäufer übernommenen Beschaffungspflicht tritt nach dieser Maßgabe nicht bereits deshalb ein, weil die Softwareversion der ab Juli 2013 hergestellten Fahrzeuge korrigiert worden sei. Daraus folgt gerade nicht, dass B ab Juli 2013 eine mangelfreie Sache der geschuldeten Art nicht beschaffen könnte. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

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