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RA Digital - 01/2019

Die Ausbildungszeitschrift von Jura Intensiv.

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RA 01/2019 Öffentliches Recht 33 Problem: Fahrtenbuchauflage Einordnung: Gefahrenabwehrrecht/Straßenverkehrsrecht OVG Weimar, Beschluss vom 20.09.2018 2 EO 378/18 EINLEITUNG Die Prüfung eher unbekannter Vorschriften des Öffentlichen Rechts wird in beiden Examina immer wieder verlangt (z.B. 1. Examen: Berlin / Brandenburg, Termin April 2017: Waffenrecht; Hessen und Niedersachsen, Termin Juli 2017: Aufenthaltsrecht; NRW, Termin Oktober 2018: Naturschutzrecht; 2. Examen: Hessen und NRW, Termine September und November 2018: Denkmalschutzrecht und Immissionsschutzrecht; Bad.-Württemberg, Termin Juni 2018: Wasserrecht). Auch der vom OVG Weimar zu prüfende § 31a StVZO war vor nicht allzu langer Zeit Gegenstand einer Klausur des 1. Examens (NRW, Termin Dezember 2016). Idealerweise nutzen Sie die nachfolgend dargestellte Entscheidung, um den Umgang mit unbekannten Normen zu trainieren. D.h. lesen Sie den Sachverhalt und versuchen Sie danach, selbst eine Lösung zu entwickeln, bevor Sie sich die rechtliche Würdigung des OVG Weimar ansehen. SACHVERHALT Am 5.8.2017 befuhr ein auf A zugelassenes Fahrzeug in Nörten-Hartenberg die Bundesstraße 3 und überschritt dabei die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 26 km/h. Mit Schreiben der zuständigen Behörde vom 25.8.2018 wurde A angehört. Mit dem Schreiben übermittelte die Behörde dem A ein Foto, auf dem der Fahrer zu identifizieren war. A äußerte, Bekannte von ihm hätten ihm beim Umzug geholfen. Diese Bekannten hätten ihrerseits noch Freunde zum Helfen mitgebracht. Es könne nun „beim besten Willen nicht mehr eruiert werden“, wer der Fahrer des Pkw gewesen sei. Ein weiterer Aufklärungsversuch der Verwaltung am 10.10.2017 blieb erfolglos. Daraufhin ordnete die zuständige Behörde, gestützt auf § 31a StVZO, gegenüber A an, dass er ab dem zehnten Tag nach Zustellung des Bescheids für das Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen ... oder für künftig zuzulassende Fahrzeuge für die Dauer von sechs Monaten ein Fahrtenbuch zu führen habe. Ist die Anordnung rechtmäßig? Jura Intensiv LÖSUNG Die Anordnung ist rechtmäßig, wenn sie auf einer wirksamen Ermächtigungsgrundlage beruht, die formell und materiell fehlerfrei angewandt wurde. I. Ermächtigungsgrundlage für das Fahrtenbuch Als Ermächtigungsgrundlage für die Auferlegung des Fahrtenbuchs kommt § 31a I 1 StVZO in Betracht. II. Formelle Rechtmäßigkeit des Fahrtenbuchs Die Auferlegung des Fahrtenbuchs muss formell rechtmäßig erfolgt sein. Laut Sachverhalt hat die zuständige Behörde gehandelt. Weiterhin ist A vor Erlass des Fahrtenbuchs gem. § 28 I VwVfG angehört worden. Formfehler sind schließlich nicht ersichtlich. Somit erfolgte die Auferlegung des Fahrtenbuchs formell rechtmäßig. LEITSÄTZE: 1. Eine Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrzeugführers (§ 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO) ist anzunehmen, wenn die Behörde nicht in der Lage war, den Täter zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat. 2. Art und Umfang der Ermittlungen hängen dabei auch von der Bereitschaft des Fahrzeughalters ab, bei der Feststellung des Fahrzeugführers mitzuwirken (st. Rspr.). 3. Die Mitwirkungspflicht des Fahrzeughalters ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil er sich nicht mehr genau an die Person erinnert, die tatsächlich gefahren ist, sondern nur den Kreis der möglichen Fahrer bezeichnen kann. 4. Durch die Benennung dieses Personenkreises kann der Fahrzeughalter die behördlichen Ermittlungen wesentlich fördern und auf diese Weise seiner Mitwirkungspflicht nachkommen. Obersatz bei Rechtmäßigkeitsprüfung § 31a I StVZO: „Die nach Landesrecht zuständige Behörde kann gegenüber einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn zugelassene oder künftig zuzulassende Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuchs anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Die Verwaltungsbehörde kann ein oder mehrere Ersatzfahrzeuge bestimmen.“ © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

34 Öffentliches Recht RA 01/2019 III. Materielle Rechtmäßigkeit des Fahrtenbuchs Das Fahrtenbuch muss zudem materiell rechtmäßig sein. Das bedeutet, die Tatbestandsvoraussetzungen des einschlägigen § 31a I 1 StVZO müssen erfüllt sein und die Behörde muss das ihr auf der Rechtsfolgenseite eröffnete Ermessen fehlerfrei ausgeübt haben. Vgl. VGH München, NJW 2011, 326, 326f.; Koehl, SVR 2011, 416 417f. Zum Prüfungsaufbau: Diese Überlegungen zur Verhältnismäßigkeit können alternativ natürlich auch erst i.R.d. Rechtsfolge angestellt werden. Kriterien für Ermittlung des Fahrzeugführers: Angemessenheit und Zumutbarkeit Wichtig: Bereitschaft des Fahrzeughalters, bei der Ermittlung des Fahrers mitzuwirken Subsumtion 1. Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften Gem. § 31a I 1 StVZO muss eine Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften vorliegen. Das ist hier in Gestalt des Geschwindigkeitsverstoßes der Fall. Allerdings ist fraglich, ob jede noch so geringfügige Zuwiderhandlung die Auferlegung eines Fahrtenbuchs rechtfertigen kann. Angesichts der mit dem Führen eines Fahrtenbuchs verbundenen Belastung wird unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten zu fordern sein, dass ein erheblicher Rechtsverstoß vorliegt. Vorliegend hat der Fahrer des Fahrzeugs des A die zulässige Höchstgeschwindigkeit um 26 km/h überschritten. Eine solche Überschreitung birgt die Gefahr in sich, dass der Fahrer das Fahrzeug in überraschenden Situationen nicht mehr beherrschen, insbesondere nicht frühzeitig zum Stehen bringen kann. Es besteht ein erhebliches Risiko für andere Verkehrsteilnehmer. Von daher liegt bei dieser Geschwindigkeitsüberschreitung ein erheblicher Verkehrsverstoß vor, sodass eine Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften i.S.v. § 31a I 1 StVZO gegeben ist. 2. Feststellung des Fahrzeugführers nicht möglich Die Feststellung des Fahrzeugführers dürfte weiterhin nicht möglich gewesen sein. „Eine Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrzeugführers im Sinne des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO ist anzunehmen, wenn die Behörde nach den Umständen des Einzelfalls nicht in der Lage war, den Täter zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat. Für die Beurteilung der Angemessenheit und Zumutbarkeit der Aufklärung kommt es darauf an, ob die Behörde mit sachgerechtem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen getroffen hat, die der Bedeutung des aufzuklärenden Verkehrsverstoßes gerecht werden und erfahrungsgemäß Erfolg haben können. Art und Umfang der Ermittlungen hängen dabei auch von der Bereitschaft des Fahrzeughalters ab, bei der Feststellung des Fahrzeugführers mitzuwirken. Gibt der Fahrzeughalter etwa im Hinblick auf sein Aussageverweigerungsrecht als Beschuldigter oder auf sein Zeugnisverweigerungsrecht als Zeuge zu erkennen, dass er jede Erklärung darüber ablehnt, wer das Fahrzeug zum maßgeblichen Zeitpunkt geführt hat, so erübrigen sich in aller Regel weitere Ermittlungen, es sei denn, es liegen Verdachtsmomente vor, die in eine bestimmte Richtung deuten und eine Aufklärung auch ohne Mitwirkung des Halters aussichtsreich erscheinen lassen. Jura Intensiv […] Das Landratsamt hörte den Antragsteller mit Schreiben vom 25. August 2017 zur vorgeworfenen Geschwindigkeitsüberschreitung an. Nachdem der Antragsteller hatte mitteilen lassen, es sei nicht mehr zu eruieren, wer der Fahrer gewesen sei, wurde noch ein weiterer Aufklärungsversuch unternommen, der laut Ermittlungsprotokoll vom Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

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