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RA Digital - 01/2021

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26 Nebengebiete

26 Nebengebiete RA 01/2021 LÖSUNG Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht angenommen, die Klägerin könne die Zahlung des Ausgleichsbetrags nicht fordern, da ihr hierzu die Anspruchsberechtigung fehle. Die Personengesellschaft kann den von ihr verfolgten Gesellschaftszweck ändern. So kann z.B. eine GbR zunächst den Zweck der Gründung, dann den Zweck des Betriebs (z.B. einer Sozietät) und schließlich den Zweck der Beendigung (sog. Liquidation) verfolgen. Der Wandel des verfolgten Zwecks ändert nichts an der Identität der Gesellschaft. So liegt z.B. arbeitsrechtlich kein Betriebsübergang gem. § 613a BGB vor. Im Bereich von OHG und KG liegt zudem auch kein Fall des § 25 I HGB vor. Auf dem Gesellschaftsvertrag beruhende Ansprüche der Gesamthand gegen die einzelnen Gesellschafter werden als „Sozialansprüche“ bezeichnet (z.B. Beitragspflicht, Wettbewerbsverbot, Schadensersatz wegen Verletzung gesellschaftsvertraglicher Pflichten. Die Sozialansprüche richten sich nur gegen den jeweils betroffenen Gesellschafter. Wenn z.B. ein Gesellschafter seine Beitragspflicht nicht erfüllt, müssen die anderen nicht an seiner Stelle anteilig einspringen, denn keiner ist verpflichtet, mehr als den vereinbarten Beitrag zu leisten (§ 707 BGB). Jedoch ist jeder Gesellschafter auch seinen Mitgesellschaftern – und zwar jedem einzelnen gegenüber – verpflichtet, die nach dem Gesellschaftsvertrag geschuldete Leistung zu erbringen. Das bedeutet, dass jeder Mitgesellschafter – auch ein nicht geschäftsführungs- und vertretungsberechtigter – diesen Anspruch gegen den verpflichteten Gesellschafter geltend machen kann, ohne die anderen fragen zu müssen. Jedoch darf er ausschließlich Leistung an die Gesamtheit aller Gesellschafter verlangen (sogenannte actio pro socio). [20] aa) Der Senat hat, bereits entschieden, dass bei einer Publikumsgesellschaft der Liquidator auch ohne entsprechende gesellschaftsvertragliche Ermächtigung befugt ist, namens der Gesellschaft rückständige Einlagen oder Nachschüsse nach § 735 BGB zum Zweck des internen Gesellschafterausgleichs einzufordern. Ob diese Befugnis auch bei anderen Personengesellschaften besteht, ist in der jüngeren Rechtsprechung des Senats hingegen offengeblieben (...). [21] In der Literatur ist die Frage umstritten. Einige vertreten (...) weiterhin die Auffassung, der Liquidator sei ohne besondere Ermächtigung durch die Gesellschafter nicht befugt, Nachschüsse gemäß § 735 BGB zum Zweck der Ausgleichung unter den Gesellschaftern geltend zu machen (...). Die inzwischen wohl überwiegende Ansicht bejaht hingegen einen vom Liquidator geltend zu machenden Nachschussanspruch der Gesellschaft auch zum Zweck des Innenausgleichs (...). Soweit z.T. ein Anspruch der Gesellschaft auf Beträge, die zur Rückerstattung von Einlagen benötigt werden, deshalb verneint wird, weil die Rückerstattung der Einlagen in einer Personenhandelsgesellschaft nicht vorgesehen sei (...), lässt sich diese Argumentation nicht auf die GbR übertragen. § 733 II 1 BGB sieht die Rückerstattung der Einlagen ausdrücklich vor. [22] bb) Der Senat schließt sich der im Vordringen begriffenen Meinung an. Eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts kann, auch wenn sie keine Publikumsgesellschaft ist, durch ihren Liquidator Nachschüsse gemäß § 735 BGB einfordern, selbst wenn dies nur noch dem Ausgleich unter den Gesellschaftern dient. [23] (1) Nach Anerkennung der Rechtsfähigkeit der Außengesellschaft bürgerlichen Rechts (...) sind Ausgleichsansprüche der Gesellschafter nicht mehr als reine Ansprüche der Gesellschafter untereinander anzusehen, sondern als Sozialansprüche bzw. Sozialverbindlichkeiten der Gesellschaft (...). Gläubigerin des Anspruchs auf Nachschuss gemäß § 735 BGB ist die Gesellschaft (...). Dieser Anspruch umfasst auch den Ausgleich eines durch die Rückerstattung von Einlagen entstehenden Fehlbetrags (§§ 733 II, 735 Satz 1 Fall 2 BGB). Solange der Gesellschaft noch ein Anspruch auf Nachschuss gemäß § 735 BGB zusteht, ist ihre Vollbeendigung nicht eingetreten. Sie besteht als Rechtssubjekt fort und wird vorbehaltlich einer anderweitigen gesellschaftsvertraglichen Regelung durch ihre Liquidatoren vertreten. Jura Intensiv [24] Die abweichende Auffassung der früheren Senatsrechtsprechung (...) beruhte – in Übereinstimmung mit den Vorstellungen des historischen Gesetzgebers – noch auf einem Gesamthandsverständnis der Personengesellschaften, das keine Rechtspersönlichkeit der Gesellschaft kannte; dieses Verständnis ist inzwischen überholt. FAZIT G kann die GbR im Prozess wirksam vertreten. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 01/2021 Nebengebiete 27 Arbeitsrecht Problem: Urlaubsgewährung bei fristloser Kündigung Einordnung: Gewissheit, nicht arbeiten zu müssen BAG, Urteil vom 25.08.2020 9 AZR 612/19 EINLEITUNG Außerordentliche Kündigungen werden i.d.R. mit einer hilfsweise ordentlichen Kündigung kombiniert. Kann der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer für den Fall der Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung Urlaub während der Kündigungsfrist gewähren? SACHVERHALT Die Parteien stritten über Restvergütung aus einem beendeten Arbeitsverhältnis. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis außerordentlich und fristlos, hilfsweise ordentlich. Im Kündigungsschreiben hieß es u.a. zum Urlaub: „Für den Fall der Wirksamkeit der fristlosen Kündigung gelte ich Ihnen bis zum Kündigungszeitpunkt nicht genommenen Urlaub ab. Für den Fall der nicht anzunehmenden Unwirksamkeit der Kündigung habe ich Ihnen ordentlich gekündigt. Für diesen Fall gilt folgendes: Sie werden Ihren noch nicht genommenen Urlaub im Anschluss an den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung nehmen. Die gezahlte Abgeltung ist dann als Zahlung des Urlaubsentgelts zu verstehen. In jedem Fall sage ich Ihnen für die Zeit Ihres Urlaubs die Urlaubsvergütung vorbehaltlos zu.“ Den entsprechenden Betrag zahlte die Beklagte an den Kläger zunächst als Urlaubsabgeltung aus. Im Rahmen des Kündigungsschutzprozesses schlossen die Parteien einen gerichtlichen Vergleich, wonach das Arbeitsverhältnis durch ordentliche Kündigung zum 31.10.2017 beendet wurde. Im Anschluss nahm die Beklagte Korrekturabrechnungen vor und behandelte die bisherige Urlaubsabgeltung entsprechend ihrer oben erwähnten Ausführungen im Kündigungsschreiben als bereits geleistetes Urlaubsentgelt. Der Kläger meinte, der Beklagte hätte die bereits geleistete Urlaubsabgeltung nicht nachträglich als Urlaubsentgelt behandeln dürfen. Die vorsorgliche Urlaubsgewährung für den Fall der Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung sei nicht zulässig gewesen, da während des Laufs der Kündigungsfrist nicht klar gewesen sei, ob überhaupt eine Arbeitspflicht bestanden habe. Jura Intensiv LÖSUNG Die Voraussetzungen für einen Anspruch des Klägers auf Vergütung wegen Annahmeverzugs sind nicht erfüllt. Der Beklagte hat dem Kläger im Kündigungsschreiben wirksam Urlaub erteilt. Nach § 7 I BUrlG hat der Arbeitgeber bei der zeitlichen Festlegung des Urlaubs die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers zu berücksichtigen, es sei denn, dass ihrer Berücksichtigung dringende betriebliche Belange oder Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer, die unter sozialen Gesichtspunkten den Vorrang verdienen, entgegenstehen. Allerdings ist ein dem Arbeitgeber mitgeteilter Urlaubswunsch nicht Voraussetzung für dessen Recht, die zeitliche Lage des LEITSATZ Im Zusammenhang mit dem Ausspruch einer fristlosen Kündigung kann der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Urlaub vorsorglich für den Fall gewähren, dass die außerordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht auflöst. Ist der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses ungewiss, weil der Arbeitnehmer gegen die fristlose Kündigung Kündigungsschutzklage erhoben hat, steht dies der Erfüllung des Urlaubsanspruchs nicht entgegen. Maßgeblich ist nicht, ob der Arbeitnehmer das Bestehen seiner Arbeitspflicht kennt, sondern dass er die Gewissheit hat, während eines bestimmten Zeitraums nicht zur Arbeit herangezogen zu werden, und sich deshalb nicht zur Erbringung einer Arbeitsleistung bereithalten muss. Ein Anspruch des AN auf Vergütung wegen Annahmeverzugs ist ausgeschlossen, wenn dem AN für den fraglichen Zeitraum Urlaub gewährt wurde. Nach § 615 Satz 1 BGB hat der AG die vereinbarte Vergütung (§ 611a II BGB) fortzuzahlen, wenn er mit der Annahme der Dienste des AN in Verzug gerät. Das setzt nach § 293 BGB die Nichtannahme der vom AN geschuldeten Arbeitsleistung voraus. In Annahmeverzug kann ein AG nur geraten, wenn im streitgegenständlichen Zeitraum ein erfüllbares Arbeitsverhältnis besteht, aufgrund dessen der AN zur Arbeitsleistung verpflichtet ist. Hat ein AG den AN rechtswirksam durch Urlaubsgewährung von der Arbeitspflicht befreit, kommen für diesen Zeitraum Ansprüche des AN auf Annahmeverzugslohn nicht in Betracht. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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