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RA Digital - 02/2016

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92 Öffentliches Recht

92 Öffentliches Recht RA 02/2016 Treueverstoß erst, wenn alleiniges Ziel darin besteht, das Bürgerbegehren zu vereiteln. Diese Treuepflicht ist allerdings wegen der Gleichwertigkeit von Entscheidungen der Gemeindeorgane einerseits und von Bürgerentscheiden andererseits nicht schon dann verletzt, wenn die Entscheidung des Gemeindeorgans dem Bürgerentscheid zuvorkommt. Ein in diesem Sinne treuwidriges Handeln eines Gemeindeorgans setzt vielmehr voraus, dass dessen Handeln […] bei objektiver Betrachtung nicht durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt war, sondern dem Zweck diente, dem Bürgerbegehren die Grundlage zu entziehen und damit eine Willensbildung auf direkt-demokratischem Wege zu verhindern.“ Ein derartiges treuwidriges Verhalten könnte in dem widersprüchlichen Verhalten der Stadtverwaltung zu sehen sein. Tenor des Gerichts: „Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung bis zur bestands- bzw. rechtskräftigen Entscheidung über die Zulassung des Antrags auf das Bürgerbegehren untersagt, die im Geltungsbereich der Baumaßnahme „Rathausbrücke“ stehenden […] Bäume zu fällen, es sei denn, zu diesem Zeitpunkt haben rechtliche Verpflichtungen der Gemeinde hierzu bestanden.“ Eilbedürftigkeit „[39] […] Einerseits die Erledigung des Bürgerbegehrens mit dem Argument zu begründen, dass die Entscheidung des Stadtrates vom 28. Januar 2015 zu Neuplanungen dem Ziel des Bürgerbegehrens entspreche, andererseits später festzustellen, dass bereits mit dem Beschluss des Bau- und Verkehrsausschusses vom 27. März 2014 die Planung alternativlos geworden sei, ist nicht nachvollziehbar. Diese, zumindest auch auf Verhinderung eines Bürgerbegehrens angelegte Verhaltensweise verletzt das Gebot der Organtreue und gebietet die Sicherung der in § 17 ThürKO und § 7 der Hauptsatzung der Antragsgegnerin eröffnete Möglichkeit zur demokratischen Willensbildung im Wege des Bürgerbegehrens.“ Demnach besteht ein zu sichernder Anspruch aus § 17 III ThürKO, der auch glaubhaft gemacht ist (§ 123 III VwGO i.V.m. §§ 294, 920 II ZPO). Dieser Anspruch kann allerdings nicht weiter reichen als die ausdrücklich normierte Sperrwirkung des § 17 V ThürKO. Zudem findet sich eine zeitliche Grenze im Zeitpunkt der Erfüllung des zu sichernden Anspruchs. D.h. die Vornahme von Vollzugsmaßnahmen ist der Stadt nur bis zur Entscheidung über die Zulassung des Antrags auf das Bürgerbegehren gem. § 17 III 9 ThürKO zu untersagen. Das ist bei der Formulierung des gerichtlichen Tenors zu berücksichtigen. Jura Intensiv II. Anordnungsgrund „[18] Ein Anordnungsgrund ergibt sich hier daraus, dass die rechtlich verbindliche Auftragsvergabe noch im laufenden Jahr abgeschlossen werden soll und der Baubeginn, der mit der Fällung der brückennahen Bäume einhergeht, für Januar 2016 vorgesehen ist. Damit würde sich aber das von den Antragstellern verfolgte Bürgerbegehren erledigen.“ Der Anordnungsgrund wurde auch glaubhaft gemacht (§ 123 III VwGO i.V.m. §§ 294, 920 II ZPO). Der Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung ist begründet. FAZIT Soweit ersichtlich hat sich das OVG Weimar mit der dargestellten Rechtsproblematik bisher noch nicht auseinandersetzen müssen, was die Entscheidung vor allem für die Studenten in Thüringen zur Pflichtlektüre macht. Das Kernproblem (Sicherung des Anspruchs auf Durchführung eines Bürgerbegehrens) tritt aber zumindest in allen Flächenbundesländern auf, Inhaltsverzeichnis

RA 02/2016 Öffentliches Recht 93 wie an den exemplarisch zitierten Beschlüssen des OVG Münster und des VGH Mannheim zu erkennen ist. Folglich ist der Beschluss des OVG Weimar, trotz der Besonderheiten des thüringischen Landesrechts, bundesweit von Interesse. In der Sache ist der Rechtsauffassung des OVG Weimar beizupflichten, dass ein Anspruch auf Unterlassung des Vollzugs eines angegriffenen Ratsbeschlusses nur ausnahmsweise anzuerkennen ist. Denn Bindungswirkung entfaltet nach allen Gemeindeordnungen bzw. Kommunalverfassungen erst der erfolgreiche Bürgerentscheid. Er wirkt wie ein Beschluss des Gemeinderats, muss folglich umgesetzt, darf also mit anderen Worten nicht unterlaufen werden. Vorher ist die Gemeindeverwaltung hingegen (abgesehen von Spezialregelungen wie § 17 V ThürKO) nach dem Wortlaut des Gesetzes in ihrem Handeln frei und damit auch frei darin, Vollzugsmaßnahmen zu ergreifen, die mit einem Bürgerbegehren und Bürgerentscheid gerade verhindert werden sollen. Würde zudem schon mit Einreichung eines jeden Bürgerbegehrens eine umfassende Sperrwirkung ausgelöst, besteht die Gefahr, dass die Gemeindeverwaltung selbst bei evident aussichtslosen Bürgerbegehren wochenlang an durchaus sinnvollen Vollzugshandlungen gehindert ist. Jura Intensiv Inhaltsverzeichnis

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