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RA Digital - 02/2019

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RA 02/2019 STRAFRECHT Strafrecht 101 Problem: Fehlschlag beim mehraktigen Versuch Einordnung: Strafrecht AT I/Versuch BGH, Urteil vom 06.12.2018 4 StR 260/18 EINLEITUNG Die Angeklagten hatten während einer Hochgeschwindigkeits-Verfol gungsjagd auf der Autobahn mehrere Gegenstände nach einem Polizeiauto geworfen, um nicht gefasst zu werden, wobei sie den Tod der Polizisten billigend in Kauf genommen hatten. Der BGH hat hierin einen einheitlichen mehraktigen Mordversuch, §§ 211, 22, 23 I StGB, gesehen, der trotz mehrerer erfolgloser Würfe nicht fehlgeschlagen war und von dem die Angeklagten sogar noch strafbefreiend zurückgetreten waren. SACHVERHALT Die Angeklagten A und K fuhren nachts zu einem Raiffeisenmarkt, um dort einzubrechen und hochwertige Werkzeuge zu entwenden. Im Beifahrerfußraum ihres hochmotorisierten Fahrzeugs transportierten sie drei große Feldsteine. Außerdem lagen in der Fahrgastzelle des Pkw diverse Einbruchswerkzeuge, insb. ein Hebeleisen, in einem Bundeswehrsack sowie ein Benzinkanister. Mit einem der Steine warfen sie die Eingangstür des Verkaufsraums ein, wodurch eine Alarmanlage ausgelöst wurde, und entwendeten eine Motorsense und einen Laubsauger. Danach verließen sie den Tatort. A steuerte das Fahrzeug, K befand sich auf dem Beifahrersitz. Nach kurzer Fahrt gelangten sie auf eine Autobahn. Dort nahm ein Zivilfahrzeug der Polizei ihre Verfolgung auf. A und K bemerkten dies und gingen auch davon aus, dass es sich hierbei um ein Polizeifahrzeug handelte. K warf nun einen der beiden im Beifahrerfußraum verbliebenen Feldsteine, der ein Gewicht von zwölf Kilogramm hatte, aus dem Fenster der Beifahrerseite auf die Fahrbahn. Das Polizeifahrzeug hatte zu diesem Zeitpunkt eine Geschwindigkeit von 181 km/h und befand sich etwa 80 Meter hinter dem vom A gesteuerten Pkw. Durch eine reaktionsschnelle Lenkbewegung konnte der Polizeibeamte H als Fahrer des Polizeifahrzeugs einen Zusammenstoß mit dem Stein abwenden. Etwa 18 Sekun-den später warf K den letzten der ursprünglich drei Feldsteine aus dem Beifahrerfenster. Dieser hatte ein Gewicht von 27 Kilogramm. Das Polizeifahrzeug befand sich zu diesem Zeitpunkt mit einer Geschwindigkeit von 128 km/h etwa 15 Meter hinter dem Fluchtfahrzeug. Erneut konnte H ausweichen. Etwa sechs Minuten später warf K die zuvor entwendete Motorsense aus dem Beifahrerfenster. Das Polizeifahrzeug, das zu diesem Zeitpunkt eine Geschwindigkeit von 226 km/h hatte, überfuhr die Motorsense. Eine halbe Minute später warf K den Laubbläser aus dem Beifahrerfenster; diesem Hindernis konnte H gefahrlos ausweichen. Die Würfe der Steine und Werkzeuge durch K erfolgten jeweils in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken mit A. Beide handelten mit dem Ziel, einen schweren Verkehrsunfall des sie verfolgenden Polizeifahrzeugs herbeizuführen, um dadurch ihre weitere Verfolgung und die Aufdeckung ihrer Täterschaft bei dem Einbruchsdiebstahl zu vereiteln. Jura Intensiv LEITSATZ DER REDAKTION Ein fehlgeschlagener Versuch liegt vor, wenn die Tat nach Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder nahe liegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält, wobei es auf die Tätersicht nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung ankommt (sog. Rücktrittshorizont). © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

102 Strafrecht RA 02/2019 Ihnen war bewusst, dass es hierdurch auch zum Tod des Polizeibeamten kommen könnte; dies billigten sie. Hat K sich wegen versuchten Mordes, §§ 211, 22, 23 I StGB, strafbar gemacht? PRÜFUNGSSCHEMA: VERSUCHTER MORD, §§ 211, 22, 23 I StGB Heimtücke setzt die bewusste Ausnutzung der auf Arglosigkeit beruhenden Wehrlosigkeit des Opfers in feindseliger Willensrichtung voraus. Arglos ist das Opfer, wenn es sich im Tatzeitpunkt keines Angriffs auf sein Leben oder seine körperliche Integrität versieht. Wehrlos ist das Opfer, wenn es aufgrund der Arglosigkeit nicht in der Lage ist, sich zu verteidigen oder in seinen Verteidigungsmöglichkeiten stark eingeschränkt ist. Gemeingefährlich ist ein Tatmittel, das in der konkreten Tatsituation eine unbestimmte Mehrzahl von Menschen an Leib und Leben gefährden kann, weil der Täter die Ausdehnung der Gefahr nicht in seiner Gewalt hat. A. Vorprüfung B. Tatentschluss I. Bzgl. Tötung des Opfers II. Bzgl. objektiver Mordmerkmale der 2. Gruppe des § 211 II StGB III. Subjektive Mordmerkmale der 1. und 3. Gruppe des § 211 II StGB C. Unmittelbares Ansetzen, § 22 StGB D. Rechtswidrigkeit und Schuld E. Kein Rücktritt gem. § 24 StGB LÖSUNG Durch die Würfe mit den verschiedenen Gegenständen könnte K sich wegen versuchten Mordes gem. §§ 211, 22, 23 I StGB, zum Nachteil des H strafbar gemacht haben? A. Vorprüfung Da H nicht gestorben ist, ist keine Strafbarkeit wegen vollenden Mordes gegeben. Die Strafbarkeit des Versuchs des Mordes ergibt sich aus dessen Verbrechenscharakter, §§ 211 I, 12 I StGB, i.V.m. § 23 I StGB. B. Tatentschluss K müsste Tatentschluss zur Begehung eines Mordes gehabt haben, also den Willen zur Verwirklichung der objektiven Tatbestandsmerkmale beim gleichzeitigen Vorliegen der besonderen subjektiven Tatbestandsmerkmale. I. Bzgl. Tötung des H K hat den Tod des H billigend in Kauf genommen, hatte also Eventualvorsatz und somit Tatentschluss bzgl. der Tötung des H. Jura Intensiv II. Bzgl. objektiver Mordmerkmale der 2. Gruppe des § 211 II StGB 1. Bzgl. Heimtücke Bereits bevor K den ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriff auf H durch den Wurf des Steines ausführte, fand zwischen den Angeklagten und H einen Verfolgungsjagd bei hoher Geschwindigkeit statt. Deshalb ist – zumindest nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ – davon auszugehen, dass K glaubte, dass H mit einem Angriff auf sein Leben rechnen würde. K hielt H also nicht für arglos und hatte deshalb keinen Tatentschluss bzgl. einer heimtückischen Tötung des H. 2. Bzgl. gemeingefährlicher Mittel Da K mitten auf der Autobahn massive Steine nach H warf, könnte er Tatentschluss bzgl. des Einsatzes gemeingefährlicher Mittel gehabt haben Zwar ist es auf einer viel befahrenen Autobahn nahe liegend, dass der geworfene Stein, auch wenn er das anvisierte Fahrzeug des N verfehlt, einen anderen Wagen trifft. Sofern der Fahrer des getroffenen Fahrzeugs – H oder eine anderer Verkehrsteilnehmer – dann die Kontrolle über sein Fahrzeug © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

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