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RA Digital - 02/2020

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58 Zivilrecht

58 Zivilrecht RA 02/2020 Die Pflichtverletzung i.S.d. § 241 II BGB muss hergeleitet und benannt werden. Nach ihrer Konkretisierung erfolgt die Subsumtion. Eine allgemeine Aufklärungspflicht existiert in einer Wettbewerbsgesellschaft nicht. Wann wird ein aktuell vermarktetes Modell zum „Auslaufmodell“? Diese Frage ist entscheidend. Verkäufer einer neuen Ware müssen nicht ungefragt auf die Schwächen des Produkts hinweisen. Verkehrsanschauung Hochpreisige, langlebige Geräte nehmen einen Sonderstatus ein, BGH, Urteil vom 06.10.1999, I ZR 92/97. Das LG Wuppertal erkennt im TM 5 im Januar 2019 noch kein Auslaufmodell. II. Pflichtverletzung i.S.d. § 241 II BGB Gem. § 241 II BGB sind die Parteien im Rechtsverkehr zur gegenseitigen Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Vermögensinteressen des jeweils anderen verpflichtet. Aus diesem Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme erwachsen neben Schutz-, Obhuts-, Fürsorge- und Treuepflichten auch Aufklärungspflichten. Eine allgemeine Pflicht zur Aufklärung gibt es allerdings nicht. Informationsdefizite sind grundsätzlich Teil des allgemeinen Lebensrisikos. Eine Pflicht zur Aufklärung des potentiellen Vertragspartners besteht bei einem erkennbaren berechtigten Interesse an der Mitteilung einer Information, sofern die Preisgabe der Information zumutbar ist. Beides ist hier fraglich. Man kann einerseits der Auffassung sein, dass ein Hersteller grundsätzlich die Pflicht habe, ein Nachfolgemodell sofort anzukündigen, wenn der Prototyp serienreif ist, weil das aktuelle Modell ab diesem Zeitpunkt automatisch ein Auslaufmodell sei. Fraglich ist, ob dies zumutbar ist. Man kann deshalb andererseits der Auffassung sein, dass ein Modell erst mit der Markteinführung des Nachfolgers zum Auslaufmodell wird. Danach hätte es sich beim TM 5 Anfang Januar 2019 noch nicht um ein Auslaufmodell gehandelt, weil der Thermomix TM 6 erst Anfang März 2019 auf den Markt kam. [14] Vielmehr hat das Amtsgericht zutreffend ausgeführt, dass die Beklagte nicht verpflichtet war, bereits Mitte Januar 2019, dem Zeitpunkt der schriftlichen Bestellung seitens der Klägerin, auf den am 08.03.2019 angekündigten Modellwechsel hinzuweisen. [15] Eine solche Pflicht besteht, sofern sie nicht schon aus Gesetz, Vertrag oder vorangegangenem Tun begründet ist, für den Verkäufer nicht schlechthin hinsichtlich aller Eigenschaften der Ware, die etwa als weniger vorteilhaft angesehen werden könnten. [16] Denn der Verkehr erwartet nicht ohne weiteres die Offenlegung aller - auch der weniger vorteilhaften - Eigenschaften einer Ware oder Leistung. Sie ist jedoch zu bejahen, wenn die verschwiegene Tatsache nach der Auffassung des Publikums wesentlich, also den Kaufentschluss zu beeinflussen geeignet ist. Dabei deutet es im Allgemeinen auf eine entsprechende Verkehrserwartung hin, wenn derartige Hinweise auf eine bestimmte negative Eigenschaft im Wettbewerb üblich sind. Allerdings müssen auch die Interessen des Werbenden beachtet werden: Seine Aufklärungspflicht bezieht sich nicht auf jede Einzelheit der geschäftlichen Verhältnisse. Vielmehr besteht eine Verpflichtung nur insoweit, als dies zum Schutz des Verbrauchers auch unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Werbenden unerlässlich ist.(…) Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Frage, ob eine Aufklärungspflicht bei einem Auslaufmodell besteht, nicht generell, sondern allenfalls nach Warengruppen beantwortet werden kann und dies bei Geräten, die einen verhältnismäßig hohen Preis und eine längere Lebensdauer haben, eher anzunehmen ist als bei anderen Geräten. [17] Unter Berücksichtigung dieser Kriterien bestand im vorliegenden Fall bereits deshalb keine Aufklärungspflicht, weil es sich bei dem von der Klägerin erworbenen Thermomix zum Zeitpunkt des Erwerbs noch nicht um ein Auslaufmodell handelte. Weder hat die Beklagte selbst das Modell als Auslaufmodell bezeichnet, noch wurde der Thermomix TM5 am 16.01.2019 von der Klägerin nicht mehr im Sortiment geführt. Vielmehr kündigte die Beklagte erst am 08.03.2019 einen Modellwechsel an und wurde dieser auch erst ab diesem Zeitpunkt beworben. Ob der Jura Intensiv © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 02/2020 Zivilrecht 59 TM5 zu diesem Zeitpunkt noch produziert wurde oder der Verkauf aus dem vorhandenen Bestand erfolgte, ist unerheblich. Zum einen hat die Klägerin die Feststellung des Amtsgerichts, dass der Thermomix noch produziert wurde, mit der Berufung nicht angegriffen, sodass das Berufungsgericht hieran gebunden ist. Zum anderen spielt es für die Erwartungen des Verkehrs keine Rolle, ob ein Produkt aus dem Bestand des Händlers verkauft wird oder kurz zuvor produziert wurde. [19] Eine uneingeschränkte Hinweispflicht, die auch Modelle umfasst, die noch vor dem Modellwechsel während einer Übergangszeit abverkauft werden, kann nicht angenommen werden. Denn der Verkehr erwartet vernünftigerweise nicht, dass mit dem Tag, an dem der Hersteller seine Produktion ändert oder einstellt, alle noch im Handel befindlichen Geräte der früheren Bauweise als Auslaufmodelle bezeichnet werden. (…) Denn der Hersteller hat ein berechtigtes Interesse daran, die aus dem aktuellen Sortiment erworbene Ware im üblichen Warenumschlags absetzen zu können, ohne bereits auf den die Absatzchancen schmälernden Umstand hinweisen zu müssen, dass alsbald ein neues Modell im Handel sein würde. [20] Ob eine solche Pflicht im Einzelfall aufgrund des relativ hohen Preises und der voraussichtlichen Lebensdauer des beworbenen Produktes dann angenommen werden kann, wenn der Modellwechsel unmittelbar bevorsteht, kann dahinstehen. Denn hier lagen zwischen Abschluss des Kaufvertrages und Ankündigung des Modellwechsels nahezu zwei Monate. Folglich liegt seitens B keine Pflichtverletzung gem. § 241 II BGB vor. Damit hat K gegen B keinen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgewähr des Thermomix TM 5 aus §§ 280 I, 311 II Nr. 1, 241 II, 249 I BGB. B. Anspruch aus einem Rückgewährschuldverhältnis gem. §§ 346 I, 313 III 1 BGB wegen Störung der Geschäftsgrundlage K könnte gegen B einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises aus einem Rückgewährschuldverhältnis gem. § 346 I BGB haben, wenn K vom Kaufvertrag zurückgetreten wäre. Als Rücktrittsrecht könnte § 313 III 1 BGB in Betracht kommen. Dies setzt eine Störung der Geschäftsgrundlage voraus. Unter Geschäftsgrundlage versteht man Umstände oder Vorstellungen über Umstände, die nicht Vertragsinhalt wurden aber für den Vertragsschluss so wesentlich waren, dass entweder der Geschäftswille beider Parteien auf ihnen aufbaute oder derjenige einer Partei, erkennbar für die andere. Hier lag nur eine einseitige Vorstellung seitens K vor. Jura Intensiv Entscheidend: Der TM 6 wurde erst ab März 2019 angekündigt und beworben. Ferner wurde der TM 5 zur Zeit des Kaufs noch produziert. Das LG Wuppertal verneint eine Hinweispflicht in der Übergangsphase zwischen Produktion der letzten Geräte und dem Modellwechsel. Weil die Ankündigung des Modellwechsels erst zwei Monate später erfolgte, musste V noch nicht auf ihn hinweisen. Siehe hierzu die in der RA 2020, 1 ff. besprochene Entscheidung des BGH vom 18.06.2019, X ZR 107/169. [22] Denn der Umstand, dass nach Abschluss des Kaufvertrages kein Modellwechsel erfolgen würde, mag zwar für die Klägerin, nicht aber für die Beklagte zur Grundlage des Vertrages geworden sein. C. Ergebnis Folglich hat K gegen B keinen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgewähr des Thermomix TM 5 aus §§ 280 I, 311 II Nr. 1, 241 II, 249 I BGB oder aus §§ 346 I, 313 III 1 BGB. FAZIT Ein Hersteller muss nicht grundsätzlich zwei Monate vor Bekanntgabe eines Modellwechsels Kunden auf diesen hinweisen. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

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