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RA Digital - 03/2017

Die Ausbildungszeitschrift von Jura Intensiv.

154 Referendarteil:

154 Referendarteil: Öffentliches Recht RA 03/2017 Erfüllung einer eigenen polizeilichen Aufgabe tätig geworden. Demnach war die Beklagte hier nur für die Art und Weise der Durchführung der Amtshilfe verantwortlich. Diese ist nicht zu beanstanden. Die Anwendung unmittelbaren Zwangs im Rahmen von Amtshilfe ist die Besonderheit des Falls! § 250 I LVwG: „Lassen Rechtsvorschriften die Anwendung unmittelbaren Zwangs zu, so gelten für die Art und Weise der Ausübung des unmittelbaren Zwangs die §§ 251 bis 261 und, soweit sich aus ihnen nichts Abweichendes ergibt, die übrigen Vorschriften dieses Gesetzes.“ § 32 I LVwG: „Jede Behörde leistet anderen Behörden auf Ersuchen ergänzende Hilfe (Amtshilfe).“ Abgrenzung Amtshilfe - Spontanhilfe Auswertung des konkreten Sachverhalts § 17 I PsychKG-SH: „Anordnungen nach diesem Gesetz dürfen von Vollzugskräften nach § 252 des Landesverwaltungsgesetzes im Wege des unmittelbaren Zwangs nach § 251 Abs. 1 Nr. 1 und 2 des Landesverwaltungsgesetzes gegenüber untergebrachten Menschen durchgesetzt werden. Die Anwendung des unmittelbaren Zwangs ist mündlich anzudrohen.“ Die Anwendung von Gewalt gegen die Klägerin und die Mithilfe bei der Fesselung der Klägerin sind gerechtfertigt als unmittelbarer Zwang nach § 250 LVwG im Rahmen einer Amtshilfe gemäß der §§ 32 ff. LVwG zur Vornahme einer durch den Amtsarzt Dr. … angeratenen Fesselung. Die Beamten haben ihre Hinzuziehung zutreffend als Amtshilfeersuchen zu einer Maßnahme des Amtsarztes auf der Grundlage des PsychKG- SH bewertet. [...] Amtshilfe besteht in dem ergänzenden Beistand, den eine Behörde einer anderen leistet, um dieser die Durchführung ihrer öffentlichen Aufgaben zu ermöglichen oder zu erleichtern. Nach diesem Maßstab diente die Anwendung körperlicher Gewalt gegen die Klägerin zur Herbeiführung der Fesselung nicht dem Vollzug einer eigenen polizeilichen Anordnung, sondern war nur Hilfeleistung, um die durch den Stationsarzt angeordnete Fesselung durchzuführen, die wiederum der bevorstehenden Begutachtung und Unterbringungsanordnung durch den Amtsarzt diente. Der Amtsarzt beabsichtigte laut seinem Gedächtnisprotokoll vom 08.08.2012, ein Verfahren zur Unterbringung der Klägerin nach § 7 Abs. 1 PsychKG-SH in Gang zu setzen, die dann zulässig ist, wenn psychisch kranke Menschen infolge ihrer Krankheit ihr Leben, ihre Gesundheit oder Rechtsgüter anderer erheblich gefährden und die Gefahr nicht anders abgewendet werden kann. Zur vorläufigen Sicherung der Klägerin sollte verhindert werden, dass diese die Klinik verlässt. Notfalls sollte die Klägerin fixiert werden. [...] Es lag keine „Spontanhilfe“ der Beamten vor, bei der vollständig ohne ein entsprechendes Amtshilfeersuchen gehandelt wird und die daher nicht den Regeln der Amtshilfe unterfällt. Denn aus Sicht der Polizeivollzugskräfte lag ein Amtshilfeersuchen vor. Die Polizeibeamten wurden von Seiten der Klinik herbeigerufen und erhielten den Hinweis, dass der Amtsarzt informiert sei und eine Unterbringung der Klägerin bevorstehe. Diese Anforderung von Unterstützung konnte aus Sicht der Polizeibeamten dem Amtsarzt zugerechnet werden, der gegenüber dem Stationsarzt eine Fesselung der Klägerin selbst vorgeschlagen hatte. Denn die Beamten konnten aufgrund der Information zu einer bevorstehenden Unterbringungsanordnung und aufgrund der Gesamtsituation – eine Patientin, die in Lebensgefahr schwebt, will unbedingt nach Hause und befindet sich, lediglich mit einem Krankenhausnachthemd bekleidet, schon vor dem Klinikgebäude – davon ausgehen, dass eine Anordnung zur Fesselung der Klägerin als vorläufige Maßnahme auf Anweisung des Amtsarztes geschah. Jura Intensiv Der Amtsarzt selbst war nach den §§ 17 Abs. 1 Satz 1 PsychKG-SH, 252 LVwG nicht selbst zur Anwendung unmittelbaren Zwangs ermächtigt. Stellt sich die Anwendung von körperlicher Gewalt gegen die Klägerin, um diese der Fesselung zuzuführen nach ihrem äußeren Erscheinungsbild als vorläufige Sicherungsmaßnahme des Amtsarztes dar, zu der die Polizeibeamten im Rahmen der Amtshilfe nach §§ 32 ff. LVwG herangezogen wurden, so waren die Vollzugskräfte der Beklagten hier nur für die Durchführung der Amtshilfe verantwortlich. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 03/2017 Referendarteil: Öffentliches Recht 155 Die Art und Weise der Durchführung ist nicht zu beanstanden. Die Polizeivollzugsbeamten der Beklagten waren zur Anwendung unmittelbaren Zwangs im Wege der Amtshilfe befugt. Die Fesselung einer untergebrachten Person kann nach § 16 Abs. 4 PsychKG-SH von den behandelnden Ärzten angeordnet werden. Gemäß § 17 PsychKG-SH kann die Durchsetzung einer Fesselungsanordnung durch die Anwendung unmittelbaren Zwangs nach § 251 Abs. 1 Nr. 1 und 2 LVwG von Vollzugskräften nach § 252 LVwG erfolgen. Nicht relevant ist, ob zum Zeitpunkt der Maßnahme eine Unterbringung der Klägerin und die weiteren Voraussetzungen für eine Fesselung nach § 16 Abs. 1 PsychKG-SH gegeben waren. Ob die Fesselung als solche rechtmäßig war, mussten die Polizeibeamten gemäß § 34 Abs. 2 Satz 1 LVwG nicht prüfen. Im Rahmen einer Amtshilfe muss die Beklagte als ersuchte Behörde gemäß § 34 Abs. 2 LVwG nur die Verantwortung für die Durchführung der Maßnahme tragen. Die Prüfung ihres eigenen Handelns konnte sich darauf beschränken, ob die Mitwirkung an der Fesselung durch Anwendung körperlicher Gewalt ihren polizeirechtlichen Befugnissen entsprach. Es bestanden auch keine Anhaltspunkte aus denen sich die Rechtswidrigkeit der Fesselungsanordnung den Polizeibeamten hätte aufdrängen müssen. Die Polizeibeamten haben auch ohne Ankündigung des unmittelbaren Zwangs gegenüber der Klägerin die Vorschriften über das Verfahren bei der Anwendung unmittelbaren Zwangs nach § 17 Abs. 1 Satz 2 PsychKG und § 259 Abs. 1 Sätze 1 und 2 LVwG eingehalten. Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 PsychKG ist die Anwendung unmittelbaren Zwangs anzukündigen. Gemäß § 259 Abs. 1 Satz 1 LVwG ist zu warnen, bevor unmittelbarer Zwang gegen Personen angewendet wird. Die Warnung kann nach § 259 Abs. 1 Satz 2 LVwG unterbleiben, wenn die Umstände sie nicht zulassen, insbesondere wenn die sofortige Anwendung des Zwangsmittels zur Abwehr einer im einzelnen Falle bevorstehenden Gefahr notwendig ist. Dies war hier gegeben. Nach der unstreitigen Darstellung der Situation durch die Beteiligten versuchte die Klägerin sich der Fesselung durch Entweichen zu entziehen. Angesichts der nach Information durch den Stationsarzt gegenüber den Polizeibeamten bestehenden Lebensgefahr für die Klägerin bei Verlassen der Klinik und der Notwendigkeit kurzfristigen Handelns war eine Warnung der Klägerin nicht mehr möglich. Sie musste vielmehr durch unmittelbares Festhalten an der Flucht gehindert werden. Jura Intensiv Die Anwendung unmittelbaren Zwangs durch die Polizeibeamten als Unterstützungshandlung erweist sich als ermessensfehlerfrei, insbesondere als verhältnismäßig. Die Maßnahme diente einem legitimen Zweck. Der unmittelbare Zwang wurde angewendet, um eine Unterbringung durch den Amtsarzt vorzubereiten, an deren Rechtmäßigkeit es für die Beamten keinen Grund zu zweifeln gab. Denn aus Ex-ante-Sicht der Polizeibeamten bestand für die Klägerin Lebensgefahr, die durch den Verbleib der Klägerin in der Klinik – auch gegen ihren Willen – abzuwenden war. Die Klägerin ließ keinen Zweifel daran, dass sie die Klinik verlassen wollte und nicht in das Bett zurückkehren wollte. Die Beamten durften aufgrund der Äußerungen des Stationsarztes davon ausgehen, dass für die Klägerin aufgrund ihrer Kopfverletzung erhebliche Lebensgefahr beim Verlassen der Station bestand. [...] Nur die Durchführung der Amtshilfe fällt in den Verantwortungsbereich der ersuchten Behörde. Bei einer Klage gegen die ersuchte Behörde ist daher allein die Durchführung auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen. genauer: die Fesselanordnung § 34 II LVwG: „Die ersuchende Behörde trägt gegenüber der ersuchten Behörde die Verantwortung für die Rechtmäßigkeit der zu treffenden Maßnahme. Die ersuchte Behörde ist für die Durchführung der Amtshilfe verantwortlich.“ grds. Ankündigung erforderlich, Ausnahme: Abwehr einer bevorstehenden Gefahr Im konkreten Fall Warnung nicht möglich Verhältnismäßigkeit legitimer Zweck © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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