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RA Digital - 03/2018

Die Ausbildungszeitschrift von Jura Intensiv.

126 Zivilrecht

126 Zivilrecht RA 03/2018 Problem: Anwaltsvertrag als widerruflicher Fernabsatzvertrag Einordnung: Allgemeines Schuldrecht BGH, Urteil vom 23.11.2017 IX ZR 204/16 LEITSÄTZE 1. Anwaltsverträge können den Regeln für den Fernabsatz unterfallen und als solche widerrufen werden. 2. Ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem liegt regelmäßig nicht schon dann vor, wenn der Rechtsanwalt lediglich die technischen Möglichkeiten zum Abschluss eines Anwaltsvertrags im Fernabsatz wie Briefkasten, elektronische Postfächer und/ oder Telefon- und Faxanschlüsse vorhält. EINLEITUNG Im Mittelpunkt der vorliegenden Entscheidung steht die Frage, ob die Regeln über Fernabsatz auch für Anwaltsverträge gelten und daher unter Hinweis hierauf widerrufen werden können. SACHVERHALT (LEICHT ABGEWANDELT) Der Beklagte (B) beteiligt sich an einer Fondsgesellschaft (F). Am 22.01.2016 erhält er von der G-GmbH ein Schreiben, in dem sie ihre Dienste anbietet und zur Rücksendung eines ausgefüllten Fragebogens und einer Vollmacht einlädt. Dem Schreiben beigefügt ist u.a. eine auf die Klägerin (K) lautende Rechtsanwaltsvollmacht. Die Klägerin hatte der Gesellschaft Blankoformulare für eine Vielzahl von potentiellen, von der Gesellschaft zu werbenden Mandanten zur Verfügung gestellt. B unterzeichnet die außergerichtliche Vollmacht und sendet sie am 23.01.2016 per Telefax mit den anderen von ihm vervollständigten Unterlagen an die G-GmbH zurück. Diese übermittelt die Unterlagen an K. Ohne Kontaktaufnahme mit B macht K mittels eines Serienbriefes dessen Ansprüche gegenüber F geltend. Nachdem die außergerichtliche Inanspruchnahme erfolglos geblieben war, fordert K den B auch eine Prozessvollmacht auf sie auszustellen. Dies lehnt der B ab, woraufhin K diesem ihr außergerichtliches Tätigwerden mit einer 1,3 Geschäftsgebühr in Rechnung stellt. B weist die Forderung mit Schreiben vom 30.06.2016 zurück und erklärt vorsorglich den Widerruf der erteilten Vollmacht. Zu Recht? PRÜFUNGSSCHEMA Jura Intensiv A. K gegen B gem. §§ 675 I, 611 BGB I. Wirksamer Anwaltsvertrag II. Widerruf gem. § 355 I 1 BGB 1. Widerrufsrecht a) Anwendungsbereich der §§ 312 ff. BGB b) Fernabsatzvertrag gem. § 312c I BGB 2. Fristgerechte Widerrufserklärung B. Ergebnis LÖSUNG A. K gegen B gem. §§ 675 I, 611 BGB K könnte gegen B einen Anspruch auf Zahlung einer 1,3 Geschäftsgebühr gem. §§ 675 I, 611 BGB haben. I. Wirksamer Anwaltsvertrag Durch das im Übersenden des ausgefüllten Vollmachtformulars per Telefax liegende Angebot und die konkludent nach § 151 S. 1 BGB durch Aufnahme der anwaltlichen Tätigkeit ist ein Anwaltsvertrag geschlossen worden. Es handelt Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 03/2018 Zivilrecht 127 sich dabei um einen Dienstvertrag gem. §§ 611 ff. BGB, der eine entgeltliche Geschäftsbesorgung i.S.v. § 675 I BGB zum Inhalt hat. Dabei gilt nach § 612 I BGB eine Vergütung als stillschweigend vereinbart, wenn die Geschäftsbesorgung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. Dies ist bei anwaltlicher Tätigkeit grds. der Fall. II. Widerruf gem. § 355 I 1 BGB B könnte seine zum Vertrag führende Willenserklärung jedoch wirksam widerrufen haben. Gem. § 355 I 1 BGB wäre er dann nicht mehr an sie gebunden. 1. Widerrufsrecht Dies setzt zunächst voraus, dass B ein Widerrufsrecht nach § 355 I 1 BGB zusteht. In Betracht kommt hier allein § 312g I Alt. 2 BGB. a) Anwendungsbereich der §§ 312 ff. BGB Dazu müsste der Anwendungsbereich der §§ 312 ff. BGB eröffnet sein. Nach § 312 I BGB muss ein Verbrauchervertrag gem. § 310 III BGB vorliegen. Dies ist hier der Fall, da K als Unternehmerin (§ 14 BGB) und B als Verbraucher (§ 13 BGB) gehandelt hat. Zudem muss der Vertrag eine entgeltliche Leistung des Unternehmers zum Gegenstand haben. Dies ist bei einem Anwaltsvertrag der Fall. Die Anwendung der §§ 312 ff. BGB ist zudem nicht nach § 312 II BGB ausgeschlossen. b) Fernabsatzvertrag i.S.d. § 312c I BGB Weiterhin müsste ein Fernabsatzvertrag i.S.d. § 312c I BGB vorliegen. Fernabsatzverträge sind Verträge, bei denen der Unternehmer und der Verbraucher für den Vertragsschluss ausschließlich Fernkommunikationsmittel i.S.d. § 312c II BGB verwenden, es sei denn, dass der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt. „II.2.a) bb) [Dies ist hier aufgrund des Telefax der Fall]. Dem steht nicht entgegen, dass K den Anwaltsvertrag durch schlüssiges Verhalten angenommen hat. Entscheidend ist, dass es ohne gleichzeitige körperliche Anwesenheit der Vertragsparteien zum Vertragsschluss gekommen ist. Auch die Einschaltung eines Boten, hier der G-GmbH, steht der Annahme eines Fernabsatzvertrags nicht entgegen, zumal auch zwischen B und der G-GmbH kein persönlicher Kontakt bestand, der die für Distanzgeschäfte typischen Defizite hätte ausgleichen können.“ Jura Intensiv Zu prüfen bleibt damit, ob der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgte. „II.2.a)cc) (2) (a) Ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebsoder Dienstleistungssystem liegt vor, wenn der Unternehmer in seinem Betrieb die personellen, sachlichen und organisatorischen Voraussetzungen geschaffen hat, die notwendig sind, regelmäßig Geschäfte im Fernabsatz zu bewältigen. Ausreichend ist die planmäßige Werbung eines Unternehmers mit dem Angebot telefonischer Bestellung und Zusendung der Ware. Demgegenüber genügt es nicht, dass der Unternehmer auf seiner Homepage lediglich Informationen (etwa über seine Dienstleistungen und seine Kontaktdaten) zur Verfügung stellt. Ebenso wenig könnte bei einem Rechtsanwalt ein für den Fernabsatz Der Vertrag wurde vor dem 13.06.2014 geschlossen. Gem. Art. 229, § 32 EGBGB wäre nicht das aktuell geltende Widerrufsrecht anwendbar. Die Entscheidung ist aus Ausbildungsgesichtspunkten allerdings zu wertvoll, um aussortiert zu werden. Wir haben die Darstellung deshalb an die Regeln des aktuell gültigen Widerrufsrechts angepasst. Fernkommunikationsmittel Entscheidender Aspekt des Falles: Problematisch ist, ob der Vertragsschluss im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebsoder Dienstsystems erfolgte. Kriterien eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems Informationen auf der Homepage genügen nicht © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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