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RA Digital - 03/2018

Die Ausbildungszeitschrift von Jura Intensiv.

148 Öffentliches Recht

148 Öffentliches Recht RA 03/2018 Subsumtion des 2. Prüfungsschritts Relativ oberflächliche Prüfung, weil das Gericht zu einem eindeutigen Abwägungsergebnis kommt. Dieses Vorgehen ist für eine Klausurbearbeitung keine Option. Subsumtion des 3. Prüfungsschritts Definition „öffentlich“ Unerheblich: • Ausschließliche Werbung auf szenebekannten Internetseiten • Erhebung von Eintrittsgeld Bei den vom Antragsgegner angeführten und nicht auf die kollektive Meinungsbildung abzielenden Modalitäten verbleiben zwar Fragen, inwieweit sie vollständig vom Schutzbereich des Art. 8 GG noch erfasst werden. Dabei kann aber offen bleiben, inwieweit die Größe des Zelts, die Bierzeltgarnituren, die Verpflegungsstation sowie die Verköstigung der Veranstaltungsteilnehmer mit den bereits bestellten Getränken und Bratwürsten hier Dimensionen erreicht, nach denen sie zumindest teilweise nicht mehr versammlungsbezogen gesehen werden können und Zwecken einer reinen Kommerzialisierung der Veranstaltung dienen. Auch zusammen mit dem Unterhaltungswert, der den Musikdarbietungen unstreitig (auch) zukommt, und dem Erheben von Eintrittsgeldern in der vom Antragsgegner angegebenen Größenordnung vermögen sie das Übergewicht des Versammlungscharakters angesichts der oben aufgeführten Umstände nicht in Frage zu stellen. Mehr Gewicht erhalten diese Umstände auch nicht dadurch, dass sich der Veranstaltungsort „abseits von Personenbewegungen“ auf privaten Grundstücken befindet und aus verkehrssicherungsbedingten Gründen (Bundesstraße 89) mit einem Sichtschutzzaun umgeben werden soll. Dem Anliegen des Antragstellers ist dies nicht abträglich.“ Demnach stellt die Veranstaltung trotz ihrer kommerziellen Aspekte eine grundrechtlich geschützte Versammlung dar. II. Öffentlich „Ob eine Versammlung öffentlich ist, bestimmt sich danach, ob sie einen abgeschlossenen oder einen individuell nicht abgegrenzten Personenkreis erfasst. […] Dies ist vorliegend der Fall. Der Teilnehmerkreis der Veranstaltung ist nicht durch bestimmte […] Kriterien eingeengt. Jeder, der von ihr erfährt, kann demnach teilnehmen. Dass die Veranstaltung nur auf szenetypischen Seiten im Internet beworben wird, ändert daran nichts. Der Antragsteller trägt insoweit vor, dass ihm eine Einladung über etablierte Medien […] verwehrt ist. […] Die Erhebung von Eintrittsgeldern lässt das Merkmal der Öffentlichkeit nicht entfallen.“ Jura Intensiv Somit ist die Versammlung öffentlich, die Rechtsauffassung der Behörde ist folglich unzutreffend. Grundlegend: VGH Mannheim, Urteil vom 12.7.2010, 1 S 349/10, RA 2010, 753 FAZIT Merken sollte man sich die Prüfungsreihenfolge bei sog. gemischten Veranstaltungen, wobei der 2. und 3. Prüfungsschritt in einer Klausur genauer zu subsumieren ist, als es die Gerichte hier getan haben. Rechtsrock-Konzerte stellen im Übrigen einen praxis- und klausurtypischen Anwendungsfall „gemischter Veranstaltungen“ dar. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 03/2018 Referendarteil: Öffentliches Recht 149 Speziell für Referendare Problem: Baugenehmigung für eine Werbetafel im allgemeinen Wohngebiet Einordnung: Baurecht VG Karlsruhe, Urteil vom 12.12.2017 1 K 847/15 EINLEITUNG Das VG Karlsruhe hatte über die Klage auf Erteilung einer Baugenehmigung für eine Werbetafel zu entscheiden. Hierbei waren zwischen den Beteiligten insbesondere die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit und ein Verstoß gegen das Verunstaltungsgebot streitig. TATBESTAND „Die Klägerin begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung für eine freistehende, unbeleuchtete Plakatanschlagtafel. Sie stellte am 11.03.2014 einen Antrag auf Baugenehmigung im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nach § 52 LBO zur Errichtung einer unbeleuchteten, 2,75 Meter hohen und 3,70 Meter breiten Plakatanschlagtafel für allgemeine Produktwerbung (Ansichtsfläche: ca. 10,64 Quadratmeter) auf dem Grundstück der ... [...]. Das Baugrundstück liegt nicht im Bereich eines Bebauungsplans. Mit Schreiben vom 19.03.2014 hörte die Beklagte die Klägerin zur beabsichtigten Ablehnung des Bauantrags an. Die Beklagte wies darauf hin, dass die Werbetafel im Wohngebiet in ... errichtet werden solle. In Wohngebieten seien Werbeanlagen mit Fremdwerbung in der Regel wesensfremd. Bei der geplanten Anlage handele es sich nicht um Werbung an der Stätte der Leistung. Die frei stehende Werbeanlage springe durch ihre Großflächigkeit ins Auge, zumal das Wohngebiet insgesamt einen gediegenen Gesamteindruck mache. Lediglich im Bereich der Unterführung befänden sich Werbetafeln an den Wänden. Eine weitere Tafel würde zu einer störenden Häufung führen. Die Voraussetzungen für eine Abweichung, Ausnahme oder Befreiung gemäß § 56 LBO lägen nicht vor. Mit Bescheid vom 04.07.2014, versandt am 09.07.2014, lehnte die Beklagte den Bauantrag ab. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen die bereits im Anhörungsschreiben vom 19.03.2014 dargelegten Gründe an. Jura Intensiv Mit Schriftsatz vom 05.08.2014 erhob die Klägerin Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid. Zur Begründung führt sie aus, es handle sich um ein Mischgebiet und nicht um ein (allgemeines) Wohngebiet. Das werde durch die Vielzahl an Gewerbebetrieben in unmittelbarer Umgebung, aber erst Recht durch die sich in der ... oder direkt neben dem Baugrundstück in der Unterführung vorhandenen Werbeanlagen im EURO-Format belegt. In Mischgebieten seien Werbetafeln zuzulassen und dort wirke die Werbeanlage auch nicht verunstaltend. [...] Schließlich liege auch keine störende Häufung vor. Die geplante Werbeanlage und die an der Unterführung vorhandenen Werbeanlagen könnten nicht mit einem Blick erfasst werden. LEITSÄTZE 1. Eine Plakatanschlagtafel in einem allgemeinen Wohngebiet ist ein sonstiger nicht störender Gewerbebetrieb, wenn sie das Ortsbild nicht beeinträchtigt und die Wohnruhe in der näheren Umgebung bereits vorbelastet ist. 2. Der Bauantragsteller einer nicht störenden und auch sonst bauplanungsrechtlich zulässigen Plakatanschlagtafel hat einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung, ob die beantragte Werbeanlage ausnahmsweise in einem allgemeinen Wohngebiet zugelassen werden kann. 3. Der Qualifizierung einer Plakatanschlagtafel als eine für Anschläge bestimmte Werbeanlage steht nicht entgegen, dass diese nicht nur dem Informationsbedürfnis der Bewohner dient. Geschichtserzählung: Imperfekt Indikativ Beschreibung von Zuständen, die die Gegenwart betreffen, werden auch in der Geschichtserzählung im Indikativ Präsens dargestellt. Obwohl Rechtsbegriffe im Tatbestand grds. zu vermeiden sind, ist die Verwendung des Begriffs „Anhörung“ im Tatbestand durchaus üblich. Er lässt sich durch folgende Formulierung vermeiden: „Der Beklagte gab der Klägerin mit Schrieben vom ... Gelegenheit, zur beabsichtigten Ablehnung des Bauantrags Stellung zu nehmen.“ Der Inhalt des Anhörungsschreibens wird im Konjunktiv Präsens wiedergegeben. In Bad.-Württ. ist grundsätzlich ein Widerspruchsverfahren vor Klageerhebung durchzuführen. Etwaige Ausnahmen sind hier nicht einschlägig. Beachte: Das Widerspruchsverfahren gehört nicht zur Prozessgeschichte, sondern zur Geschichtserzählung, also Indikativ Imperfekt. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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