138 Nebengebiete RA 03/2020 Einheitlicher Krankheitszeitraum (oder auch Einheitlichkeit des Verhinderungsfalles): Hat der Arbeitnehmer also z.B. 6 Wochen im Januar und Februar die Krankheit A und im unmittelbaren Anschluss (oder gar „überlappend“) 6 Wochen die Krankheit B, stehen ihm für beide Krankheitszeiträume in Summe „nur“ 6 Wochen Entgeltfortzahlung zu. Vor allem für Referendare sind die Ausführungen zur Beweislast wichtig! Der Arbeitnehmer muss sowohl seine Arbeitsunfähigkeit beweisen als auch den Umstand, dass bei einer über 6 Wochen dauernden Krankschreibung kein einheitlicher Verhinderungsfall vorliegt. [31] Nach dem Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls ist der Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG jedoch auf die Dauer von sechs Wochen seit Beginn der Arbeitsunfähigkeit beschränkt, wenn während bestehender Arbeitsunfähigkeit eine neue Krankheit auftritt, die ebenfalls Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat. In diesem Fall kann der Arbeitnehmer bei entsprechender Dauer der durch beide Erkrankungen verursachten Arbeitsverhinderung die Sechs-Wochen-Frist nur einmal in Anspruch nehmen. Ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch entsteht nur, wenn die erste krankheitsbedingte Arbeitsverhinderung bereits in dem Zeitpunkt beendet war, in dem die weitere Erkrankung zu einer erneuten Arbeitsverhinderung führt. Das ist anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer zwischen zwei Krankheiten tatsächlich gearbeitet hat oder jedenfalls arbeitsfähig war, sei es auch nur für wenige außerhalb der Arbeitszeit liegende Stunden. Maßgeblich für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit und damit für das Ende des Verhinderungsfalls ist die Entscheidung des Arztes, der Arbeitsunfähigkeit – unabhängig von der individuellen Arbeitszeit des betreffenden Arbeitnehmers – im Zweifel bis zum Ende eines Kalendertags bescheinigen wird. Dabei ist es unerheblich, ob das Ende der Arbeitsunfähigkeit auf einen Arbeits- oder arbeitsfreien Tag fällt (vgl. BAG 25. Mai 2016 – 5 AZR 318/15 – Rn. 13). [32] d) Die Einheit des Verhinderungsfalls betrifft eine der Voraussetzungen des Anspruchs auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Meldet sich der Arbeitnehmer in unmittelbarem Anschluss an den ausgeschöpften sechs Wochenzeitraum des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG erneut mit einer Erstbescheinigung arbeitsunfähig krank, bestreitet der Arbeitgeber mit der Berufung auf den Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls, dass Arbeitsunfähigkeit infolge der „neuen“ Krankheit erst jetzt eingetreten sei (vgl. BAG 25. Mai 2016 – 5 AZR 318/15 – Rn. 19). [33] Die Darlegungs- und Beweislast für die Anspruchsvoraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG trägt – nach allgemeinen Grundsätzen – der Arbeitnehmer. Ebenso wie er für die Tatsache der Arbeitsunfähigkeit als solcher beweispflichtig ist, trifft ihn auch für deren Beginn und Ende die objektive Beweislast (vgl. BAG 25. Mai 2016 – 5 AZR 318/15 – Rn. 20). Für Darlegung und Nachweis von Beginn und Ende einer auf einer bestimmten Krankheit beruhenden Arbeitsunfähigkeit kann sich der Arbeitnehmer zunächst auf die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung stützen (vgl. BAG 25. Mai 2016 – 5 AZR 318/15 – Rn. 21). [34] Ist jedoch unstreitig oder bringt der Arbeitgeber gewichtige Indizien dafür vor, dass die erneute Arbeitsunfähigkeit auf einer Krankheit beruht, die bereits vor dem attestierten Beginn der Arbeitsunfähigkeit bestanden hat, und zu einer Krankheit, wegen derer der Arbeitnehmer bereits durchgehend sechs Wochen arbeitsunfähig war, hinzugetreten ist, muss der Arbeitnehmer nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts als Voraussetzung des Entgeltfortzahlungsanspruchs den von ihn behaupteten Beginn der „neuen“ krankheitsbedingten Arbeitsverhinderung beweisen. Dafür steht ihm das Zeugnis des behandelnden Arztes als Beweismittel zur Verfügung (vgl. BAG 25. Mai 2016 – 5 AZR 318/15 – Rn. 22). [35] Gleiches muss gelten, wenn der Arbeitgeber – im umgekehrten Fall – gewichtige Indizien dafür vorträgt, dass die vorangegangene Arbeitsunfähigkeit – entgegen einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung – nicht vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit aufgrund einer neuen Erkrankung geendet hat. In diesem Fall muss der Arbeitnehmer das Ende der vorangegangenen krankheitsbedingten Arbeitsverhinderung beweisen. Jura Intensiv Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG
RA 03/2020 Nebengebiete 139 Auch in einem solchen Fall steht dem Arbeitnehmer das Zeugnis des behandelnden Arztes zur Verfügung. [36] Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Klägerin ab dem 7. Februar 2017 bis zum 18. Mai 2017 wegen der psychischen Erkrankung arbeitsunfähig war. In der mündlichen Verhandlung am 16. August 2018 ist unstreitig geworden, dass die Klägerin sich am 19. Mai 2017 einer gynäkologischen Operation unterziehen musste. Unstreitig ist ebenfalls, dass die Klägerin bis zum 30. Juni 2017 im Anschluss an die gynäkologische Operation arbeitsunfähig war. Zwischen den Parteien ist streitig, ob die psychische Erkrankung auch über den 18. Mai 2017 hinaus zur Arbeitsunfähigkeit der Klägerin führte. [37] i) Vorliegend bestanden unstreitige, gewichtige Indizien dafür, dass die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin wegen der psychischen Erkrankung über den 18. Mai 2017 hinaus bestand: [38] aa) Die psychische Erkrankung der Klägerin bestand seit mehr als drei Monaten, jedenfalls seit dem 7. Februar 2017. Unstreitig bestand die psychische Erkrankung auch über den 18. Mai 2017 hinaus. Die Klägerin wartete im Zeitpunkt der gynäkologischen Operation auf einen Platz zur Psychotherapie und befand sich etwa ab Juli 2017 in psychologischer Behandlung. Schon seit dem 15. März 2017 nahm sie das ihr verschriebene Medikament Citalopram ein, das ihr auch im Juli 2017 weiter verschrieben wurde. Zuvor war ihr Opipramol verschrieben worden, das sie ebenfalls einnahm. [39] bb) (…). [40] cc) Die Klägerin nahm ihre Arbeit für die Beklagte auch nach dem Ende der Arbeitsunfähigkeit wegen der gynäkologischen Operation am 30. Juni 2017 nicht wieder auf. Im Juli 2017 arbeitete die Klägerin nicht mehr. Sie war unter Anrechnung auf Überstunden und Urlaub in Abstimmung mit der Beklagten von der Arbeitsleistung freigestellt. Aufgrund der Freistellung bedurfte es auch in diesem Zeitpunkt keiner Krankschreibung, um der Arbeit fernbleiben zu können. (...). [41] dd) Die Klägerin konnte auf Nachfrage des Gerichts nicht mitteilen, aus welchen Gründen die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wegen der psychischen Erkrankung am 18. Mai 2017 endete. Ob der Zeuge Dr. E. von der Operation gewusst habe, wisse sie nicht. Auf die Frage, was ohne Operation am 19. Mai 2017 gewesen wäre, erklärte die Klägerin, dass sie dann nach Befindlichkeit gearbeitet hätte. Sie wäre zur Arbeit gegangen und hätte geguckt, ob sie zurechtkomme. Aus dieser Erklärung ergab sich für das Gericht, dass die Klägerin von einer möglichen, nicht aber von einer gesicherten Arbeitsfähigkeit trotz der psychischen Erkrankung ab dem 19. Mai 2017 ausging. [42] i) Die Klägerin konnte nicht beweisen, dass die Arbeitsunfähigkeit wegen der psychischen Erkrankung am 18. Mai 2017 beendet war. [43] Der Zeuge Dr. E. hat zwar bekundet, dass die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin am 18. Mai 2017 abgeschlossen gewesen sei. Auf die Frage, wie er zu dieser Schlussfolgerung komme, hat der Zeuge erklärt, dass die Klägerin danach wegen der Erkrankung nicht mehr bei ihm gewesen sei. Die Klägerin sei am 30. März völlig fertig gewesen. Deshalb habe er sie bis zum 7. April krankgeschrieben. Eine weitere Krankschreibung habe er vom 7. April bis zum 21. April ausgestellt. Die weiteren Krankschreibungen am 21. April und 5. Mai habe seine Kollegin Frau G. ausgestellt. Wie seine Kollegin zu der Krankschreibung bis zum 18. Mai gekommen sei, könne er nicht sagen. Bei ihm sei die Klägerin wegen psychischen Problemen oder Erschöpfung später nicht mehr in Behandlung gewesen. Jura Intensiv Auf den Punkt gebracht: Die Klägerin hat vor und nach der OP eine psychische Erkrankung. Die OP steht mit dieser Erkrankung in keinem Zusammenhang: Wie wahrscheinlich ist es, dass die psychische Erkrankung „passenderweise“ am Ende des Tages vor der OP endete, die Klägerin dann die wenigen Stunden vor der OP eigentlich arbeitsfähig war und die psychische Erkrankung erst nach dem Ende Heilungszeit der OP „passenderweise“ wieder auftritt?! Die Beweiswürdigung des LAG sollten sich vor allem diejenigen durchlesen, die sich auf das 2. Examen vorbereiten. Die Aussagen des Arztes und der ihn vertretenden Ärztin sind geradezu skandalös. Sie liegen haarscharf an der Grenze zum versuchten Prozessbetrug und zeigen zudem erneut, wie leichtfertig und bedenkenlos viele Ärzte mit Krankschreibungen umgehen. So gibt Ärztin G. zu Protokoll, dass sie die Klägerin nicht untersucht habe, nicht gewusst habe, worum es überhaupt geht, sondern einfach mal die Krankschreibung in Vertretung unterschieben habe, weil sie ihr von den medizinischen Fachangestellten vorgelegt worden sei. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis
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