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RA Digital - 03/2021

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120 Zivilrecht

120 Zivilrecht RA 03/2021 a.A.: Es macht keinen Unterschied, ob sich die eigene beschädigte Sache innerhalb oder außerhalb des geführten Fahrzeugs befunden hat. Der BGH bewertet die Argumente der e.A. hier als nicht zutreffend, weil K sein Fahrzeug bewusst der Gefahr ausgesetzt hat. Sinn und Zweck der Rechtsnorm: Wer sich freiwillig der Betriebsgefahr aussetzt, verdient nicht den Schutz der Gefährdungshaftung: BGH, Urteil vom 05.10.2010, VI ZR 286/09. Rolle gespielt habe und vom Geschädigten nicht freiwillig und bewusst den besonderen Gefahren des Betriebes des geführten Fahrzeuges ausgesetzt worden, sondern lediglich zufällig in dessen Gefahrenkreis geraten sei (…). [11] Diese Auffassung hält der Senat jedoch mit der Gegenansicht (…) jedenfalls in Bezug auf den Streitfall für nicht überzeugend. Der Kläger hat mit dem von ihm geführten Fahrzeug schon nicht eine Sache beschädigt, die „zufällig“ in dessen Einwirkungsbereich geraten ist und der Betriebsgefahr dieses Fahrzeugs nicht in besonderem Maße ausgesetzt war. Vielmehr wollte der Kläger das Fahrzeug des Beklagten zu 2 für diesen aus der Parklücke fahren und hat durch das Manövrieren sein von ihm selbst auf demselben Parkplatz abgestelltes eigenes Fahrzeug bewusst der Betriebsgefahr des von ihm selbst geführten Kraftfahrzeugs ausgesetzt (…) Insoweit macht es hier keinen Unterschied, ob sich die beschädigte Sache innerhalb oder außerhalb des vom Kläger geführten Fahrzeugs befand. Im vorliegenden Fall entspricht die Anwendung des Haftungsausschlusses daher der Intention des Gesetzes. Folglich ist die Haftung des B gem. § 7 I StVG gem. § 8 Nr. 2 StVG ausgeschlossen. K hat gegen B keinen Anspruch aus § 7 I StVG. C. Anspruch des K gegen B aus § 823 I BGB Ein Anspruch des K gegen B aus § 823 I BGB würde voraussetzen, dass das Eigentum des K als geschütztes Rechtsgut aufgrund einer dem B kausal zurechenbaren Handlung verletzt wurde. Jedoch steht der Geschehensablauf, der zur Kollision führte nicht so hinreichend fest, dass sicher anzunehmen ist, dass eine Handlung des B die Eigentumsverletzung herbeigeführt hat. Ein Anspruch aus § 823 I des K gegen B besteht nicht. D. Ergebnis K hat keine Ansprüche gegen B. FAZIT Wer aus Gefälligkeit einem anderen beim Ausparken hilft, führt mangels Rechtsbindungswillen keinen Auftrag im Sinne des § 662 BGB aus, sondern handelt nur innerhalb einer Alltagsgefälligkeit. Es liegen regelmäßig weder besondere Qualifikationen des Gefälligen noch besondere wirtschaftliche Interessen der Beteiligten vor, die auf einen Rechtsbindungswillen hindeuten könnten. Der Ausschlussgrund des § 8 Nr. 2 StVG erfasst beim Anspruch aus § 7 I StVG sowohl Personen- als auch Sachschäden. Wer das Fahrzeug führt, hat Einfluss auf die Fahrt und die Funktionen des Kfz. Erleidet er dabei einen Sach- oder Personenschaden, ist eine Inanspruchnahme des Halters ausgeschlossen. Dies gilt auch für ihm gehörende Sachen, die er nicht in den unmittelbaren Nahbereich des Kfz gebracht hat. Da die Gefährdungshaftung nicht diejenigen schützen will, die die Gefahr geschaffen haben, ist es konsequent, den besonderen Schutz einer verschuldensunabhängigen Haftung demjenigen zu versagen, der für den Betrieb mitverantwortlich ist. Auf die Frage, wie sein geschädigtes Rechtsgut in den Gefahrenbereich des Kfz-Betriebs gelangt ist, kann es dabei nicht ankommen. Jura Intensiv Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 03/2021 Zivilrecht 121 Problem: Haftung bei Selbstschädigung im Pflegeheim Einordnung: Schuldrecht, Deliktsrecht BGH, Urteil vom 14.01.2021 III ZR 168/19 EINLEITUNG Die Menschen werden immer älter. Dieses Geschenk an Lebenszeit bringt nicht selten Probleme mit sich. Neben den körperlichen Beeinträchtigungen tritt mit zunehmendem Alter auch Demenz häufiger auf. Wer darunter leidet, kann die Orientierungsfähigkeit einbüßen und ständige Hilfe benötigen. Wer in einer Einrichtung, im vorliegenden Fall in einem Alten- und Pflegeheim, untergebracht ist, muss darauf vertrauen, dass die beruflichen Standards eingehalten werden. Warum hierzu eine Risikoprognose gehört, zeigt der vorliegende Fall anschaulich auf. SACHVERHALT K ist Erbin des verstorbenen E. B betreibt ein Alten- und Pflegeheim, in dem E seit dem 25.02.2014 bis zu seinem Tod lebte. E war hochgradig dement und litt unter Gedächtnisstörungen infolge des Korsakow-Syndroms sowie psychisch-motorischer Unruhe. Er war örtlich, zeitlich, räumlich und situativ zeitweise zur Person desorientiert. Die Notwendigkeit besonderer Betreuung wurde im Hinblick auf Lauftendenz, Selbstgefährdung, nächtliche Unruhe und zeitweise Sinnestäuschungen bejaht. B brachte E in einem Zimmer im dritten Obergeschoss (Dachgeschoss) unter, das über zwei große Dachfenster verfügte, die gegen unbeaufsichtigtes Öffnen nicht gesichert waren. Der Abstand zwischen dem Fußboden und den Fenstern betrug 120 Zentimeter. Vor den Fenstern befanden sich ein 40 Zentimeter hoher Heizkörper sowie in 70 Zentimetern Höhe eine Fensterbank, über die man gleichsam stufenweise zur Fensteröffnung gelangen konnte. Mehrfach wurde E desorientiert im Treppenhaus aufgefunden. Begleitete Besuche im Park machten ihm ersichtlich Freude. Am Nachmittag des 27.07.2014 stürzte E aus einem der beiden Fenster. Dabei erlitt er schwere Verletzungen, an denen er trotz mehrerer Operationen und Heilbehandlungen am 11.10.2014 verstarb. K sieht in der Unterbringung des E im Dachgeschoss in einem Zimmer, dessen Fenster leicht zu öffnen oder zum Lüften bereits geöffnet gewesen seien, aufgrund der Demenz und der damit einhergehenden Selbstgefährdung eine erhebliche Pflichtverletzung seitens B. Aus per Erbschaft übergegangenem Recht verlangt K von B ein angemessenes Schmerzensgeld von mindestens 50.000 € wegen der Schmerzen, die E zwischen Sturz und Tod erleiden musste. B verneint eine Pflicht zur dauerhaften Überwachung des E, bei dem keine konkreten Anhaltspunkte für eine Selbstschädigungs- oder Suizidgefahr vorgelegen hätten. Zu Recht? Jura Intensiv LEITSATZ 1. Bei der Beurteilung der Notwendigkeit von Vorkehrungen zur Verhinderung einer Selbstschädigung durch den Bewohner eines Pflegeheims ist maßgebend, ob im Einzelfall wegen der körperlichen oder geistigen Verfassung des Bewohners aus der ex-ante- Sicht ernsthaft damit gerechnet werden musste, dass er sich ohne Sicherungsmaßnahmen selbst schädigen könnte. Dabei muss auch dem Umstand Rechnung getragen werden, dass bereits eine Gefahr, deren Verwirklichung nicht sehr wahrscheinlich ist, aber zu besonders schweren Folgen führen kann, geeignet ist, Sicherungspflichten des Heimträgers zu begründen (Bestätigung und Fortführung der Senatsurteile vom 28.04. 2005, III ZR 399/04 und vom 22.08.2019, III ZR 113/18). 2. Bei erkannter oder erkennbarer Selbstschädigungsgefahr darf ein an Demenz erkrankter Heimbewohner, bei dem unkontrollierte und unkalkulierbare Handlungen jederzeit möglich erscheinen, nicht in einem - zumal im Obergeschoss gelegenen - Wohnraum mit unproblematisch erreichbaren und einfach zu öffnenden Fenstern untergebracht werden. Ohne konkrete Anhaltspunkte für eine Selbstgefährdung besteht hingegen keine Pflicht zu besonderen (vorbeugenden) Sicherungsmaßnahmen. Anmerkung: Aus Platzgründen verzichten wir auf eine Darstellung der §§ 823 I, 823 II und § 831 BGB. Die Ausführungen zur Obhutspflichtverletzung können auf die Verletzung deliktischer Verkehrssicherungspflichten übertragen werden. So sieht es auch der BGH in seinem Urteil. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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