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RA Digital - 03/2021

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126 Zivilrecht

126 Zivilrecht RA 03/2021 LÖSUNG A. Anspruch des K gegen B auf Zahlung von 22.208,71 € Schadensersatz Zug um Zug gegen Rückübereignung des Fahrzeugs aus § 826 BGB K könnte gegen B einen Anspruch auf Zahlung von 22.208,71 € Schadensersatz Zug um Zug gegen Rückübereignung des Fahrzeugs aus § 826 BGB haben. Im Urteil des BGH vom 25.05.2020, RA 2020, 337 stand neben der Bewertung des Sittenwidrigkeitsvorwurfs auch die Frage des Vorsatzes des Organs und der Zurechnung des Vorsatzes im Mittelpunkt. Davon ist dieser Prozess noch weit entfernt. Hier geht es zunächst darum, ob nach der bisher stehenden Faktenlage ein Sittenwidrigkeitsvorwurf gerechtfertigt ist. Siehe hierzu die Urteile des BGH vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, RA 2020, 337 sowie die Urteile vom 30.07.2020, VI ZR 5/20, RA 2020, 521 und VI ZR 354/19, RA 2020, 513. Der BGH sieht allein im Verstoß gegen die EU-VO keinen ausreichenden Grund, hier ein sittenwidriges Verhalten zu erkennen. Es müssen weitere Umstände hinzutreten, die eine Verwerflichkeit des Handelns begründen. I. Herbeiführung eines Schadens Unter einem Schaden ist eine unfreiwillige Vermögenseinbuße zu verstehen. Darunter fällt bei einem Anspruch aus § 826 BGB auch, einen Vertrag geschlossen zu haben, den man ohne das Dazutun des Anspruchsgegners nicht geschlossen haben würde, sofern dieses sich als sittenwidrig darstellt. K und B schlossen einen Kaufvertrag über das Fahrzeug, welches K in Kenntnis des Thermofensters nicht geschlossen haben würde. II. In einer gegen die guten Sitten verstoßenden Art und Weise Fraglich ist, ob B sittenwidrig gehandelt hat. [14] Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (…). Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (…). Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (…). [16] Nach diesen Grundsätzen reicht der Umstand, dass die Abgasrückführung im Fahrzeug des Klägers nach seinem mangels abweichender Feststellungen revisionsrechtlich zugrunde zu legenden Sachvortrag durch eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems bei einstelligen Positivtemperaturen reduziert und letztlich ganz abgeschaltet wird, für sich genommen nicht aus, um dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben. Dabei kann zugunsten des Klägers in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unterstellt werden, dass eine derartige temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung 715/2007/EG zu qualifizieren ist (vgl. zu Art. 5 der Verordnung 715/2007/EG auch EuGH, Urteil vom 17. Dezember 2020 - C-693/18, Celex-Nr. 62018CJ0693). Wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, wäre der darin liegende Gesetzesverstoß auch unter Berücksichtigung einer damit einhergehenden Gewinnerzielungsabsicht der Beklagten für sich genommen nicht geeignet, den Einsatz dieser Steuerungssoftware durch die für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen zu lassen. Hierfür bedürfte es vielmehr weiterer Umstände. Jura Intensiv Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 03/2021 Zivilrecht 127 [17] Entgegen der Auffassung der Revision ist der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems nicht mit der Fallkonstellation zu vergleichen, die dem Senatsurteil vom 25. Mai 2020 (VI ZR 252/19, ZIP 2020, 1179) zugrunde liegt und in der der Senat das Verhalten des beklagten Automobilherstellers gegenüber dem klagenden Fahrzeugkäufer als sittenwidrig qualifiziert hat. Dort hatte der Automobilhersteller die grundlegende strategische Frage, mit welchen Maßnahmen er auf die Einführung der - im Verhältnis zu dem zuvor geltenden Recht strengeren - Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm reagieren würde, im eigenen Kosten- und Gewinninteresse dahingehend entschieden, von der Einhaltung dieser Grenzwerte im realen Fahrbetrieb vollständig abzusehen und dem KBA stattdessen zwecks Erlangung der Typgenehmigung mittels einer eigens zu diesem Zweck entwickelten Motorsteuerungssoftware wahrheitswidrig vorzuspiegeln, dass die von ihm hergestellten Dieselfahrzeuge die neu festgelegten Grenzwerte einhalten. Die Software war bewusst und gewollt so programmiert, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten wurden (Umschaltlogik), und zielte damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde ab (…). Die mit einer derartigen - evident unzulässigen - Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeuge hatte der Hersteller sodann unter bewusster Ausnutzung der Arglosigkeit der Erwerber, die die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und die ordnungsgemäße Durchführung des Typgenehmigungsverfahrens als selbstverständlich voraussetzten, in den Verkehr gebracht (…). Ein solches Verhalten steht einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugerwerber in der Bewertung gleich (…). [18] Bei dem Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems wie im vorliegenden Fall fehlt es an einem derartigen arglistigen Vorgehen des beklagten Automobilherstellers, das die Qualifikation seines Verhaltens als objektiv sittenwidrig rechtfertigen würde. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts unterscheidet die im streitgegenständlichen Fahrzeug eingesetzte temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung nicht danach, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet. Sie weist keine Funktion auf, die bei erkanntem Prüfstandsbetrieb eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert und den Stickoxidausstoß gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert, sondern arbeitet in beiden Fahrsituationen im Grundsatz in gleicher Weise. Unter den für den Prüfzyklus maßgebenden Bedingungen (Umgebungstemperatur, Luftfeuchtigkeit, Geschwindigkeit, Widerstand, etc., vgl. Art. 5 Abs. 3 a) der Verordnung 715/2007/EG i.V.m. Art. 3 Nr. 1 und 6, Anhang III der Verordnung (EG) Nr. 692/2008 der Kommission vom 18. Juli 2008 zur Durchführung und Änderung der Verordnung 715/2007/EG (….) in Verbindung mit Abs. 5.3.1 und Anhang 4 Abs. 5.3.1, Abs. 6.1.1 der UN/ECE-Regelung Nr. 83 (…)) entspricht die Rate der Abgasrückführung im normalen Fahrbetrieb derjenigen auf dem Prüfstand. [19] Bei dieser Sachlage wäre der Vorwurf der Sittenwidrigkeit gegenüber der Beklagten nur gerechtfertigt, wenn zu dem - hier unterstellten - Verstoß gegen die Verordnung 715/2007/EG weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, setzt die Annahme von Sittenwidrigkeit jedenfalls Jura Intensiv Der vorliegende Fall ist – noch – nicht mit dem VW-Fall vergleichbar, weil VW mittels Software bewirkt hat, dass die Abgaswerte des Motors EA 189 nur und ausschließlich auf dem Prüfstand und niemals im regulären Fahrbetrieb eingehalten werden. Dies führte zu einer arglistigen Täuschung der Behörde, der Wettbewerber und der Öffentlichkeit. Dies ist hier nicht der Fall. Das Thermofenster reagiert auf kalte Außentemperaturen und verändert die Abgasrückführung im regulären Fahrbetrieb. Das Thermofenster führt nicht zur Abweichung der Abgaswerte zwischen dem regulären Betrieb und auf dem Prüfstand. Es müssen weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten als verwerflich erscheinen lassen. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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