Aufrufe
vor 7 Jahren

RA Digital - 04/2017

  • Text
  • Jura
  • Intensiv
  • Inhaltsverzeichnis
  • Verlags
  • Anspruch
  • Stgb
  • Beklagten
  • Entscheidung
  • Recht
  • Urteil
  • Digital
Die Ausbildungszeitschrift von Jura Intensiv.

186 Referendarteil:

186 Referendarteil: Zivilrecht RA 04/2017 Prozessgeschichte I: Alle Verfahrensschritte, die für das VU notwendig sind, stehen im Perfekt Indikativ. Die für die Entscheidung nach Einspruch maßgeblichen Anträge beziehen sich immer auf das VU. Nachdem seitens des Beklagten keine Verteidigungsanzeige eingegangen ist, hat sie den Beklagten mit Versäumnisurteil antragsgemäß verurteilt und die öffentliche Zustellung dieser Entscheidung angeordnet. Der Beklagte hat erst im Laufe des Kostenfestsetzungsverfahrens am 01.07.2016 Kenntnis von dem gegen ihn geführten Rechtsstreit erhalten und mit Schriftsatz vom 06.07.2016 Einspruch gegen das Versäumnisurteil einlegen lassen. Die Klägerin beantragt, das Versäumnisurteil des … Gerichts vom …, Az. …, aufrechtzuerhalten. Der Beklagte beantragt, das Versäumnisurteil aufzuheben und die Klage abzuweisen. Hinweisbeschlüsse des Gerichts sollten in die Prozessgeschichte II aufgenommen werden, wenn sie für die Entscheidungsgründe relevant sind. Ein wirksamer Einspruch bewirkt, dass das Verfahren in den Zustand vor der Säumnis zurückversetzt wird. Prüfungsschema des VU: 1. Zulässigkeit des Einspruchs 2. Wenn zulässig: Zulässigkeit und Begründetheit der Klage Auch ein Einspruch nach 10 Jahren kann fristgerecht sein, wenn das VU nicht wirksam zugestellt wurde. Da an die Kanzlei, die sich im Vorfeld als bevollmächtigt benannt hat, hätte zugestellt werden können (dazu Thomas/Putzo/-Hüßtege, ZPO, § 172 Rn 4; Zöller-Stöber, ZPO, § 172, Rn 2, 6 und 7), war es unerheblich, ob der Aufenthaltsort des Beklagten bekannt war. Es ist in der Praxis gar nicht selten, dass Bestellungsanzeigen bereits im Vorfeld ggü. dem potentiellen Gegner abgegeben werden. Bei Mitteilung in der Klageschrift kann das Gericht dann an den mutmaßlichen Beklagtenvertreter zustellen (BGH, Urteil vom 06. 04.2011, VIII ZR 22/10). Das Gericht hat die Klägerin mit Beschluss vom …, Bl. … d.A. darauf hingewiesen, dass das Vorbringen zu den behaupteten Aufklärungs- und Beratungspflichten des Beklagten, das dieser im Einspruch gegen das Versäumnisurteil bestritten hat, noch nicht hinreichend substantiiert und unter Beweis gestellt ist und Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen gegeben. Bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin hierzu nicht Stellung genommen. ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE Aufgrund des zulässigen Einspruchs war der Rechtsstreit gem. § 342 ZPO in die Lage zurückzuversetzen, in welcher er sich vor dem Eintritt der Säumnis befand. Der Einspruch des Beklagten gegen das Versäumnisurteil ist zulässig, er ist gem. § 338 ZPO statthaft, weil er sich gegen ein technisch erstes Versäumnisurteil richtet, er wurde gem. § 340 ZPO formgemäß und insbesondere gem. § 339 ZPO fristgemäß eingelegt. Auch wenn zwischen der öffentlichen Zustellung des Versäumnisurteils und dem Einspruch des Beklagten hiergegen nahezu zehn Jahre lagen, war der Einspruch hier noch fristgemäß. Mangels wirksamer Zustellung des Versäumnisurteils begann die Einspruchsfrist erst mit tatsächlicher Kenntnis des Beklagten hiervon am 01.07.2016 zu laufen. Die neun Tage später eingegangene Einspruchsschrift wahrt diese Frist. Jura Intensiv Die vom Gericht mit Beschluss vom 30.7.2007 angeordnete öffentliche Zustellung des Versäumnisurteils war unwirksam, weil unabhängig von der Frage, ob der Aufenthaltsort des Beklagten bekannt gewesen ist, eine Zustellung an die Rechtsanwaltssozietät G hätte erfolgen können. Eine Zustellung an diese Kanzlei wäre gemäß § 172 I 1, 171 ZPO möglich gewesen, denn der damalige anwaltliche Vertreter des Beklagten hatte schon in dem der Klageschrift als Kopie beigefügten Schreiben vom 17.5.2006 im Zusammenhang mit den von der Klägerin erhobenen Forderungen mitgeteilt, seine Rechtsanwaltskanzlei könne für ein Klageverfahren als zustellungsbevollmächtigt angegeben werden. Daraus war entgegen der Auffassung der Klägerin zu entnehmen, dass dem eine entsprechende, wenn auch zwangsläufig noch allgemeine, Bevollmächtigung bereits zugrunde lag. Deshalb hätten sowohl die Klageschrift als auch das Versäumnisurteil jedenfalls nach zweimaligem Fehlschlagen einer Zustellung an den Beklagten an diese Rechtsanwälte zugestellt werden können. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 04/2017 Referendarteil: Zivilrecht 187 Die zulässige Klage ist unbegründet. Das Versäumnisurteil war aufzuheben. Entgegen der Ansicht des Beklagten ist die Verjährung des von der Klägerin geltend gemachten Schadensersatzanspruchs trotz der nicht wirksamen öffentlichen Zustellung der Klageschrift gehemmt worden. Eine Hemmung der Verjährung ergab sich zunächst nicht aufgrund der Zustellung, da die öffentliche Zustellung unwirksam war. „II.1.a) Nach § 204 I Nr. 1 BGB wird die Verjährung durch Zustellung der Klageschrift gemäß den entsprechenden Bestimmungen der Zivilprozessordnung gehemmt. Dabei ist eine unter Verstoß gegen § 185 ZPO angeordnete öffentliche Zustellung nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs - zumindest wenn die Fehlerhaftigkeit der Zustellung für das Gericht erkennbar gewesen ist - jedenfalls in dem Sinne unwirksam, dass sie die Zustellungsfiktion des § 188 ZPO nicht auslöst und dementsprechend keine Fristen in Lauf setzt. Eine (erkennbar) unzulässige öffentliche Zustellung der Klage bewirkt danach keine Hemmung der Verjährung. Die mit den Tatbeständen des § 204 BGB verfolgte Warnfunktion wird verfehlt, wenn eine Klage öffentlich zugestellt wird, obwohl der Aufenthaltsort des Beklagten nicht allgemein unbekannt ist und eine Zustellung auf anderem Wege möglich gewesen wäre. Berechtigte Interessen des Gläubigers erfordern es dabei nicht, einer erkennbar unzulässigen öffentlichen Zustellung der Klageschrift verjährungshemmende Wirkung beizumessen; denn es obliegt dem Gläubiger, die erforderlichen Nachforschungen anzustellen und so die Voraussetzungen für eine wirksame Zustellung der Klageschrift zu schaffen.“ Es ergibt sich allerdings eine Hemmung der Verjährung daraus, dass eine Zustellung an den damaligen Bevollmächtigten des Beklagten aufgrund des Verhaltens des Gerichts faktisch nicht möglich gewesen ist. Denn der seinerzeit zuständige Richter R. hat nach dem unbestrittenen Vortrag der Klägerin unmissverständlich erklärt, dies genüge nicht, weil er für die Zulässigkeit der Klage ebenfalls die Adresse des Beklagten benötige. Auch nach einem Hinweis auf ein Telefonat mit dem Bevollmächtigten des Beklagten in der Zeit zwischen den beiden Anfragen an das Einwohnermeldeamt, bei dem eine ladungsfähige Adresse des Beklagten nicht habe in Erfahrung gebracht werden können, habe der Richter erklärt, damit sei die Anschrift immer noch unbekannt. Jura Intensiv „II.2.a) Beruht die Unwirksamkeit einer Zustellung auf einer unrichtigen Sachbehandlung durch das Gericht, kann eine Hemmung der Verjährung wegen höherer Gewalt in Betracht kommen (vgl. § 206 BGB). Sie greift jedoch nur ein, wenn die verjährungshemmende Wirkung einer Zustellung infolge eines - für den Gläubiger unabwendbaren - gerichtlichen Fehlers nicht eintritt. II.2.a) Auch wenn der Klägerin die Unwirksamkeit der öffentlichen Zustellung im Hinblick auf die Möglichkeit einer Zustellung an die Rechtsanwaltskanzlei erkennbar war, ist vorliegend von einer dementsprechenden Fallgestaltung auszugehen, wenn festgestellt wird, dass das Ausbleiben der Zustellung an den damaligen anwaltlichen Vertreter des Beklagten von der Klägerin nicht zu beeinflussen war und ihr keine mitwirkende Verantwortung für die Unwirksamkeit der öffentlichen Zustellung anzulasten ist.“ Die Klage ist wegen der fehlenden Substantiierung seitens der Klägerin unbegründet. Jedoch muss das Gericht wegen des Parteivortrags die aufgeworfenen Verjährungsfragen beantworten, weshalb die Ausführungen hier vorgezogen werden. Nur eine wirksame Zustellung, und damit auch nur eine wirksame öffentliche Zustellung, bewirken eine Hemmung der Verjährung. BGH, Urteil vom 19.12.2001, VIII ZR 282/00 und Urteil vom 03.05.2016, II ZR 311/14 Auch bei der Verjährungshemmung ist zu beachten, ob berechtigte Interessen des Gläubigers diese trotz erkennbarer unzulässiger öffentlicher Zustellung der Klageschrift rechtfertigen. Grund für die Nichtzustellung an den Rechtsanwalt war kein Fehler des Klägers, sondern eine falsche Rechtsauffassung des Gerichts. BGH, Urteil vom 29.06.1989, III ZR 92/87 und Urteil vom 19.12. 2001, VIII ZR 282/00: Von der Partei nicht abwendbare Fehler des Gerichts können eine Verjährungshemmung wegen höherer Gewalt rechtfertigen. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

RA - Digital

Rspr. des Monats