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RA Digital - 04/2017

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188 Referendarteil:

188 Referendarteil: Zivilrecht RA 04/2017 Die Partei darf die fehlerhafte Ansicht des Gerichts nicht ignorieren, sondern muss auf deren Grundlage alles Zumutbare getan haben. Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, § 185 Rn 7; Zöller/Stöber, ZPO, § 185, Rn 2 Konkrete Anforderungen an die Ermittlung des Aufenthalts Grundsätzlich gilt: Eine erfolglose Anfrage beim Einwohnermeldeamt genügt nicht. Trotz richterlichem Hinweis ist die Klägerin ihrer Substantiierungslast nicht nachgekommen. Deshalb ist die Klage unbegründet, deshalb wird das VU aufgehoben. Die Berufung auf eine für sie unabwendbare Beantragung der öffentlichen Zustellung der Klageschrift aufgrund des Verhaltens des zuständigen Richters setzt voraus, dass die Klägerin ihrerseits alles ihr Zumutbare getan hat, um der behaupteten Auffassung des Richters zu entsprechen, eine zustellungsfähige Adresse des Beklagten herauszufinden. Dieses Erfordernis folgt daraus, dass es im Rahmen des § 185 Nr. 1 ZPO stets Sache der Partei ist, die durch die Zustellung begünstigt wird, alle geeigneten und ihr zumutbaren Nachforschungen anzustellen, um so eine wirksame Zustellung bewirken zu können, und ihre gegebenenfalls ergebnislosen Bemühungen im Einzelnen darzulegen. Hierbei dürfen die Anforderungen allerdings auch nicht überspannt werden. Seitens des Beklagten ist nicht hinreichend substantiiert bestritten worden, dass die Klägerin zwei erfolglose Anfragen an das Einwohnermeldeamt gerichtet hat. Diese hat sich auch bei dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten erfolglos nach dessen Adresse erkundigt und ferner an den vom Einwohnermeldeamt angegebenen Adressen erfolglos nach dem Verbleib des Beklagten geforscht. Dies dürfte ausreichen. Unbegründet ist die Klage, weil die Klägerin Aufklärungs- und Beratungspflichten des Beklagten nach Bestreiten durch den Beklagten weder substantiiert noch unter Beweis gestellt hat. Sie hat lediglich pauschal behauptet, der Beklagte habe die wirtschaftliche Situation der beiden Gesellschaften beschönigend dargestellt, obwohl diese in Wirklichkeit „faktisch insolvent“ gewesen seien. Auf welche Tatsachen sie diese Annahmen stützt, hat sie allerdings nicht dargelegt. Das Gericht hat sie hierauf auch hingewiesen. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 I 1, 344, 709 S. 1 ZPO. FAZIT Das Urteil stärkt das Vertrauen in funktionierende Selbstreinigungskräfte der Justiz. Der BGH stellt klar, dass sich Fehler des Gerichts nicht zulasten der Parteien auswirken dürfen. Die Entscheidung ist examensrelevant, weil sie die beiden Prüfungsklassiker Versäumnisurteil und Verjährungshemmung mit der Problematik der öffentlichen Zustellung verknüpft. Letztlich lassen sich alle Probleme des Falles mit einem gesunden Judiz und sorgfältigem Nachschlagen im Kommentar lösen. Jura Intensiv Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 04/2017 Referendarteil: Zivilrecht 189 Problem: Änderung einer doppelten Schriftformklausel Einordnung: ZPO I, BGB AT, SchuldR AT BGH, Urteil vom 25.01.2017 XII ZR 69/16 EINLEITUNG Über den folgenden Rechtsstreit hatten wir bereits in RA 2016, 347 berichtet. Das KG hatte wegen der grundsätzlichen Bedeutung die Revision zum BGH zugelassen. Inhaltlich geht es einerseits um § 550 BGB und andererseits um „doppelte Schriftformklauseln“ (Schriftformerfordernis für Vertragsänderungen, das nur schriftlich geändert werden darf). Sie sind in der Praxis häufig anzutreffen, oftmals erzeugen sie Streit darüber, wann Verträge abweichend vom Schriftformerfordernis mündlich geändert wurden und ob diese Änderungen wirksam sind. Besonders häufig stellt sich diese Frage im Gewerberaummietrecht. Die BGH-Entscheidung in Form eines Beschlusses nach § 91a ZPO wollen wir Ihnen nicht vorenthalten. GRÜNDE I. Die Klägerin hat den Beklagten auf Räumung und Herausgabe von gemieteten Gewerberäumen in Anspruch genommen. Im Dezember 2005 und im Mai 2006 schloss die ursprüngliche Vermieterin (im Folgenden: Vorvermieterin) mit dem Vormieter des Beklagten zwei Mietverträge über die streitgegenständlichen Räumlichkeiten. Als Vertragszweck waren jeweils in § 1 der Verträge „Lagerung und Verkauf von Stoffen und Kurzwaren“ bzw. „Lagerung und Verkauf von Stoffen und Kurzwaren, Textilien und Baumaschinen“ genannt. Darüber hinaus beinhalteten die Verträge als Allgemeine Geschäftsbedingungen Schriftformheilungsklauseln und doppelte Schriftformklauseln. Mit Schreiben vom 25.07.2006 bestätigte die Vorvermieterin dem Vormieter, dass ihm auch das „Lagern von handelsüblichen Waren“ gestattet sei. In einem Schreiben vom 18.07.2007 wies sie ihn darauf hin, dass „der Bereich Ihres Getränkeausschankes (…) nun den hinteren Eingang (…) als Verkaufsfläche“ nutze, und regte an, zusätzliche Flächen anzumieten. Jura Intensiv Zum 01.10.2008 trat der Beklagte aufgrund schriftlicher Vereinbarungen als Mieter in die Mietverträge ein. Er betrieb in den Räumen einen Getränkehandel. Nachdem die Klägerin das Grundstück erworben hatte, schlossen sie und der Beklagte am 04.11.2014 einen schriftlichen Nachtrag zum Mietvertrag. In diesem vereinbarten sie, dass das Mietverhältnis nunmehr auf bestimmte Zeit bis zum 31.12.2016 laufen und der Beklagte spätestens zwei Monate vor Vertragsablauf die Vertragsfortsetzung um sechs Monate durch Anzeige gegenüber der Klägerin verlangen können sollte. Mit Schreiben vom 09.02.2015 erklärte die Klägerin die fristlose und hilfsweise die fristgerechte Kündigung zum nächstmöglichen Zeitpunkt und wiederholte dies mit ihrer auf Räumung und Herausgabe gerichteten Klage. LEITSATZ Eine in einem Mietvertrag über Gewerberäume enthaltene sog. doppelte Schriftformklausel kann im Falle ihrer formularmäßigen Vereinbarung wegen des Vorrangs der Individualvereinbarung nach § 305b BGB eine mündliche oder auch konkludente Änderung der Vertragsabreden nicht ausschließen. Bei dem ursprünglichen Begehren handelt es sich nach der Erledigungserklärung um Prozessgeschichte, so dass diese im Perfekt stehen muss. Mit der Schriftformklausel legen die Parteien fest, dass alle Änderungen des Vertrages und alle Abreden, den Vertrag betreffend, der Schriftform bedürfen. Mit der doppelten Schriftformklausel, auch „qualifizie te Schriftformklausel“ genannt, vereinbaren sie, dass die Schriftformklausel nur schriftlich aufgehoben oder geändert werden darf. Die Änderung des Vertragszwecks hin zum Getränkehandel ist entscheidend für das Verständnis der Entscheidung. Die Zweckänderung wurde nämlich nicht schriftlich fixiert, was am Ende die Wirkung des § 550 BGB ausgelöst hat. Schriftlich vereinbarten die Parteien 2014 durch Individualabrede eine feste Laufzeit und eine Verlängerungsoption. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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