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RA Digital - 04/2017

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200 Öffentliches Recht

200 Öffentliches Recht RA 04/2017 Problem: Bildberichterstattung über Prominente Einordnung: Grundrechte BVerfG, Beschluss vom 09.02.2017 1 BvR 967/15 LEITSATZ (DER REDAKTION) Die Zivilgerichte müssen im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung das Gewicht der Pressefreiheit bei der Berichterstattung über Ereignisse, die von großem öffentlichen Interesse sind, ausreichend berücksichtigen. Von Bedeutung ist dabei unter anderem, ob sich die abgebildete Person im öffentlichen Raum bewegt. Betrifft die visuelle Darstellung die Privatsphäre oder eine durch räumliche Privatheit geprägte Situation, ist das Gewicht der Belange des Persönlichkeitsschutzes erhöht. EINLEITUNG Der „Fall Kachelmann“ beschäftigt die Justiz seit Jahren. Nach dem Freispruch des bekannten Wettermoderators vom Vorwurf der Vergewaltigung seiner ehemaligen Freundin (F) wehrt sich dieser auf allen juristischen Ebenen gegen die damalige Medienberichterstattung und versucht F juristisch zu belangen. Das BVerfG hatte jetzt zu entscheiden, ob eine erfolgreiche zivilrechtliche Unterlassungsklage im Zusammenhang mit einer Bildberichterstattung über Herrn Kachelmann die Pressefreiheit verletzt. SACHVERHALT Gegen K, einen bekannten Wettermoderator, wurde ein Strafverfahren wegen des Verdachts der Vergewaltigung geführt, in dessen Vorfeld er auch in Untersuchungshaft saß. Das Verfahren endete mit einem Freispruch. Das Medienunternehmen M begleitete den Strafprozess mit einer umfangreichen Berichterstattung. Am 18.5.2011 berichtete M unter der Überschrift „Das knallharte Schlussplädoyer des Staatsanwalts - Bringt ein Tampon … in den Knast?“ ausführlich über das staatsanwaltschaftliche Plädoyer. M illustrierte die Wortberichterstattung mit einem Lichtbild des Klägers, das ihn wenige Meter vom Eingang der Kanzlei seiner Verteidigerin entfernt auf dem Gehweg mit Kappe, Holzfällerhemd und einem Sakko in der Hand zeigt. Die Bildunterschrift lautet: „…-PROZESS - Wetter-Moderator wegen Vergewaltigung angeklagt - … am Mittwoch vor Beginn der Verhandlung“. K klagte vor den zuständigen Zivilgerichten erfolgreich auf Unterlassung der Bildberichterstattung. Die Zivilgerichte begründeten ihre Entscheidungen im Wesentlichen damit, dass der Beitrag sich zwar mit einem zeitgeschichtlichen Ereignis, dem Strafverfahren gegen K, befasse. Zwischen dem mit dem illustrierten Beitrag wahrgenommenen Informationsinteresse der M und dem damit verbundenen Eingriff in die Belange des Bildnis- und Persönlichkeitsschutzes des K bestehe aber keine hinreichende Korrelation. K sei in einer Situation der bloßen Vorbereitung auf dem Weg zur Hauptverhandlung an dem in Rede stehenden Tag festgehalten. Der Gang zu seiner Verteidigerin bilde eine vorgelagerte „Vorstufe“. Diese Vorstufe sei jedenfalls noch dem äußeren Bereich der Privatsphäre zuzuordnen. K sei erkennbar in einer Phase des „auf sich selbst Bezogenseins“ und insofern der Entspannung von den Anforderungen der Hauptverhandlung, die regelmäßig ein kontrolliertes Auftreten und Verhalten abverlange, abgebildet. Seine Kleidung signalisiere, dass sich K noch als „private“ Person vor dem bevorstehenden „offiziellen Auftritt“ befinde. Er durfte erwarten, keinen Bildnachstellungen ausgesetzt zu sein. Für das mit dem Beitrag verfolgte Berichterstattungsinteresse der M habe das in Rede stehende Foto nur eine geringe Funktion. Die Bildinformation sei banal und nur von geringem Informationswert. Zudem sei das Bildnis heimlich angefertigt worden und K hierdurch Nachstellungen ausgesetzt, die das Mandatsverhältnis zu seiner Verteidigerin beeinträchtigen könnten. Jura Intensiv Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 04/2017 Öffentliches Recht 201 M ist der Auffassung, die zivilgerichtlichen Entscheidungen würden ihre grundrechtlich geschützte Pressefreiheit verletzen. Ist das zutreffend? LÖSUNG M ist in ihrer durch Art. 5 I 2 1. Fall GG geschützten Pressefreiheit verletzt, wenn die zivilgerichtlichen Entscheidungen in den Schutzbereich dieses Grundrechts eingreifen und der Eingriff verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt ist. A. Eingriff in den chutzbereich I. Persönlicher Schutzbereich Die Pressefreiheit ist ein sog. Jedermannsrecht, das seinem Wesen nach auch auf juristische Personen anwendbar ist, Art. 19 III GG. Folglich ist der persönliche Schutzbereich für M eröffnet. BVerfGE 66, 116, 130; 95, 28, 34 II. Sachlicher Schutzbereich Weiterhin muss der sachliche Schutzbereich eröffnet sein. Als Presse sind alle zur Verbreitung an einen unbestimmten Personenkreis geeigneten und bestimmten Druckerzeugnisse einzustufen. Zum geschützten Verhalten gehören alle wesensmäßig mit der Pressearbeit zusammenhängenden Tätigkeiten von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung der Nachricht und Meinung. „[11] Im Zentrum der grundrechtlichen Gewährleistung der Pressefreiheit steht das Recht, Art und Ausrichtung sowie Inhalt und Form des Publikationsorgans frei zu bestimmen. Dazu zählt auch die Entscheidung, ob und wie ein Presseerzeugnis bebildert wird. Bildaussagen nehmen an dem verfassungsrechtlichen Schutz des Berichts teil, dessen Bebilderung sie dienen. Der Schutz der Pressefreiheit umfasst dabei auch die Abbildung von Personen.“ Folglich ist der Schutzbereich der Pressefreiheit eröffnet. Jura Intensiv III. Eingriff Ein Eingriff in den Schutzbereich eines Grundrechts ist jede staatliche Maßnahme, durch die ein grundrechtlich geschütztes Verhalten ganz oder teilweise unmöglich gemacht wird. Mit der Untersagung der Bildberichterstattung wird M die Ausübung ihrer Pressefreiheit teilweise unmöglich gemacht. Folglich liegt ein Eingriff in den Schutzbereich der Pressefreiheit vor. BVerfGE 95, 28, 35 BVerfGE 103, 44, 59 Vgl. BVerfG, NJW 2005, 3271, 3272 Unproblematisch und daher in einer Klausur kurz abzuhandeln B. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs Der Eingriff in den Schutzbereich der Pressefreiheit ist gerechtfertigt, soweit er durch die Schranken dieses Grundrechts gedeckt ist. I. Festlegung der Schranke Die Pressefreiheit unterliegt dem qualifizie ten Gesetzesvorbehalt des Art. 5 II GG. Konkret kommt die Schranke der allgemeinen Gesetze in Betracht. Damit sind Gesetze gemeint, die sich nicht gegen eine bestimmte Meinung als solche richten, sondern dem Schutz eines höherrangigen Rechtsguts dienen. Die einschränkenden Bestimmungen, auf die sich die zivilgerichtlichen Entscheidungen stützen, sind § 823 I, II BGB, § 1004 I 2 BGB analog, §§ 22 f. Kunsturhebergesetz (KUG), Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG. BVerGE 113, 63, 78f.; Pieroth/ Schlink/ Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn 658 © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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