Aufrufe
vor 6 Jahren

RA Digital - 04/2018

  • Text
  • Jura
  • Intensiv
  • Stpo
  • Inhaltsverzeichnis
  • Verlags
  • Recht
  • Stgb
  • Beklagte
  • Urteil
  • Strafrecht
Die Ausbildungszeitschrift von Jura Intensiv.

206 Referendarteil:

206 Referendarteil: Öffentliches Recht RA 04/2018 Die Zustandsverantwortlichkeit stellt einen Schwerpunkt der Rechtmäßigkeitsprüfung dar. Hier gilt es, den Sachverhalt und den Vortrag der Beteiligten umfassend auszuwerten. Sonderwissen wird nicht verlangt, jedoch sollten Parallelen zum Zivilrecht gezogen werden können. BGH, Urteil v. 30.6.2009, VI ZR 266/08, RdL 2009, 258 Öffentlich-rechtliche Verantwortlichkeit des Tierhalters geht über zivilrechtlich privilegierte Weidetierhaltung hinaus! Subsumtion des konkreten Sachverhalts Der Stellung des Tierhalters als Inhaber der tatsächlichen Gewalt steht dabei zunächst grundsätzlich nicht entgegen, dass sich ein Rind im Außenbereich auf der Weide befindet. Denn die artangemessene Haltung von Rindern auf Weiden ist üblich und lockert nicht den Anspruch des Tierhalters auf seine Herrschaft und die gleichzeitige Pflicht zur Verantwortlichkeit einer wirksamen Sicherung (sog. Hütesicherheit). Diese Hütesicherheit beinhaltet die Auswahl der Weide nach Geeignetheit, die Sicherung der Weide gegen Ausbruch der Tiere und eventuell ergänzend notwendige Maßnahmen bei besonderen Gefahrenlagen. Nach § 833 Satz 1 BGB ist der Tierhalter u.a. im Fall einer Körperverletzung verpflichtet, einer verletzten Person den entstandenen Schaden zu ersetzen. Zwar schränkt § 833 Satz 2 BGB die Ersatzpflicht im Fall der beruflichen Tierhalterhaftung ein, jedoch nur dann, wenn der Tierhalter bei der Beaufsichtigung des Tieres die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet hatte oder der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden sein würde. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist bei der Prüfung, ob im Fall des Ausbruchs von Tieren ein Tierhalter die ihm obliegenden Sorgfaltspflichten hinreichend beachtet hatte, nicht nur auf den Zustand der Umzäunung der Weide abzustellen. Über die Hütesicherheit entscheide nämlich nicht allein die Zaunkonstruktion, sondern auch die Sorgfalt des Tierhalters. Durch die Weidehaltung werde bei Rindern nämlich der Herdeninstinkt geweckt. Das habe zur Folge, dass typisches Wildtierverhalten wieder zum Vorschein komme. [...] Bei einer Weide, die über eine ausreichende Flächengröße verfüge, würden die Panik auslösenden Hormone durch das Laufverhalten der Tiere (Ausgaloppieren) abgebaut. [...] Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung geht das erkennende Gericht davon aus, dass auch dann, wenn eine zivilrechtlich privilegierte Weidetierhaltung vorliegt, eine öffentlich-rechtliche Verantwortlichkeit des Tierhalters nach § 7 Abs. 1 oder 2 HSOG bestehen kann. Der Tierhalter hat zumindest für die Ordnungsgemäßheit und Sicherheit der technischen Einrichtungen zur Zurückhaltung der Tiere (Weidezaun) nämlich Sorge zu tragen und muss das ihm Mögliche und Zumutbare tun, seine Tiere daran zu hindern, die Weiden zu verlassen. Die allgemeine Sicherungspflicht dürfte sich dabei dann noch erhöhen, wenn Besonderheiten gegeben sind, die eine Erhöhung der Gefahr im Falle eines Ausbruchs entweder hinsichtlich der Gefährlichkeit des gehaltenen Tieres oder bezüglich der gefährdeten Rechtsgüter bedingen. Als Beispiele sei hier die Weidehaltung entlang von Straßen oder die Haltung von Stieren genannt. Jura Intensiv Im konkreten Fall ist es deshalb für die Verantwortlichkeit des Klägers nicht maßgeblich, ob es bei der Haltung des Jungbullen auf der Weide durch einen technischen Defekt der Sicherung (Weidezaun gerissen oder Fehler des Stromgeräts) zu dem Ausbruch des Tieres gekommen ist oder ob dieser aufgrund eines äußeren Ereignisses oder des Entschlusses des Tieres selbst, die Sicherung zu überwinden, verursacht wurde. In jedem Fall blieb der Kläger nicht nur Eigentümer, sondern auch Inhaber der tatsächlichen Gewalt und polizeirechtlicher Verantwortlicher. Dies zeigt sich zudem darin, dass es dem Kläger darum ging, des ausgebrochenen Tieres wieder habhaft zu werden und sich wieder in den Besitz desselben zu setzen. [...] Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 04/2018 Referendarteil: Öffentliches Recht 207 Die weitere Voraussetzung einer Zustandshaftung nach § 7 Abs. 1 HSOG, dass von der Sache eine Gefahr ausgeht, ist im konkreten Fall nicht ernstlich zweifelhaft. Nach den Aussagen des Zeugen C., der am Einsatz vor Ort teilgenommen hatte, befand sich im Zeitpunkt des Eintreffens der Polizeistreife das Rind außerhalb einer Umzäunung im Bereich der K 61. Dies stellt eine unmittelbare Gefährdung des Straßenverkehrs dar, deren sofortige Beseitigung durch die Einsatzbeamten der Polizei veranlasst war. Deshalb ist es auch nicht zu beanstanden, wenn die Polizeibehörde die gebotene Maßnahme selbst unmittelbar ausgeführt hat, denn der Zweck der Maßnahme konnte durch die Inanspruchnahme eines nach § 6 oder 7 HSOG Verantwortlichen nicht oder nicht rechtzeitig erreicht werden. Vorrangiges Ziel war nicht das Einfangen des Tieres und seine Verbringung zurück auf die Weide oder in eine andere Sicherung, sondern die Verhinderung von Unfällen. Diese ureigene Pflicht des Tierhalters zur Sicherung von Menschen oblag somit zwar unmittelbar dem Kläger selbst, konnte aber erst mit seinem Eintreffen vor Ort ausgefüllt werden. Um es mit anderen Worten zu sagen: Der Einsatz der Polizei zum Schutz vor Gefahren von Leib und Leben von Verkehrsteilnehmern und anderen Menschen (Fußgänger oder Anwohner) war bis zum Eintreffen des von der Leitstelle benachrichtigten Klägers unabdingbar. [...] Hinsichtlich der Störerauswahl ist dem Beklagten kein Rechtsfehler unterlaufen. Sollte die Gefahr aber von einem unberechtigten Dritten hervorgerufen worden sein, der fahrlässig oder vorsätzlich die Sicherung der Weide beschädigt oder zerstört haben sollte, könnte ein Verhaltensverantwortlicher zwar nach § 6 Abs. 1 HSOG möglicherweise vorrangig ersatzpflichtig sein. Es ist jedoch weder belegt, dass Dritte den Weidezaun des Klägers manipuliert oder beschädigt haben könnten noch liegen Nachweise dafür vor, dass der Kläger selbst Handlungsverantwortlicher sein könnte. [...] Die Auferlegung der Kosten (Gebühren und Auslagen) auf den Kläger ist auch nicht unverhältnismäßig. Die Pflicht und Obliegenheit für die Ordnungsgemäßheit der Einzäunung und den Aufenthalt der Tiere innerhalb der Einzäunung trifft allein den Kläger als Eigentümer oder Inhaber der tatsächlichen Gewalt über Grund, Einzäunung und Viehbestand. An dieser Zustandsverantwortung muss er sich auch kostenrechtlich festhalten lassen. Dies mag von dem Kläger zwar als ungerecht empfunden werden, genauso ungerecht wäre es aber, die Kosten derartiger polizeilicher Maßnahmen zur Beseitigung der Störung dem Steuerzahler aufzubürden, der keinerlei Bezug zu dem Grundstück oder dem Viehbestand des Klägers hat und im Unterschied zu diesem auch nicht zu dem landwirtschaftlichen Gewinn der Tierhaltung. Als Zustandsverantwortlicher ist hier der Kläger der Sachnächste. Ob er sich für die Kosten der polizeilichen Amtshandlung bei Dritten schadlos halten oder sich gegen derartige Risiken versichern kann, ist eine zivilrechtlich zu klärende Frage und berührt nicht die Rechtmäßigkeit der öffentlich-rechtlichen Inanspruchnahme für Kosten einer polizeilichen Amtshandlung nach § 8 und § 7 HSOG. Soweit der Kläger geltend macht, er diene mit der Weidehaltung einem öffentlichen Zweck, nämlich der Sicherung von Landwirtschaft, Feld und Flur, so führt auch dieser Gedanke nicht zu einer Unverhältnismäßigkeit der Kostenforderung dem Grunde nach. Da der Kläger eine kommerzielle Tierhaltung betreibt, fehlt ein gemeinnütziger Ansatz auch dann, wenn er - wie in der Landwirtschaft üblich - öffentliche Fördermittel erhält. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Jura Intensiv Inhaltsverzeichnis Auch an dieser Stelle ist der vom Gericht gewählte Aufbau der Entscheidungsgründe unglücklich. Es finden sich Wiederholungen und es wird nicht klar, was genau geprüft wird. Dies lässt sich durch eine klare Prüfungsstruktur vermeiden! Die verschiedenen Möglichkeiten zur Gefahrenabwehr wären richtigerweise im Rahmen des Ermessens und der Verhältnismäßigkeit der Mittelauswahl zu erörtern. Ermessen bzgl. Störerauswahl: Auch hier sind die Ausführungen des Gerichts ungenau: Zwischen dem Verhaltens- und dem Zustandsstörer besteht prinzipiell kein Rangverhältnis. Die Polizei übt ihr Ermessen auf der Primärebene jedenfalls dann pflichtgemäß aus, wenn sie nach dem Grundsatz der Effektivität der Gefahrenabwehr vorgeht. Auf der Sekundärebene (Kostenverteilung) hat sie auch das Gebot der gerechten Lastenverteilung zu beachten, aus dem sich eine Pflicht zur vorrangigen Inanspruchnahme des Verhaltensstörers ergeben kann. Das Gericht arbeitet sodann verschiedene Einwände gegen die Kostentragungspflicht ab. Es ist davon auszugehen, dass der Kläger diese vorgebracht hat. In diesem Fall müssten sie in der Klausur auch zwingend im Tatbestand aufgeführt dargestellt werden (Tatbestand als Spiegelbild der Entscheidungsgründe).

RA - Digital

Rspr. des Monats