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RA Digital - 04/2019

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176 Zivilrecht

176 Zivilrecht RA 04/2019 II. Sittenwidrigkeit gem. § 138 I BGB Darin hat der Erblasser C die eindeutige und klare aufschiebende Bedingung für den Eintritt einer Erbfolge seiner Enkelkinder aufgestellt. Danach sollen sie nur dann Erben zu je ¼ werden, wenn sie den Erblasser regelmäßig, d.h. mindestens 6-mal im Jahr, besuchen. Dies haben sie jedoch bis zu seinem Tod nicht getan. Es stellt sich daher die Frage, ob die Bedingung wirksam ist. Die aus Art. 14 I 1 GG folgende Testierfreiheit des Erblassers wird eingeschränkt, wenn dieser in seinem Testament wirtschaftliche Anreize setzt, um sich ein bestimmtes Verhalten des Erben zu „erkaufen“. Die Testierung einer Besuchsbedingung ist sittenwidrig i.S.d. § 138 I BGB und daher als nichtig anzusehen. Das Gericht sieht vor allem ein Problem darin, dass die minderjährigen Enkelkinder bei der Erfüllung der Besuchspflicht auf die Mitwirkung der Eltern angewiesen gewesen sind. „[21] [Der Senat verkennt] nicht, dass die von Art. 14 I 1 GG geschützte Testierfreiheit eines Erblassers gewährleistet, dass es ihm grds. möglich bleiben muss, die Erbfolge nach seinen eigenen Vorstellungen zu gestalten, und eine Sittenwidrigkeit einer Bedingung nur in besonders schwerwiegenden Ausnahmefällen angenommen werden kann. Die Grenze zu derart schwerwiegenden Ausnahmefällen wird dabei nach überwiegender Auffassung, der sich der Senat anschließt, dann überschritten, wenn die von dem Erblasser erhobene Bedingung unter Berücksichtigung der höchstpersönlichen und auch wirtschaftlichen Umstände die Entschließungsfreiheit des bedingten Zuwendungsempfängers unzumutbar unter Druck setzt und durch das Inaussichtstellen von Vermögensvorteilen Verhaltensweisen bewirkt werden sollen, die regelmäßig eine freie, innere Überzeugung des Handelnden voraussetzen. Dabei können allerdings bei der entsprechenden Beurteilung keine pauschalen Feststellungen getroffen werden, sondern es sind jeweils die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Insoweit weist Leipold zu Recht darauf hin, dass die Umstände insbesondere erkennen lassen müssen, ob der Erblasser durch einen wirtschaftlichen Anreiz in einer gegen das "Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden" verstoßenden Weise ein bestimmtes Verhalten zu "erkaufen" sucht. Weiterhin weist Leipold zu Recht darauf hin, dass dann, wenn der Erblasser solche Ereignisse zur Bedingung macht, die vor dem Erbfall eintreten, und er den Bedachten von der bedingten Zuwendung nicht informiert, ein unbilliger Versuch einer Einflussnahme von vornherein ausscheidet. Im Übrigen ist unter anderem zu beachten, ob die Zuwendung nach ihrem Gewicht überhaupt geeignet ist, die Entscheidung des Bedachten zu beeinflussen und ob die Bedingung schlechthin über das Ob einer Zuwendung entscheiden oder nur deren Inhalt bestimmen soll. [23] Unter Berücksichtigung dieser allgemeinen Grundsätze sind die hier von dem Erblasser eingeforderten regelmäßigen, mindestens sechsmal jährlichen Besuche durch seine Enkelkinder als Voraussetzung der Erlangung einer Erbenstellung als sittenwidrig anzusehen. [24] Zwar ist nichts gegen den Wunsch des Erblassers einzuwenden, seine Enkelkinder in regelmäßigen Abständen bei sich zu Hause zu sehen. Dies legitimierte den Erblasser aber anderseits nicht dazu, diesem Wunsch in der gewählten Form Ausdruck zu verleihen. Dadurch hat er faktisch seine Enkelkinder unter Zwischenschaltung deren Eltern durch Inaussichtstellen einer Erbenstellung, die nur bei zwingender Erfüllung der Besuchsbedingung eintreten würde, die wiederum nicht nur von der eigenen, sondern auch von der Mitwirkungsbereitschaft ihrer Eltern abhängen würde, dem Druck ausgesetzt, zur Erlangung eines Vermögensvorteils zwingend die im Testament genannten Besuchsbedingungen zu erfüllen. Der dabei zu erlangende Vermögensvorteil für seine Enkelkinder war im Hinblick auf das zu vererbende Gesamtvermögen des Erblassers von 250.000,-- bis 300.000,-- € Jura Intensiv Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 04/2019 Zivilrecht 177 auch so erheblich, dass er ohne Weiteres geeignet war, die Entscheidung über die Besuchsfrage zu beeinflussen. [25] Über dieses Druckmittel wollte der Erblasser gerade ein Verhalten seiner Enkelkinder erreichen, das regelmäßig deren innere, freie Überzeugung voraussetzt. Dass die Enkelkinder tatsächlich möglicherweise dieser Drucksituation auch nur mittelbar durch ein entsprechendes Einwirken ihrer Eltern ausgesetzt worden wären, falls sie bei fehlender Kenntnis von dem Testament mit anderen Begründungen zu Besuchen "bei dem Opa" veranlasst worden wären, ändert dabei an der Sittenwidrigkeit des von dem Erblasser gewählten Wegs der Durchsetzung seiner Ziele nichts. Genauso wenig kommt es für die die Sittenwidrigkeit begründende Zweck-Mittel-Relation darauf an, ob seine Enkelkinder ihn tatsächlich unabhängig von der Testamentslage sowieso im genannten Umfang gerne regelmäßig besucht hätten. Dem Erblasser kam es offensichtlich jedenfalls gerade darauf an, und er hielt es tatsächlich für erforderlich, eine derartige Drucksituation zur Durchsetzung seiner Besuchsziele schaffen zu müssen. Dafür spricht insbesondere deutlich der Umstand, dass er dem Vater seiner Enkelkinder die maschinenschriftliche Abschrift des vorliegenden Testaments als Anlage seiner E-Mail vom 26.09.2014 mit einer "Vollstreckungsdrohung" übersandt hat. Diese Einflussnahme des Erblassers auf die Entschließungsfreiheit seiner Enkelkinder - auch bei der vorliegend gewählten Einbeziehung der Eltern - ist von der Rechtsordnung auch im Hinblick auf die Testierfreiheit des Erblassers nicht hinzunehmen und damit als sittenwidrig und somit nichtig einzuordnen. III. Rechtsfolge Fraglich ist jedoch, ob die Nichtigkeit der Besuchsbedingung auch zu einer Nichtigkeit der Erbeinsetzung der Enkelkinder führt. „[28] [Dies ist abzulehnen.] Dieses Ergebnis folgt nach einer Auffassung schon unmittelbar daraus, dass es sich hierbei um eine Bedingung handelte, mit der in unzulässiger Weise in Freiheitsrechte der Enkelkinder eingegriffen werden sollte, so dass dem Schutzzweck entsprechend die Zuwendung ohne die unwirksame Bedingung ohne Weiteres aufrechterhalten bleibt. [29] Ob dieser Auffassung zu folgen ist, kann offen bleiben, da sich hier auch nach der Gegenauffassung, die auf den im Einzelfall zu ermittelnden hypothetischen Willen eines Erblassers abstellen will, kein anderes Ergebnis zeigt. Danach ist, um den Eingriff in die Testierfreiheit des Erblassers so gering wie möglich zu halten, zu fragen, ob der Erblasser dann, wenn er gewusst hätte, dass die von ihm aufgestellte Besuchsbedingung unwirksam ist, zum maßgeblichen Zeitpunkt der Testamentserrichtung am 20.09.2014 gewollt hätte, dass jedenfalls die Erbeinsetzung seiner Enkelkinder aufrechterhalten bleibt, er also eher eine unbedingte als gar keine Zuwendung gemacht hätte. [30] Hiervon geht der Senat aus. [31] Hierfür spricht zunächst entscheidend, dass seine Enkelkinder, wie sich ohne Weiteres aus den bereits in Bezug genommenen E-Mails an seinen Sohn B ergibt, für den Erblasser eine derartige Bedeutung hatten, dass er diese sogar unter Enterbung seines Sohnes B, wenn auch verknüpft mit der unwirksamen Besuchsbedingung, insgesamt mit der Jura Intensiv Die Besuchsbedingung des C erzeugt in unzulässiger Weise Druck auf die Enkelkinder. Diese sind minderjährig und können ohne die Mithilfe und ohne Zustimmung der Eltern die Besuche kaum leisten. Hinzu kommt, dass der Vater der Enkelkinder, B, der andere Sohn des Erblassers ist und hier bei der Erbfolge übergangen wird. Ein Schelm, der Böses dabei denkt. Mit der E-Mail an B vom 26.09.2014 steigerte der Erblasser den innerfamiliären Druck noch einmal. Im Fall des LG Essen, RA 2018, 178 ff. sah das Gericht keine Sittenwidrigkeit darin, den Enkel zum Erben zu berufen, aber Testamentsvollstreckung anzuordnen. Diese sollte erst entfallen, wenn der Enkel sowohl das 26. Lebensjahr erreicht hat als auch den erfolgreichen Abschluss eines Hochschulstudiums vorweisen kann. Es fehlte im Essener Fall an der familiären Drucksituation und am Erkaufen von Zuwendung. Hätten die USA solche strengen Regeln, wäre die Menschheit um Buster Keatons Stummfilmklassiker „Seven Chances“ („Der Mann mit den tausend Bräuten“) ärmer. Dort soll der volljährige Ehemuffel Jimmy die 7 Millionen Dollar nur erben, wenn er bis abends verheiratet ist. Eine Ansicht geht davon aus, dass die Nichtigkeit der Besuchsbedingung bereits aufgrund des Eingriffs in die Freiheitsrechte der Enkelkinder nicht gleichzeitig auch zur Unwirksamkeit ihrer Erbeinsetzung führt. Eine andere Ansicht stellt auf den hypothetischen Willen des Erblassers ab. Mit ihr kommt das Gericht zum selben Ergebnis. Auslegung: Der Stamm des enterbten B soll genauso viel erhalten wie Sohn D und die Ehefrau insgesamt. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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