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RA Digital - 04/2019

Die Ausbildungszeitschrift von Jura Intensiv.

200 Öffentliches Recht

200 Öffentliches Recht RA 04/2019 Wichtig: Ganz genaue Auswertung der umstrittenen Äußerung und Beachtung des Zusammenhangs, in dem die Äußerung gefallen ist. § 86a StGB führt zu keinem anderen Ergebnis unter dem menschenverachtenden nationalsozialistischen Regime weder gutgeheißen noch verharmlost. Insoweit ist der Inhalt der Äußerung des Ortsbürgermeisters im Gesamtzusammenhang mit der Diskussion und Beschlussfassung des Gemeinderates der Beklagten darüber, ob die Glocke im Kirchturm von A... wegen der nationalsozialistischen Symbole abgehängt werden soll, und damit auch unter Berücksichtigung der dem Gemeinderat am 26. Februar und 12. März 2018 vorliegenden Beschlussvorlage zu sehen. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die Äußerungen des Ortsbürgermeisters die Gewalt und das Unrecht des nationalsozialistischen Regimes ausdrücklich anerkennen. Damit distanziert er sich zugleich von der menschenverachtenden Gewalt- und Willkürherrschaft, so dass in seinen Äußerungen […] keine Verharmlosung oder gar Billigung der Judenverfolgung zwischen den Jahren 1933 und 1945 zu sehen ist. Verstärkt wird die sich aus den Äußerungen des Ortsbürgermeisters zu entnehmende Distanzierung vom nationalsozialistischen Unrecht und damit von der Judenverfolgung durch die im Zusammenhang mit der vom Gemeinderat zum Ausdruck gebrachten Absicht der Beklagten, eine Mahntafel anzubringen, Veranstaltungen zu organisieren, die sich mit der Zeit des Nationalsozialismus sowie mit Themen von Gewalt und Unrecht in Geschichte und Gegenwart befassen, sowie den Ortshistoriker, der sich bereits in vielfältiger öffentlicher Art und Weise mit der Zeit des Nationalsozialismus in der Ortsgeschichte befasst habe, weiterhin zu unterstützen. Dass insbesondere die Mahntafel nach dem Vorbringen des Klägers bisher nicht aufgestellt worden ist, führt nicht zur rechtlichen Beanstandung der angegriffenen Äußerungen des Ortsbürgermeisters der Beklagten. Eine Verhöhnung des Klägers und anderer jüdischer Personen ist auch nicht aus anderen Gründen gegeben. Insbesondere beinhalten die zur Überprüfung gestellten Äußerungen kein „Konterkarieren“ nationalsozialistischer Symbole, deren Verwendung und Verbreitung gemäß § 86a Strafgesetzbuch unter Strafe stehen. Vielmehr wird deren Bedeutung als Symbol der menschenverachtenden nationalsozialistischen Ideologie und damit auch der Judenverfolgung nicht in Zweifel gezogen, sondern gerade anerkannt und die vorhandene sowie optisch nicht sichtbare Glocke lediglich zum Anlass genommen, entsprechend dem Gemeinderatsbeschluss vom 12. März 2018 zur Versöhnung mit den Opfern der Nazizeit aufzurufen. Nach alledem liegen […] keinerlei objektive Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ortsbürgermeister der Beklagten die nationalsozialistische Gewaltund Willkürherrschaft und dabei insbesondere die Judenverfolgung verharmlost und dadurch den Kläger oder alle Juden verhöhnt und in deren Menschenwürde oder Allgemeines Persönlichkeitsrecht eingriffen hat. […]“ Jura Intensiv Somit fehlt es an einem Eingriff in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des K, sodass die Voraussetzungen des öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruchs nicht vorliegen. K kann daher nicht verlangen, dass der Bürgermeister die umstrittene Äußerung in Zukunft unterlässt. Geprüft z.B. in Hessen, 2. Examen, Termin Juli 2017, 1. Klausur; NRW und Rh.-Pfalz, 1. Examen, Termin August 2015, 2. Klausur FAZIT Relevant sind zum einen die Ausführungen zum besonderen Ehr- und Achtungsanspruch der jüdischen Mitbürger. Zum anderen zeigt sich erneut, dass Äußerungen von Hoheitsträgern – ein „Examensklassiker“ - einer ganz genauen Auslegung bedürfen, bevor sie mit negativen Konsequenzen belegt werden können. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 04/2019 Referendarteil: Öffentliches Recht 201 Speziell für Referendare Problem: Untersagung des Mitführens gefährlicher Werkzeuge Einordnung: Polizeirecht VG Berlin, Beschluss vom 11.01.2019 1 L 363.18 EINLEITUNG In einem Eilverfahren hatte das Verwaltungsgericht Berlin über die Rechtmäßigkeit einer bundespolizeilichen Allgemeinverfügung zu befinden, mit der unter Anordnung der sofortigen Vollziehung das Mitführen gefährlicher Werkzeuge auf bestimmten Bahnhöfen und in bestimmten Zügen in Berlin befristet untersagt wurde. Hierbei hat es sich insbesondere mit der Frage der Bestimmtheit der Verfügung und dem Vorliegen einer konkreten Gefahr auseinandergesetzt. GRÜNDE I. „Der Antragsteller wendet sich gegen eine Allgemeinverfügung, durch die die Bundespolizeidirektion Berlin grundsätzlich das Mitführen gefährlicher Werkzeuge auf bestimmten Bahnhöfen und in bestimmten Zügen in Berlin befristet untersagt. Am 16. Oktober 2018 erließ die Bundespolizeidirektion Berlin eine Allgemeinverfügung zum Verbot des Mitführens von gefährlichen Werkzeugen über das gesetzliche Waffenverbot hinaus in Zügen und auf den Bahnhöfen unter Androhung eines Zwangsgeldes (nachfolgend "Allgemeinverfügung" genannt). Für die Dauer vom 1. November 2018 bis zum 31. Januar 2019 ist jeweils in den Nächten von Freitag auf Samstag und Samstag auf Sonntag im Zeitraum von 20:00 Uhr bis 6:00 Uhr das Mitführen oder Benutzen gefährlicher Werkzeuge auf dem Streckenabschnitt zwischen den S-Bahn-, Regional- und Fernbahnhöfen Zoologischer Garten und Lichtenberg sowie allen dazwischen liegenden, im Einzelnen bezeichneten S-Bahn-, Regional- bahn- und Fernbahnhöfen verboten. S-Bahn-, Regional- und Fernbahnverbindungen werden erfasst, solange und soweit sie auf dem vorgenannten Streckenabschnitt verkehren oder an einem der vorgenannten Bahnhöfe halten. Die Allgemeinverfügung gilt nicht für Personen, die gefährliche Werkzeuge unter Glaubhaftmachung einer Berechtigung oder zum häuslichen Gebrauch mitführen. Als Werkzeug gilt nach der Allgemeinverfügung jeder Gegenstand, der durch menschliche Kraft gegen einen Körper in Bewegung gesetzt werde kann, um ihn zu verletzen. Gefährlich ist nach der Definition der Allgemeinverfügung ein Werkzeug, das nach seiner objektiven Beschaffenheit und der Art und seiner konkreten Anwendung als Angriffs- oder Verteidigungsmittel im Einzelfall geeignet ist, erhebliche Verletzungen herbeizuführen. Beispielhaft werden Messer, Baseballschläger und Beile genannt. Jura Intensiv LEITSÄTZE (DER REDAKTION) 1. Die dem materiellen Strafrecht entlehnte Definition des gefährlichen Werkzeugs ist für Zwecke eines Verbots zur Gefahrenabwehr aufgrund der hierbei vorzunehmenden Gefahrenbewertung aus der Ex-ante-Perspektive zu unbestimmt. 2. Eine gefahrenabwehrrechtliche Allgemeinverfügung setzt als konkret-generelle Regelung das Vorliegen einer konkreten Gefahr voraus. 3. Die Gefahrenschwelle wird nicht bereits durch das bloße Mitführen eines gefährlichen Gegenstandes überschritten. Damit eine konkrete Gefahr durch einen mitgeführten Gegenstand entsteht, sind vielmehr weitere freie Willensentschlüsse notwenig. Ein Einleitungssatz ist in der Praxis üblich, aber eigentlich nicht erforderlich, wenn im Rubrum unter „wegen“ eine Zusammenfassung des Streitstandes erfolgt. Geschichtserzählung: Imperfekt Indikativ Es sollte, etwa durch die Setzung von Anführungszeichen, deutlich gemacht werden, ob der genaue Wortlaut der Allgemeinverfügung wiedergegeben wird (wofür hier die Verwendung des Indikativ Präsens spricht) oder der Inhalt nur zusammengefasst wird (dann Konjunktiv Präsens). © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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