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RA Digital - 04/2020

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194 Nebengebiete

194 Nebengebiete RA 04/2020 LÖSUNG Das Berufungsgericht hat seine abweichende Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Für den Werklohnanspruch der Klägerin gegen die Schuldnerin hafte die Beklagte zu 1 gemäß § 25 I 1 HGB. Sie führe das Handelsgeschäft der Schuldnerin im wesentlichen Kern fort und habe in ihrer Firma die prägenden Merkmale der Firma der Schuldnerin übernommen. Der Erwerb des Handelsgeschäfts erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über die Schuldnerin stehe der Anwendung des § 25 I 1 HGB nicht entgegen. Zwar finde § 25 I 1 HGB auf den Erwerb nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nach allgemeiner Ansicht keine Anwendung, wenn ein Insolvenzverwalter bestellt werde, da bei einer Übernahme der Unternehmensschulden durch den Erwerber eine gleichmäßige Befriedigung der Gläubiger gefährdet würde. § 25 I 1 HGB müsse indes auch bei Anordnung der Eigenverwaltung Anwendung finden. In einem Eigenverwaltungsverfahren sei eine einschränkende Auslegung des § 25 I 1 HGB nicht geboten, da es sich bei der Veräußerung des Handelsgeschäfts um eine Verfügung des Schuldners selbst handele, die nicht zur Liquidation des Unternehmens führe. Die Situation stelle sich aus Sicht der Gläubiger nicht anders als bei einer vorinsolvenzlichen Veräußerung des Handelsgeschäfts durch den Schuldner dar. 1. Anwendbarkeit des § 25 HGB Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerhaft angenommen, dass die Beklagte zu 1 für die Verpflichtung der Schuldnerin zur Werklohnzahlung nach § 25 I 1 HGB haftet. Bei der Veräußerung eines Handelsgeschäfts während eines Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung ist § 25 I 1 HGB nicht anwendbar. Daher kann dahinstehen, ob die Voraussetzungen einer Haftung nach § 25 I 1 HGB im Streitfall vorliegen. [9] a) Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung findet § 25 I 1 HGB beim Verkauf des Handelsgeschäfts durch den Insolvenzverwalter im eröffneten Insolvenzverfahren keine Anwendung (...). Die Veräußerung des Handelsgeschäfts durch den Insolvenzverwalter duldet eine Schuldenhaftung des Erwerbers nach § 25 I 1 HGB nicht, da sie den bestimmenden Grundsätzen des Insolvenzverfahrens zuwiderliefe. Die Aufgabe des Insolvenzverwalters, das Unternehmen im Interesse der Gläubiger an der bestmöglichen Verwertung der Masse im Ganzen zu veräußern, würde durch eine mögliche Haftung des Erwerbers für die Schulden des bisherigen Unternehmensträgers erschwert werden. Zudem käme es zu einer systemwidrigen Bevorzugung einzelner hierdurch begünstigter Insolvenzgläubiger unter Benachteiligung der übrigen Insolvenzgläubiger, die sich angesichts einer dadurch zu erwartenden Erlösschmälerung mit einer geringeren Verteilungsmasse zu begnügen hätten. Dies widerspräche dem Grundsatz der gleichmäßigen Befriedigung aller Insolvenzgläubiger. [10] Diese Rechtsprechung hat in der Literatur weit überwiegend Zustimmung gefunden (...). Die Gegenauffassung (...), die mit Rücksicht auf § 25 II HGB ein Bedürfnis für eine einschränkende Auslegung von § 25 I 1 HGB verneint, überzeugt nicht. Es ist nicht sachgerecht, den Insolvenzverwalter auf eine von weiteren Voraussetzungen abhängige Ausnahmevorschrift (§ 25 II HGB) zu verweisen, obwohl die ansonsten regelmäßig greifende Erwerberhaftung durchweg mit den bestimmenden Grundsätzen des Insolvenzverfahrens kollidiert. Jura Intensiv [11] b) Für die Veräußerung im Insolvenzverfahren mit angeordneter Eigenverwaltung ergibt sich nichts anderes. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts sind die Erwägungen, die zu einem Ausschluss der Anwendung des § 25 I 1 HGB auf Veräußerungen des Insolvenzverwalters geführt haben, auf Veräußerungsgeschäfte des Schuldners im Eigenverwaltungsverfahren übertragbar (ebenso Hopt in Baumbach/Hopt, HGB, 38. Aufl., § 25 Rn. 4; ...). [12] aa) Die Entscheidung über den besten Weg zur Erreichung der insolvenzrechtlichen Verfahrensziele (insbesondere Stilllegung, Fortführung, Insolvenzplan, übertragende Sanierung) ist gemäß § 157 InsO im Insolvenzverfahren der Gläubigerversammlung zugewiesen. Daran ändert sich grundsätzlich nichts, wenn bei der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Eigenverwaltung angeordnet wird (§ 270 I 2 InsO). Das Insolvenzgericht bestellt allerdings keinen Insolvenzverwalter. Der Schuldner bleibt während der Dauer des Insolvenzverfahrens nach § 270 I 1 InsO berechtigt, unter der Aufsicht eines Sachwalters die Insolvenzmasse zu verwalten und über sie zu verfügen (...). In Ausübung dieser Befugnisse kann es dem Schuldner obliegen, sein Handelsgeschäft im Interesse der Gläubiger an der bestmöglichen Verwertung der Masse im Ganzen zu veräußern. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 04/2020 Nebengebiete 195 [13] bb) Die Anwendung des § 25 I 1 HGB würde auch in der Eigenverwaltung zu einer Bevorzugung einzelner Insolvenzgläubiger führen, wodurch die übrigen Insolvenzgläubiger, die sich angesichts einer dadurch zu erwartenden Erlösschmälerung mit einer geringeren Verteilungsmasse zu begnügen hätten, benachteiligt würden. Eine Bevorzugung einzelner Insolvenzgläubiger widerspricht dem Grundsatz der gleichmäßigen Befriedigung aller Insolvenzgläubiger, der auch im Eigenverwaltungsverfahren Geltung beansprucht (...). [14] cc) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist eine Veräußerung des Handelsgeschäfts durch den eigenverwaltenden Schuldner nicht mit der Veräußerung durch den Sequester nach der Konkursordnung vergleichbar. [15] (1) Zutreffend ist allerdings, dass nach der Rechtsprechung des Senats § 25 I 1 HGB auf die Veräußerung eines Handelsgeschäfts durch den Sequester der Konkursordnung anzuwenden war (BGH, Urteil vom 11. April 1988 - II ZR 313/87, BGHZ 104, 151, 155 ff.). Zur Begründung hat der Senat maßgeblich darauf abgestellt, dass Funktionen und Befugnisse von Sequester und Konkursverwalter nicht miteinander vergleichbar sind. Eine Veräußerung durch den Sequester vor Konkurseröffnung war im Regelfall nicht ohne Zustimmung des Schuldners möglich. Sie stand damit rechtlich einer Veräußerung durch den Schuldner näher als derjenigen durch den Konkursverwalter. Zudem galt im Sequestrationsverfahren noch nicht der Gleichbehandlungsgrundsatz. [16] (2) Einer Übertragung dieser Erwägungen auf den eigenverwaltenden Schuldner steht die Ausgestaltung des Eigenverwaltungsverfahrens entgegen. Die Stellung des eigenverwaltenden Schuldners ähnelt nicht der des Sequesters, sondern ist derjenigen des Insolvenzverwalters angeglichen. (wird ausgeführt) [22] dd) Entgegen dem Einwand der Revisionserwiderung setzt die Unanwendbarkeit des § 25 I 1 HGB in der Eigenverwaltung keine unerwünschten Anreize, vor Veräußerung des Handelsgeschäfts im größtmöglichen Umfang noch Waren- oder Werklieferungen zu beziehen, um einen höheren Kaufpreis zu erzielen. [23] Ein solcher Anreiz besteht für die Geschäftsleiter der eigenverwalteten Gesellschaft nicht. Sie haften den Beteiligten für die Verletzung der ihnen obliegenden insolvenzspezifischen Pflichten analog §§ 60, 61 InsO auf Schadensersatz (BGH, Urteil vom 26. April 2018 - IX ZR 238/17, BGHZ 218, 290 Rn. 47 ff.). Darüber hinaus trifft den Sachwalter eine Prüfungs- und Überwachungspflicht. Er muss durch Kontrollen des Schuldners sicherstellen, dass dieser seine Geschäftsführungsbefugnisse nicht zur Gläubigerschädigung missbraucht (§ 274 II InsO; ...). Nach § 275 I 2 InsO kann der Sachwalter der Eingehung von Verbindlichkeiten widersprechen, auch wenn sie zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören. [24] Im Übrigen stellt sich das von der Revisionserwiderung ausgemachte Problem unabhängig von der Frage, ob § 25 I 1 HGB in der Eigenverwaltung anwendbar ist. Der eigenverwaltende Schuldner kann auch ohne das Vorhaben einer übertragenden Sanierung Neuverbindlichkeiten eingehen, die von der Masse nicht gedeckt sind. Die bekannten Gefahren der Eigenverwaltung haben den Gesetzgeber nicht davon abgehalten, mit dem Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen vom 7. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2582) Hindernisse auf dem Weg zur Eigenverwaltung auszuräumen (vgl. RegE, BT-Drucks. 17/5712, S. 38). Jura Intensiv Es kann natürlich nicht verlangt werden, dass der Prüfling derartige Vergleiche und Überlegungen in der Klausur anstellt. Deshalb wurde diese Passage um die Randnummern 17-21 gekürzt. Entscheidend ist, dass Sie sich die zentrale Begründung in den Randnummern 9, 10 und 13 merken. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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