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RA Digital - 04/2020

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Die Ausbildungszeitschrift von Jura Intensiv.

200 Öffentliches Recht

200 Öffentliches Recht RA 04/2020 Gemeint ist § 217 II StGB Hier zeigt sich sehr deutlich, dass die Geeignetheit eine ganz niedrige Hürde in der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist. Mögliche einzelne Umgehungen der Bestrafung stellen nicht die Geeignetheit insgesamt infrage. Das BVerfG prüft die Erforderlichkeit nicht (Rn 263 der Entscheidung), was für die Klausur keine Option ist. Allgemeine rechtliche Erwägungen: Einsatz des Strafrechts grds. legitim Grenze der Zulässigkeit des Strafrechts: Autonome Entscheidung des Einzelnen wird unmöglich gemacht Staat darf nur Gefahren für eine autonome Entscheidung bekämpfen, muss die Entscheidung als solche aber hinnehmen. „[261] Die Eignung wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass der straffrei verbleibenden nicht geschäftsmäßigen Suizidhilfe, insbesondere im Fall von Angehörigen als Suizidhelfern, nach Auffassung einzelner Beschwerdeführer ein mindestens ebenso großes Gefahrenpotenzial für die Selbstbestimmung des Einzelnen innewohnt wie der geschäftsmäßigen Suizidhilfe durch Außenstehende. Die Entscheidung des Gesetzgebers, nur einer bestimmten von mehreren Gefahrenquellen zu begegnen, vermag Lücken des Rechtsgüterschutzes zu begründen. Soweit der Schutz reicht, wird seine Eignung dadurch aber nicht infrage gestellt. [262] Das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung ist auch nicht deshalb ungeeignet, die mit ihm verfolgten Zwecke zu erreichen, weil es möglicherweise im Einzelfall durch eine grenzüberschreitende Organisation der Suizidhilfe unter Einbindung von nach § 217 Abs. 2 StGB als Teilnehmer straffrei verbleibenden Personen umgangen werden könnte. Im Einzelfall unter besonderen Bedingungen straffrei verbleibende Möglichkeiten geschäftsmäßiger Suizidhilfe vermögen die generelle Eignung des § 217 StGB […] nicht zu entkräften. Die Straffreiheit geschäftsmäßig handelnder Suizidhelfer im Ausland ist Folge der begrenzten Regelungshoheit des Gesetzgebers. […] Somit ist § 217 StGB zur Erreichung der genannten gesetzgeberischen Ziele geeignet. cc) Angemessenheit Schließlich muss § 217 StGB auch angemessen sein, das verfolgte Ziel und der mit der Vorschrift verbundene Grundrechtseingriff müssen also in einem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen. „[268] Der hohe verfassungsrechtliche Rang der Rechtsgüter Autonomie und Leben, die § 217 StGB schützen will, vermag den Einsatz des Strafrechts grundsätzlich zu legitimieren. Jura Intensiv [273] Der legitime Einsatz des Strafrechts zum Schutz der autonomen Entscheidung des Einzelnen über die Beendigung seines Lebens findet seine Grenze aber dort, wo die freie Entscheidung nicht mehr geschützt, sondern unmöglich gemacht wird. [275] Die staatliche Schutzpflicht zugunsten der Selbstbestimmung und des Lebens kann […] erst dort gegenüber dem Freiheitsrecht des Einzelnen den Vorrang erhalten, wo dieser Einflüssen ausgeliefert ist, die die Selbstbestimmung über das eigene Leben gefährden. Diesen Einflüssen darf die Rechtsordnung durch Vorsorge und durch Sicherungsinstrumente entgegentreten. Jenseits dessen ist die Entscheidung des Einzelnen, entsprechend seinem Verständnis von der Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz dem Leben ein Ende zu setzen, hingegen als Akt autonomer Selbstbestimmung anzuerkennen. [277] […] Dem Einzelnen muss die Freiheit verbleiben, auf die Erhaltung des Lebens zielende Angebote auszuschlagen und eine seinem Verständnis von der Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz entspringende Entscheidung, das eigene Leben mit Hilfe bereitstehender Dritter zu beenden, umzusetzen. […] Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 04/2020 Öffentliches Recht 201 [279] § 217 StGB suspendiert mit seinem Ansatz eines Schutzes durch ein absolutes Verbot der geschäftsmäßigen Suizidhilfe die Selbstbestimmung des Einzelnen in dem von der Regelung erfassten Bereich vollständig, indem er den Entschluss zur Selbsttötung einem unwiderleglichen Generalverdacht mangelnder Freiheit und Reflexion unterstellt. […] [282] Der Gesetzgeber leitet die Angemessenheit des Verbots der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung daraus ab, dass die im Einzelfall geleistete, nicht geschäftsmäßige Suizidhilfe straffrei bleibe. […] [283] Die stillschweigende Annahme des Gesetzgebers, Möglichkeiten zur assistierten Selbsttötung seien außerhalb geschäftsmäßiger Angebote tatsächlich verfügbar, nimmt indes nicht die Einheit der Rechtsordnung in Bedacht. […] [284] […] Ohne geschäftsmäßige Angebote der Suizidhilfe ist der Einzelne […] maßgeblich auf die individuelle Bereitschaft eines Arztes angewiesen, an einer Selbsttötung zumindest durch Verschreibung der benötigten Wirkstoffe assistierend mitzuwirken. Von einer solchen individuellen ärztlichen Bereitschaft wird man bei realistischer Betrachtungsweise nur im Ausnahmefall ausgehen können. Genau auf diesen Umstand reagieren Sterbehilfevereine mit ihren Angeboten. […] [285] Statistische Erhebungen und Meinungsbilder zeigen auf, dass die Mehrheit der Ärzte jedenfalls eine eigene Bereitschaft zur Suizidhilfe verneint. […] [290] Das Berufsrecht der Ärzte setzt der individuellen Bereitschaft zur Suizidhilfe weitere Grenzen jenseits oder gar entgegen der individuellen Gewissensentscheidung des einzelnen Arztes. […] Das föderal geregelte ärztliche Berufsrecht sieht jedenfalls in weiten Teilen des Bundesgebietes berufsrechtliche Verbote der Suizidhilfe vor. […] [294] Die berufsrechtliche Untersagung ärztlicher Suizidhilfe schließt die reale Aussicht auf eine assistierte, der eigenen Selbstbestimmung entsprechende Selbsttötung weitgehend aus. Diese Einschränkung erlangt besonderes Gewicht, weil die heterogene Ausgestaltung des ärztlichen Standesrechts die Verwirklichung der Selbstbestimmung für den Einzelnen, der sich im Zustand schwerer Erkrankung und eingeschränkter oder gar aufgehobener Mobilität befinden kann, geografischen Zufälligkeiten unterstellt. Jura Intensiv [298] Auch die durch das Gesetz zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland in sachlichem Zusammenhang mit der Einführung des Verbots der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung beschlossenen Verbesserungen der palliativmedizinischen Patientenversorgung sind nicht geeignet, eine unverhältnismäßige Beschränkung der individuellen Selbstbestimmung auszugleichen. Sie mögen bestehende Defizite in der quantitativen und qualitativen Palliativversorgung beseitigen und hierdurch geeignet sein, die Zahl darauf zurückzuführender Sterbewünsche todkranker Menschen zu reduzieren. Sie sind indes kein Korrektiv zur Beschränkung dennoch oder losgelöst davon in freier Selbstbestimmung gefasster Selbsttötungsentschlüsse. § 217 StGB erfüllt die o.g. rechtlichen Anforderungen nicht Vgl. BT-Drs. 18/5373, S. 2, 13, 14 Gesetzgeber geht von der Existenz strafloser Möglichkeiten der Unterstützung des Suizids aus, die faktisch jedoch nicht bestehen. Aufgrund des § 217 StGB ist der Suizident auf ärztliche Hilfe angewiesen, um die Selbsttötung zu realisieren. Problem 1: Viele Ärzte wollen keine Suizidhilfe leisten. Problem 2: Berufsrecht der Ärzte verbietet weitgehend die Suizidhilfe Fazit: Faktisch ist eine ärztliche Suizidhilfe nicht zu erlangen. Verbesserte Palliativversorgung ändert an Unverhältnismäßigkeit nichts © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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