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RA Digital - 04/2020

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Die Ausbildungszeitschrift von Jura Intensiv.

206 Öffentliches Recht

206 Öffentliches Recht RA 04/2020 Offenes Tragen religiöser Symbole alleine begründet keine Parteilichkeit Keine verfassungsimmanente Schranke: Gefährdung des religiösen Friedens § 27 I JAG: „Rechtsreferendarinnen und Rechtsreferendare haben sich der Ausbildung mit vollem Einsatz ihrer Arbeitskraft zu widmen. Im Übrigen gelten für sie die für Beamtinnen und Beamte auf Widerruf geltenden Bestimmungen mit Ausnahme von die (sic!) §§ 47 und 80 des Hessischen Beamtengesetzes sowie § 3 des Hessischen Besoldungsgesetzes entsprechend.“ § 45 S. 1, 2 HBG: „Beamtinnen und Beamte haben sich im Dienst politisch, weltanschaulich und religiös neutral zu verhalten. Insbesondere dürfen sie Kleidungsstücke, Symbole oder andere Merkmale nicht tragen oder verwenden, die objektiv geeignet sind, das Vertrauen in die Neutralität ihrer Amtsführung zu beeinträchtigen oder den politischen, religiösen oder weltanschaulichen Frieden zu gefährden.“ A.A. das Minderheitsvotum des Richters Maidkowski Zentrale Argumente für die Angemessenheit: • Verbot betrifft nur wenige Tätigkeiten und ist damit zeitlich begrenzt • Juristischer Laie kann Referendar nicht unbedingt von Richter und Staatsanwalt unterscheiden Mögliche andere Grundrechte der B (Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I 1, 3 III 1, 12 I GG) sind aus den zu Art. 4 I, II GG genannten Gründen ebenfalls nicht verletzt. [99] Das Verwenden eines religiösen Symbols im richterlichen Dienst ist für sich genommen indes nicht geeignet, Zweifel an der Objektivität der betreffenden Richter zu begründen. Ebenso wenig, wie die Zugehörigkeit eines Richters zu einer politischen Partei für sich allein die Besorgnis der Befangenheit begründen kann, ist dies bei seiner Religions- oder Konfessionszugehörigkeit der Fall. […] [100] Nach dem Grundsatz der weltanschaulich-religiösen Neutralität ist es dem Staat zwar untersagt, den religiösen Frieden in einer Gesellschaft […] zu gefährden. Ein […] allgemeiner Schutzanspruch für den gesellschaftlichreligiösen Frieden im Sinne einer alle Lebensbereiche umfassenden Garantenpflicht lässt sich aus dieser Neutralitätspflicht allerdings nicht ableiten. […]“ Die aufgezeigte Kollision der Glaubensfreiheit mit den kollidierenden verfassungsimmanenten Schranken hat der Gesetzgeber mittels einfachen Gesetzes zu lösen. Diese gesetzlichen Regelungen sind hier § 27 I JAG und § 45 S. 1, 2 HBG. Diese Normen haben die dargestellte Kollision nach dem Prinzip der praktischen Konkordanz zu lösen. Demnach ist eine Beschränkung der Glaubensfreiheit der Beschwerdeführerin möglich. 2. Schranken-Schranken Die angegriffene Entscheidung des VGH muss verhältnismäßig, insbesondere angemessen sein. Dabei sprechen für B die besondere Bedeutung der Glaubensfreiheit und der Umstand, dass sie zur Ableistung des Referendariats gezwungen ist, um Volljuristin zu werden. „[104] Für die Verfassungsmäßigkeit des streitgegenständlichen Verbots spricht […] der Umstand, dass sich das Verbot auf wenige einzelne Tätigkeiten beschränkt, […]. Der Umstand, dass sich Rechtsreferendare in Ausbildung befinden und nach deren Abschluss womöglich Tätigkeiten ausüben, für welche die dargestellten verfassungsrechtlichen Maßstäbe nicht greifen, führt zu keiner anderen Bewertung. Zum einen sind Rechtsreferendare für Rechtssuchende […] nicht bei jeder Tätigkeit als solche zu erkennen. Zum anderen haben die angesprochenen Personen ein Anrecht darauf, dass die justiziellen Grundbedingungen auch dann gelten, wenn der Staat Aufgaben zu Ausbildungszwecken überträgt. [105] Hierbei handelt es sich um Tätigkeiten, die einen vergleichsweise kurzen Zeitraum der Ausbildungsdauer umfassen. […] besteht auf ihre Wahrnehmung […] kein Rechtsanspruch. Insbesondere der staatsanwaltschaftliche Sitzungsdienst […] wird im maßgeblichen Ausbildungsplan ausdrücklich nicht als „Regelleistung im engeren Sinne“ bezeichnet […]. [106] Vor diesem Hintergrund basiert die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs auf einer verfassungsgemäßen Anwendung des § 27 Abs. 1 Satz 2 JAG in Verbindung mit § 45 HBG.“ Jura Intensiv Demnach ist B nicht in ihrer Glaubensfreiheit verletzt. FAZIT Die Entscheidung zeigt sehr deutlich, dass hinsichtlich der staatlichen Neutralitätspflicht ganz genau darauf zu achten ist, um welchen Funktionsträger es geht. Lehrer, Erzieher und Teile der Beamtenschaft sind richtigerweise anders zu behandeln als insbesondere Richter, Staatsanwälte und Rechtsreferendare. Interessant sind zudem die Ausführungen des BVerfG zu den möglichen verfassungsimmanenten Schranken. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 04/2020 Referendarteil: Öffentliches Recht 207 Speziell für Referendare Problem: Widerruf der waffenrechtlichen Erlaubnis eines (parteilosen) Kandidaten auf der Kommunalwahlliste der NPD Einordnung: Waffenrecht VG Gießen, Beschluss vom 23.12.2019 9 L 2757/19.GI EINLEITUNG Das Verwaltungsgericht Gießen hatte im Rahmen eines Eilverfahrens über die Frage zu entscheiden, ob einem parteilosen Kandidaten allein wegen seiner Kandidatur auf einer Kommunalwahlliste der NPD die waffenrechtliche Zuverlässigkeit abgesprochen werden konnte. Hierbei hat es sich intensiv mit der diesbezüglichen Grundsatzentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.06.2019 – 6 C 9/18 – (vgl. RA 11/2019) auseinandergesetzt. GRÜNDE I. „Der Antragsteller begehrt die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Widerruf einer waffenrechtlichen Erlaubnis. Der Antragsteller, [...] ist seit dem 30.01.2003 Inhaber einer Waffenbesitzkarte. Mit Schreiben vom 15.05.2019 teilte die Waffenbehörde des Antragsgegners dem Antragsteller mit, dass er nach den vorliegenden Erkenntnissen aktives Mitglied der NPD sei und bei der Kommunalwahl 2016 für diese kandidiert habe. Das BVerfG habe in seiner Entscheidung vom 17.01.2017 festgestellt, dass die NPD nach ihren Zielen und dem Verhalten ihrer Anhänger die Beseitigung der freiheitlich demokratischen Grundordnung anstrebe. Vor dem Hintergrund der Regelung in § 5 Abs. 2 Nr. 3 a und b WaffG sei deshalb beabsichtigt, die waffenrechtliche Erlaubnis zu widerrufen. [...] Dem Antragsteller wurde Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 21.06.2019 gegeben. Mit Schreiben vom 14.06.2019 teilte der Antragsteller der Waffenbehörde daraufhin mit, dass er kein Mitglied der NPD sei, sondern vielmehr im Jahr 2016 als parteiloser Kandidat auf der Kreistagsliste der NPD kandidiert habe. [...] Er sei zudem Mitglied im Verband der Reservisten der Deutschen Bundeswehr e.V. Gemäß der Mitgliedersatzung träten Reservisten aktiv für die freiheitliche Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland ein. [...] Eine Auslegung des Gesetzes, wonach es § 5 Abs. 2 Nr. 3 a und b WaffG erlaube, eine einzelne Person nur aufgrund ihrer Meinung oder der eventuellen Mitgliedschaft in einer Partei pauschal als waffenrechtlich unzuverlässig anzusehen, sei diskriminierend und entziehe haltlos die in der Verfassung und Gesetzgebung festgelegten Rechte. [...] Jura Intensiv Die Waffenbehörde des Antragsgegners widerrief mit Bescheid vom 26.06.2019 die waffenrechtliche Erlaubnis des Antragstellers gemäß § 45 Abs. 2 WaffG (Ziff. 1) und forderte ihn zugleich auf, alle Gegenstände, die er aufgrund der waffenrechtlichen Erlaubnis erworben habe oder über die er befugt die tatsächliche Gewalt ausübe, innerhalb eines Monats nach LEITSÄTZE 1. Die Kandidatur eines parteilosen Kandidaten auf der Kommunalwahlliste der NPD genügt in der Regel für die Annahme der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit nach § 5 II Nr. 3a WaffG 2. Eine Mitgliedschaft im Verband der Reservisten der Deutschen Bundeswehr e.V. ist nicht geeignet, Rückschlüsse auf eine Abkehr oder Distanzierung vom Verfolgen oder Unterstützen verfassungsfeindlicher Bestrebungen zuzulassen. Ein Einleitungssatz ist zwar in der Praxis üblich, jedoch nicht erforderlich, wenn im Rubrum unter „wegen“ der Streitgegenstand schlagwortartig wiedergegeben wird. Zustände und Beschreibungen, die die Gegenwart betreffen werden im Indikativ Präsens dargestellt. Geschichtserzählung: Indikativ Imperfekt Alle Verfügungspunkte genau wiedergeben! © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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