Aufrufe
vor 5 Jahren

RA Digital - 05/2018

  • Text
  • Jura
  • Intensiv
  • Inhaltsverzeichnis
  • Verlags
  • Anspruch
  • Urteil
  • Auflage
  • Strafrecht
  • Recht
  • Beklagten
Die Ausbildungszeitschrift von Jura Intensiv.

246 Referendarteil:

246 Referendarteil: Zivilrecht RA 05/2018 jetzt annehme. Er sei damit einverstanden, dass sich die Klägerin bis zum 15.09.2017 zu diesem Angebot äußere, und er halte sich bis dahin an seine Annahme gebunden. Mit Schriftsatz vom 06.09.2017, bei Gericht eingegangen am selben Tag, teilte die Beklagte mit, sie erhalte ihr Angebot auf Abschluss eines Vergleichs nicht aufrecht. Mit Schriftsatz vom 07.09.2017, bei Gericht eingegangen am selben Tag, erklärte die Klägerin die Annahme des Vergleichsangebots. Rechtsauffassungen im Tatbestand sind nur dann erlaubt, wenn in tatsächlicher Hinsicht nichts streitig ist. Bei zusammenhängenden Lebenssachverhalten sollen alle Anträge zur Klage und Widerklage – wie hier – hintereinander dargestellt werden. Auch wenn es in der Praxis üblich sein mag, das Beklagtenvorbringen nach dem Klageabweisungsantrag und vor dem Widerklageantrag zu positionieren, haben die LJPA andere Erwartungen an den Aufbau. Die Klägerin ist der Rechtsauffassung, dass zwar kein Prozessvergleich, gleichwohl aber ein materiell-rechtlicher Vergleich zwischen den Parteien zustande gekommen sei. Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 26.250,60 € zu zahlen. Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Sie beantragt widerklagend, die Klägerin zu verurteilen, das Angebot der Beklagten auf Abschluss eines Darlehensvertrages entsprechend der Vereinbarung v. 14.11./20.11.2013 Zug-um-Zug gegen Stellung einer Bürgschaft des Herrn S. Über 24.000 € nach Übersendung eines entsprechenden Bürgschaftsformulars seitens der Klägerin anzunehmen. Die Klägerin beantragt, die Widerklage abzuweisen. Die Beklagte meint, eine Verurteilung auf den Anspruch aus dem Vergleich wäre nur nach einer Klageänderung möglich gewesen. Ferner meint die Beklagte, dass im Hinblick auf eine vorgerichtliche Einigung der Parteien zur Regelung ihrer Beziehungen entsprechend der Vereinbarung vom 14.11./20.11.2013 die Klägerin zum Abschluss eines entsprechenden Darlehensvertrags verpflichtet sei. Jura Intensiv ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE Ob eine Klageänderung vorliegt richtet sich danach, ob sich der Streitgegenstand geändert hat. Definition des Streitgegenstands, s. dazu auch BGH, Urteil vom 07.03.2002, III ZR 73/01, Rn 14 Die Klage ist zulässig und begründet. Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch aus § 779 BGB, weil zwischen den Parteien ein wirksam geschlossener materiell-rechtlicher Vergleich zustande gekommen ist. Der Vergleichsvertrag ist wirksam, auch wenn ein Prozessvergleich gemäß § 278 VI ZPO nicht zustande gekommen ist. Entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten bedurfte es keiner Klageänderung seitens der Klägerin, da es sich nicht um einen vom ursprünglich geltend gemachten Anspruch verschiedenen Streitgegenstand handelt. „II.2.a. Gegenstand eines Rechtsstreits ist nach ständiger Rechtsprechung ein prozessualer Anspruch, der durch das allgemeine Rechtsschutzziel und die erstrebte konkrete Rechtsfolge, wie sie sich aus dem Klageantrag ergibt, sowie durch den Lebenssachverhalt (Klagegrund), aus dem der Kläger die begehrte Rechtsfolge herleitet, bestimmt wird. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 05/2018 Referendarteil: Zivilrecht 247 Schließen die Parteien während eines anhängigen Rechtsstreits einen außergerichtlichen Vergleich, so ist hinsichtlich der Auswirkungen auf den Streitgegenstand zwischen Fällen der Novation und der bloßen Modifikation des Streitverhältnisses zu differenzieren. Der Vergleich beinhaltet eine Novation, die zu einem anderen Lebenssachverhalt und Klagegrund führt, wenn die Beteiligten unter Aufhebung der alten Schuldverhältnisse ein neues vereinbaren und hierdurch ihre beiderseitigen Forderungen ohne Rücksicht auf die früheren Streitigkeiten auf eine völlig neue Grundlage stellen. Dies ist nach Ansicht des Bundesgerichtshofs die Ausnahme, weil ein Vergleich regelmäßig nicht „schuldumschaffend“ wirke. […] Im Regelfall enthält der Vergleich nur eine die Identität des ursprünglichen Schuldverhältnisses wahrende Modifikation des Schuldverhältnisses und ist damit bloß unselbständiges Element zu dem einheitlichen Lebenssachverhalt, aus dem der Kläger seinen ursprünglichen Anspruch hergeleitet hat.“ Dies ist vorliegend der Fall. Weder dem ursprünglichen Vorschlag des LG noch den darauf bezogenen Erklärungen der Parteien sind Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass der Vergleich eine vollständig neue Grundlage für das Rechtsverhältnis der Parteien unabhängig von den streitgegenständlichen Darlehensverträgen bilden sollte. Daher handelt es sich hier um den Regelfall eines außergerichtlichen Vergleichs, der lediglich auf eine bloße Modifikation des Streitverhältnisses gerichtet war. Mit den Erklärungen der Parteien auf den gerichtlichen Vergleichsvorschlag hin ist ein materiell-rechtlicher Vergleich gem. § 779 BGB wirksam durch Angebot und Annahme zustande gekommen. Der Erklärung des Beklagtenvertreters in der mündlichen Verhandlung ist nach dem objektiven Empfängerhorizont gemäß den §§ 133, 157 BGB ein Angebot zum Abschluss eines materiell-rechtlichen Vergleichsvertrages entsprechend dem Inhalt des gerichtlichen Vergleichsvorschlags zu entnehmen. Generell gilt, dass einem Prozessvergleich eine Doppelnatur zukommt, die neben der nach verfahrensrechtlichen Regeln zu beurteilenden Prozesshandlung zur Verfahrensbeendigung auch ein nach den Vorschriften des materiellen Rechts zu beurteilendes privates Rechtsgeschäft der Parteien zur Regelung ihrer Ansprüche und Verbindlichkeiten beinhaltet. Zwar erklärte der Beklagtenvertreter vorliegend nicht explizit ein Angebot, sondern wörtlich eine „Annahme“ des Vergleichsvorschlags. Nach dem objektiven Empfängerhorizont musste dies aber jedenfalls zugleich auch als ein Angebot verstanden werden können, eine Bindung entsprechend dem Vergleichsvorschlag einzugehen. Überdies machte der Beklagtenvertreter auch mit dem Zusatz, dass er damit einverstanden sei, dass sich die Klägerin bis zum 15.09.2017 zu diesem Angebot äußere, deutlich, dass er eine Erklärung gegenüber der Klägerin und nicht gegenüber dem Gericht als Empfänger abgeben wollte. Jura Intensiv Wirkung des Vergleichs: Novation oder Modifikation? Ein Vergleich beinhaltet nur ausnahmsweise eine Novation. Die Parteien müssen hierzu ohne Rücksicht auf die frühere Streitigkeit ihre Forderungen auf eine neue Grundlage stellen wollen. Im Regelfall nur Modifikation Keine Anhaltspunkte für eine Novation ersichtlich Ein Prozessvergleich ist hier nicht wirksam zustande gekommen, da es seitens der Beklagten an einer schriftsätzlichen Annahme des Vergleichsvorschlags nach § 278 IV ZPO fehlt. Der Vertragsschluss gem. § 779 BGB ist davon aber losgelöst zu betrachten. Auslegung der Erklärung nach dem objektiven Empfängerhorizont Zur Doppelnatur des Prozessvergleichs: BGH, Urteil vom 24.10.1984, IVb ZR 35/83 und vom 14.07.2015, VI ZR 326/14 Die „Annahme“ ist hier als Angebot zu verstehen, weil sie den Wunsch ausdrückt, eine Bindung entsprechend dem Inhalt des Vergleichsvorschlags einzugehen. Erklärungsempfänger sollte nur die Klägerin sein. Dieses Angebot der Beklagten hat auch nicht aufgrund ihrer Erklärung vom 06.09.2017 seine Wirkung verloren, dass sie ihr Angebot auf Abschluss eines Vergleichs nicht aufrechterhalte. Denn eine Möglichkeit des Widerrufs der Erklärung bestand nach Zugang beim Prozessvertreter der Klägerin gem. § 130 I BGB nicht. Es ist auch angesichts der vom Beklagtenvertreter selbst vorgenommenen Fristbindung nicht mangels rechtzeitiger Annahme gem. § 147 II BGB erloschen. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

RA - Digital

Rspr. des Monats