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RA Digital - 05/2020

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262 Referendarteil:

262 Referendarteil: Öffentliches Recht RA 05/2020 Speziell für Referendare Problem: Umbenennung einer Straße Einordnung: Kommunalrecht/Straßenrecht VG Freiburg, Urteil vom 05.02.2020 4 K 653/19 LEITSATZ (DER REDAKTION) Die Entscheidung ob, wann und wie eine Gemeindestraße umbenannt werden soll, ist eine Selbstverwaltungsangelegenheit (vgl. Art. 28 Abs. 2 S 1 GG), bei deren Wahrnehmung der Gemeinde eine weitgehende Gestaltungsfreiheit zukommt. Ein Einleitungssatz ist zwar in der Praxis üblich, jedoch nicht erforderlich, wenn im Rubrum unter „wegen“ der Streitgegenstand schlagwortartig wiedergegeben wird. Geschichtserzählung grds.: Indikativ Imperfekt Ausnahme: Zustände und Beschreibungen, die die Gegenwart betreffen werden im Indikativ Präsens dargestellt. EINLEITUNG Das Verwaltungsgericht Freiburg hatte über die Klage eines Anwohners zu entscheiden, in der sich dieser gegen die Umbenennung seiner Straße wendet. Hierbei hat es sich insbesondere mit den (Ermessens-)Grenzen für die Umbenennung auseinandergesetzt. TATBESTAND „Der Kläger ist Anwohner der Lexerstraße in 79110 Freiburg. Er wendet sich gegen die Umbenennung dieser Straße in Wilhelm-von-Möllendorff- Straße. Der Gemeinderat der Beklagten beschloss im November 2012 alle ca. 1.300 Freiburger Straßennamen durch eine achtköpfige Kommission aus Historikern, Politologen, Soziologen und Archivaren wissenschaftlich überprüfen zu lassen. In ihrem Abschlussbericht vom März 2016 teilte die Kommission die überprüften Straßennamen anhand bestimmter Bewertungskriterien in vier Kategorien ein: Kategorie A = schwer belastet, nicht haltbar, Umbenennung empfohlen; Kategorie B = teilweise belastet, diskussionswürdig, Hinweisschild empfohlen; Kategorie C1 = Name würde heute nicht mehr so gewählt, aber kein Handlungsbedarf; Kategorie C2 = unbedenklich bzw. sogar Vorbildcharakter. Dabei entfielen insgesamt zwölf Straßennamen auf Kategorie A, bei welcher die Kommission dem Gemeinderat eine Umbenennung empfahl, darunter die Lexerstraße. Diese war im Jahr 1972 nach dem Freiburger Universitätsprofessor Erich Lexer (1867-1937) benannt worden. Zu dessen Biographie führte die Kommission im Wesentlichen aus: Erich Lexer sei einer der bedeutendsten Chirurgen seiner Zeit gewesen. [...] Seine wissenschaftlichen Verdienste stünden außer Zweifel. [...] Andererseits sei Lexer aber auch Mitglied der Allgemeinen SS gewesen, zuletzt im Rang eines Obersturmbannführers, und habe eine hohe Affinität zum sozialdarwinistisch-rassehygienischen Gedankengut besessen. [...] In seiner Amtszeit und unter seiner Verantwortung seien in der Chirurgischen Klinik in München, deren Leitung er zwischenzeitlich innegehabt habe, 1.050 Menschen zwangssterilisiert worden. Als neuen Namensgeber schlug die Kommission Wilhelm von Möllendorff (1887-1944) vor. Dieser sei Professor für Anatomie und 1933 kurzzeitig auch Rektor der Universität Freiburg gewesen. Er habe als einziger deutscher Rektor gegen die Entlassung jüdischer Kollegen protestiert. Mit Beschluss vom 15.11.2016 erklärte der Gemeinderat der Beklagten seine „grundsätzliche Bereitschaft zur Umsetzung der Empfehlungen der Kommission“ (Ziffer 1) und beauftragte die Verwaltung, „möglichst zügig für jede der zur Umbenennung empfohlenen Straßen die Umbenennung im Detail zu prüfen, die erforderlichen Anhörungsverfahren Jura Intensiv Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 05/2020 Referendarteil: Öffentliches Recht 263 einzuleiten und dem Gemeinderat für jeden Einzelfall eine Vollzugsempfehlung zum Beschluss vorzulegen“ (Ziffer 2). Zudem beschloss er, dass Gebühren, die im direkten Zusammenhang mit der Umbenennung für die betroffenen Anwohner bei der Stadt anfallen, von dieser übernommen werden (Ziffer 4). Mit Schreiben vom 10.01.2018 hörte die Beklagte die Anwohner, Haus-, Wohnungs- und Grundstückseigentümer der Lexerstraße zur geplanten Umbenennung ihrer Straße an und lud sie zu einer Bürgeranhörung ein. Dem Einladungsschreiben war ein Rückantwortformular beigefügt, auf dem sich die Betroffenen im Vorfeld schriftlich äußern konnten. Die überwiegende Zahl der Rückmeldenden war gegen eine Umbenennung der Lexerstraße. Auch im Rahmen der Bürgeranhörung am 07.02.2018 lehnte die Mehrheit der Anwesenden eine Umbenennung ab. In einem Schreiben vom 16.04.2017 sprachen sich nochmals 59 Anwohner mit einer Unterschriftensammlung gegen eine Umbenennung und stattdessen für die Anbringung eines Hinweisschildes aus, in welchem auf die Verfehlungen Lexers hingewiesen werden solle. Am 15.05.2018 beschloss der Gemeinderat die Umbenennung der Lexerstraße in „Wilhelm-von- Möllendorff-Straße“. Hiervon wurden die Betroffenen mit Schreiben vom 24.05.2018 unterrichtet. Am 25.05.2018 wurde der Gemeinderatsbeschluss im Amtsblatt der Beklagten bekanntgemacht. In der Beschluss-Vorlage heißt es zur Begründung, dass dem mehrfach geäußerten Wunsch, nur ein Erläuterungsschild anzubringen, nicht gefolgt werden könne, da die Lexerstraße damit faktisch von der Kategorie A in die Kategorie B eingeordnet werden würde. Erich Lexer sei nach den Recherchen der Kommission aber so stark belastet, dass er als Namensgeber unhaltbar sei. „Willkürliche Neueinordnungen“ einzelner Straßennamensgeber würde auch die Kategorisierung aller anderen Straßennamensgeber und damit das gesamte System der Kommission in Frage stellen. Die Entscheidung für Wilhelm von Möllendorff basiere auf dem vom Gemeinderat gebilligten Konzept, wonach der bisherige und der neue Namensgeber in einem „inhaltlich nachvollziehbaren Verhältnis“ stehen sollen: [...] Jura Intensiv Mit Schreiben vom 21.06.2018 erhob der Kläger Widerspruch. Zur Begründung führte er aus: Die zeitlich weite Streckung der Gemeinderatsbeschlüsse zu den Umbenennungen bzw. die willkürliche Nichtbehandlung aller zwölf Fälle in einer Gemeinderatssitzung verletze ihn in seinem Recht auf Gleichbehandlung. Denn so könne sich der Gemeinderat zukünftige Beschlüsse noch offenhalten und sich bei anderen Straßen z.B. nur noch für die Anbringung eines Hinweisschildes entscheiden, was ihn als Anwohner einer bereits umbenannten Straße benachteilige. Darüber hinaus habe der Gemeinderat den Termin zur Beschlussfassung mutwillig von dem angekündigten Termin am 24.07.2018 auf den 15.05.2018 vorverlegt, um eine Konfrontation mit den Anwohnern zu umgehen. Mit Widerspruchsbescheid vom 17.12.2018, zugestellt am 16.01.2019, wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers mit folgender Begründung zurück: Dem Gemeinderat gehe es darum, alle Straßennamen zu ändern, die aus heutiger Sicht wegen der z.B. menschenverachtenden oder rassistischen Haltung der Namensgeber nicht mehr hingenommen werden könnten. Diesem legitimen Umbenennungsinteresse stünden die gegenläufigen Interessen der Anwohner nicht entgegen. [...] Es liege auch Verwaltungsverfahren gehört zur Geschichtserzählung, daher Indikativ Imperfekt In Bad.-Württ. ist grds. ein Widerspruchsverfahren durchzuführen. Ausnahmen sind in § 15 I AGVwGO BW aufgeführt (u.a. bei Verwaltungsakten der Regierungspräsidien). Begründung: Konjunktiv Präsens Das - im Vergleich zum Bescheiddatum - späte Zustellungsdatum ist hier zur Verdeutlichung der Wahrung der Klagefrist zu nennen. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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