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RA Digital - 05/2021

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258 Öffentliches Recht

258 Öffentliches Recht RA 05/2021 Problem: Verhältnis § 28 zu § 28a IfSG Einordnung: Infektionsschutzrecht/Gefahrenabwehrrecht LEITSÄTZE DER REDAKTION 1. Ein flächendeckendes Alkoholkonsumverbot im öffentlichen Raum kann weder auf die Ermächtigungsgrundlage des § 32 S. 1 i.V.m. § 28a Abs. 1 Nr. 9 IfSG, die nur ein Alkoholkonsumverbot an bestimmten öffentlichen Plätzen vorsieht, noch auf die Generalklausel des § 32 S. 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG gestützt werden. 2. Mit den Regelbeispielen des § 28a Abs. 1 IfSG hat der Bundesgesetzgeber für den von ihrem jeweiligen Normprogramm erfassten und geregelten Lebenssachverhalt Inhalt, Zweck und Ausmaß der Verordnungsermächtigung nach § 32 IfSG abschließend bestimmt. Ein Rückgriff des Verordnungsgebers auf die Generalklausel des § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG als Ermächtigungsgrundlage kommt im sachlichen Anwendungsbereich der Regelbeispiele des § 28a Abs. 1 IfSG nicht in Betracht. Zum Prüfungsaufbau: Es sollte mit § 28a I Nr. 9 IfSG begonnen werden, weil die Norm - wie sich gleich zeigen wird - abschließende Wirkung hat und somit eine Anwendung des § 28 I 1 IfSG sperrt. Problem: Worauf bezieht sich das Wort „umfassend“ in § 28a I Nr. 9 IfSG? Wortlautauslegung (vgl. auch VGH München, Beschluss vom 19.1.2020, 20 NE 21.76, juris Rn 26 ff.) OVG Hamburg, Beschluss vom 12.03.2021 5 Bs 33/21, 2 E 195/21 EINLEITUNG Anknüpfend an die seit Ausbruch der Corona-Pandemie verfolgte Strategie der „RA“, alle examensrelevanten Probleme der Coronaschutzmaßnahmen anzusprechen, wird nachfolgend ein Beschluss des OVG Hamburg dargestellt, in dem es um das Konkurrenzverhältnis der §§ 28, 28a IfSG geht. SACHVERHALT § 4d der Verordnung zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 in der Freien und Hansestadt Hamburg (HmbSARS-CoV-2- EindämmungsVO) in der Fassung vom 11.3.2021 beinhaltet ein flächendeckendes Alkoholkonsumverbot im öffentlichen Raum. Antragsteller A hält diese Regelung für rechtswidrig, weil es bereits an der erforderlichen Ermächtigungsgrundlage fehle. Weder § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG noch § 28a I Nr. 9 IfSG (jeweils i.V.m. § 32 S. 1 IfSG) könne das streitgegenständliche Verbot rechtfertigen. Ist das Alkoholkonsumverbot rechtmäßig? LÖSUNG Das Alkoholkonsumverbot ist rechtmäßig, wenn es sich auf eine wirksame Ermächtigungsgrundlage stützen kann und diese Ermächtigungsgrundlage formell und materiell rechtmäßig angewendet wurde. I. Ermächtigungsgrundlage für das Verbot Als Ermächtigungsgrundlage für das Verbot kommt einerseits § 28a I Nr. 9 IfSG und andererseits § 28 I 1 IfSG (jeweils i.V.m. § 32 S. 1 IfSG) in Betracht. Jura Intensiv 1. § 32 S. 1 i.V.m. § 28a I Nr. 9 IfSG Nach § 32 S. 1 i.V.m. § 28a I Nr. 9 IfSG kann eine notwendige Schutzmaßnahme i.S.v. § 28 I 1 IfSG insbesondere ein umfassendes oder auf bestimmte Zeiten beschränktes Verbot der Alkoholabgabe oder des Alkoholkonsums auf bestimmten öffentlichen Plätzen oder in bestimmten öffentlich zugänglichen Einrichtungen sein. Fraglich ist, ob dies auch den Erlass eines flächendeckenden Alkoholkonsumverbots rechtfertigt. „[…] Aus der Zusammenschau des Wortlautes der Norm in ihrem semantischen Aufbau, ihrem Sinn und Zweck, infektionsschutzrechtlich gefährliche Ansammlungen zu verhindern, und aus ihrer Entstehungsgeschichte ergibt sich, dass die nach § 28a Abs. 1 Nr. 9 IfSG zulässigen Alkoholabgabeund -konsumverbote eine zeitliche und eine örtliche Dimension haben, die getrennt voneinander zu betrachten sind. Dabei legt § 28a Abs. 1 Nr. 9 IfSG verbindlich fest, dass Alkoholverbote nur an bestimmten öffentlichen Plätzen oder in bestimmten öffentlich zugänglichen Einrichtungen ausgesprochen werden dürfen. Der Begriff „umfassend“ bezieht sich hingegen ausschließlich auf die zeitliche Komponente der Norm, da er unmittelbar mit der Alternative „oder auf bestimmte Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 05/2021 Öffentliches Recht 259 Zeiten beschränkt“ verknüpft ist und sprachlich in untrennbarem Zusammenhang mit dem „Verbot der Alkoholabgabe oder des Alkoholkonsums auf bestimmten öffentlichen Plätzen oder in bestimmten öffentlich zugänglichen Einrichtungen“ steht. Gemeint ist damit, dass der Verordnungsgeber, sofern dies angesichts der örtlichen Gegebenheiten erforderlich ist, den Konsum und/oder die Abgabe von Alkohol auf bestimmten öffentlichen Plätzen oder in bestimmten öffentlich zugänglichen Einrichtungen ohne zeitliche Beschränkung verbieten kann, nicht hingegen, dass ein zeitlich unbeschränktes Verbot des Alkoholkonsums oder seiner Abgabe im gesamten Geltungsbereich einer auf § 32 Satz 1 IfSG gestützten Verordnung erlassen werden kann. Über diese Vorgaben der Ermächtigungsgrundlage des § 28a Abs. 1 Nr. 9 IfSG geht § 4d HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO räumlich hinaus, denn diese Vorschrift verbietet den Verzehr alkoholischer Getränke nicht auf bestimmten öffentlichen Plätzen oder in bestimmten öffentlich zugänglichen Einrichtungen, sondern auf allen öffentlichen Wegen, Straßen, Plätzen und Grün- und Erholungsanlagen in der Freien und Hansestadt Hamburg.“ Folglich scheidet § 32 S. 1 i.V.m. § 28a I Nr. 9 IfSG als taugliche Ermächtigungsgrundlage für das umstrittene Alkoholkonsumverbot aus. 2. § 32 S. 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG § 4d HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO könnte jedoch möglicherweise in § 32 S. 1 i.V.m. § 28 I 1 IfSG eine taugliche Ermächtigungsgrundlage finden. Das setzt voraus, dass § 28 I 1 IfSG neben § 28a I Nr. 9 IfSG anwendbar ist. „[Die] vom Gesetzgeber bei Erlass des § 28a IfSG angestrebten Zwecke – also die möglichen Infektionsschutzmaßnahmen im Hinblick auf Dauer, Reichweite und Intensität zu präzisieren, bei der Bekämpfung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite das öffentliche Infektionsschutzinteresse und die von den erforderlichen Maßnahmen betroffenen grundrechtlichen Schutzgüter selbst abzuwägen, somit die wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen und Reichweite und Grenzen exekutiven Handelns vorzugeben – lassen sich nur bei einer innerhalb des jeweiligen Normprogramms den Rückgriff auf die Generalklausel ausschließenden Auslegung des § 28a Abs. 1 IfSG erreichen. Denn wäre ein Rückgriff auf die Generalklausel auch im sachlichen Anwendungsbereich der Regelbeispiele möglich, käme diesen Regelbeispielen keine begrenzende Wirkung zu und könnten diese der Gestaltungsmacht der Exekutive – in Gestalt der Verordnungsgeber – keine Grenzen vorgeben.“ Jura Intensiv Weiterhin könnte auch Art. 80 I 2 GG als Ausprägung des Grundsatzes des Vorbehalts des Gesetzes für eine abschließende Wirkung des § 28a I Nr. 9 IfSG sprechen. „Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG soll unter anderem gewährleisten, dass der parlamentarische Gesetzgeber durch die Ermächtigung selbst entscheidet, welche Fragen durch Rechtsverordnung geregelt werden können oder sollen. Dazu muss er die Grenzen einer solchen Regelung festlegen und angeben, welchem Ziel sie dienen soll (Selbstentscheidungsvorbehalt). Der Gesetzgeber muss der ermächtigten Stelle darüber hinaus ein „Programm“ an die Hand geben, das mit der Ermächtigung verwirklicht werden soll (Programmfestsetzungspflicht). Schließlich soll bereits aufgrund der Ermächtigung vorhersehbar sein, in welchen Fällen und mit Zum Prüfungsaufbau: Alternativ könnte dieses Problem erst in der materiellen Rechtmäßigkeit erörtert werden. Dann müsste die Prüfung allerdings abgebrochen, ein Zwischenergebnis formuliert und mit § 32 S. 1 i.V.m. § 28 I 1 IfSG neu gestartet werden, was den Prüfungsaufbau etwas verkompliziert. Problem: Ist § 28a I Nr. 9 IfSG eine abschließende Spezialregelung? Wille des Gesetzgebers spricht für abschließende Wirkung des § 28a I Nr. 9 IfSG Weiteres Argument: Art. 80 I 2 GG Vgl. BVerfG, Urteil vom 19.9.2018, 2 BvF 1/15 u.a., juris Rn 202 Vorgaben des Art. 80 I 2 GG: • Selbstentscheidungsvorbehalt • Programmsetzungspflicht • Vorhersehbarkeitsgebot © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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