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RA Digital - 06/2019

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282 Zivilrecht

282 Zivilrecht RA 06/2019 PRÜFUNGSSCHEMA A. Widerruf des Kaufvertrages gem. §§ 355, 312, 312b, 312g BGB I. Widerrufserklärung gem. § 355 I BGB II. Widerrufsrecht gem. §§ 312, 312b, 312g BGB B. Ergebnis LÖSUNG A. Widerruf des Kaufvertrages gem. §§ 355, 312, 312b, 312g BGB Fraglich ist, ob sich K gem. § 355 BGB durch wirksamen Widerruf vom unstreitig am 20.04.2015 in Rosenheim geschlossenen Kaufvertrag gelöst hat. Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie der Bundesrepublik Deutschland vom 20.09.2013, BGBl. I 2013, S. 3643 ff. Der Begriff „Raum“ darf nicht bautechnisch verstanden werden. Was unter Geschäftsraum zu verstehen ist, richtet sich nach dem Inhalt der VRRL, deren Umsetzung § 312b BGB dient. Geschäftsraum i.S.d. § 312b II 1 BGB EuGH, Urteil vom 07.08.2018, C-485/17 I. Widerrufserklärung gem. § 355 I BGB K hat am 20.04.2015 den Widerruf gem. § 355 I BGB erklärt. II. Widerrufsrecht gem. §§ 312, 312b, 312g BGB K muss ein Recht zum Widerruf zugestanden haben. Ein solches kann ihm hier gem. §§ 312, 312b, 312g BGB zustehen. 1. Anwendbarkeit gem. Art. 229, § 32 I EGBGB K könnte gegen V gem. §§ 312, 312b, 312g I BGB ein Widerrufsrecht gem. § 355 BGB zustehen. Zunächst ist die zeitliche Anwendbarkeit gem. Art. 229, § 32 I EGBGB zu prüfen. Weil § 312b BGB der Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie 2011/83/EU in deutsches Recht dient, ist die Rechtsnorm nur auf Verbraucherverträge anzuwenden, die seit dem Inkrafttreten des Umsetzungsgesetzes am 13.06.2014 abgeschlossen worden sind. Dies ist hier mit dem am 20.04.2015 geschlossenen Vertrag der Fall. 2. Persönliche Anwendbarkeit Das Widerrufsrecht aus §§ 312, 312b, 312g BGB erfordert einen Verbrauchervertrag gem. § 310 III BGB. Indem K Verbraucher gem. § 13 und V Unternehmer gem. § 14 BGB ist, liegen diese Voraussetzungen vor. Jura Intensiv 3. Sachliche Anwendbarkeit der §§ 312, 312b, 312g BGB Einem Verbraucher steht gemäß §§ 312g I, 312b I BGB ein Widerrufsrecht gem. § 355 BGB zu, wenn der Vertrag im Sinne des § 312b BGB außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen wurde. Außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge sind nach § 312b I Nr. 1 BGB Verträge, die bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit des Verbrauchers und des Unternehmers an einem Ort geschlossen werden, der kein Geschäftsraum des Unternehmers ist. Geschäftsräume sind nach der Legaldefinition des § 312b II 1 BGB „unbewegliche Gewerberäume, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit dauerhaft ausübt, und bewegliche Gewerberäume, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit für gewöhnlich ausübt“. V hat seine Produkte an einem Messestand angeboten. Fraglich ist, ob ein Messestand ein beweglicher Gewerberaum und damit ein Geschäftsraum ist. [18] Der (…) zur verbindlichen Auslegung von Unionsrecht allein berufene Gerichtshof der Europäischen Union (im Folgenden: Gerichtshof) hat die ihm vom I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs mit Beschluss vom 13. Juli 2017 (BGH, I ZR 135/16) vorgelegten Fragen mit Urteil vom 7. August 2018 (EuGH, C-485/17 wie folgt im Leitsatz seiner Entscheidung beantwortet: Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 06/2019 Zivilrecht 283 „Artikel 2 Nummer 9 der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates ist dahin auszulegen, dass ein Messestand eines Unternehmens wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende, an dem der Unternehmer seine Tätigkeiten an wenigen Tagen im Jahr ausübt, unter den Begriff „Geschäftsräume“ im Sinne dieser Bestimmung fällt, wenn in Anbetracht aller tatsächlichen Umstände rund um diese Tätigkeiten und insbesondere des Erscheinungsbilds des Messestandes sowie der vor Ort selbst verbreiteten Informationen ein normal informierter, angemessen aufmerksamer und verständiger Verbraucher vernünftigerweise damit rechnen konnte, dass der betreffende Unternehmer dort seine Tätigkeiten ausübt und ihn anspricht, um einen Vertrag zu schließen, was vom nationalen Gericht zu prüfen ist.“ [19] Zu dieser Auffassung ist der Gerichtshof vor allem mit Blick auf die von ihm zuvor erörterten Ziele der Verbraucherrechterichtlinie, insbesondere deren Erwägungsgrund 21 gelangt. Dort wird ausgeführt, dass der Verbraucher außerhalb von Geschäftsräumen des Unternehmers möglicherweise psychisch unter Druck steht oder einem Überraschungsmoment ausgesetzt ist. Darüber hinaus hat sich der Gerichtshof maßgeblich auf den Erwägungsgrund 22 der genannten Richtlinie gestützt. Mit dem dort verwendeten Begriff „Geschäftsräume“ werde auf Örtlichkeiten abgezielt, an denen für einen Verbraucher der Umstand, dass er zu kommerziellen Zwecken angesprochen wird, kein Überraschungsmoment darstellt. Zudem hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass „Markt- und Messestände“ nach dem Erwägungsgrund 22 der Verbraucherrechterichtlinie als Geschäftsräume zu behandeln sind, wenn sie diese Bedingung erfüllen. Jura Intensiv [20] Anknüpfend hieran hat der Gerichtshof ausgeführt, dass für die Beantwortung der Frage, ob ein Messestand in einem bestimmten Fall unter den Begriff „Geschäftsräume“ im Sinne des Art. 2 Nr. 9 der Richtlinie 2011/83 zu subsumieren ist, insbesondere „das konkrete Erscheinungsbild dieses Standes aus Sicht der Öffentlichkeit zu berücksichtigen [ist] und genauer, ob er sich in den Augen eines Durchschnittsverbrauchers als einen Ort darstellt, an dem der Unternehmer, der ihn innehat, seine Tätigkeiten, einschließlich saisonaler, für gewöhnlich ausübt, so dass ein solcher Verbraucher vernünftigerweise damit rechnen kann, dass, wenn er sich dorthin begibt, zu kommerziellen Zwecken angesprochen wird“ Fraglich ist, ob diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind. Man könnte der Auffassung sein, es könne sich eine Überrumpelungsgefahr zum einen aus dem Umstand ergeben, dass auf der „Messe Rosenheim“ auch Messestände ohne Verkaufsabsicht besetzt sind, z.B. solche der Agentur für Arbeit, des ASB sowie der AOK. Man könnte der Auffassung sein, zum anderen könne ein durchschnittlicher Verkäufer von einer Verkaufsofferte überrascht sein, weil der Kauf einer Einbauküche eine Besonderheit darstelle. Bei einer solchen sei nämlich regelmäßig ein Aufmaß vorzunehmen. Diese Auslegung des EuGH aus seinem Urteil vom 07.08.2018, C-485/17 zum Begriff des Geschäftsraums in Anwendung auf Messestände, ist für deutsche Gerichte bindend. Deshalb musste der BGH in seinem Urteil vom 10.04.2019, VIII ZR 244/16 zur „Grünen Woche“ (vgl. RA 2015, 637 ff.) ebenfalls diese Maßstäbe anlegen und das Widerrufsrecht verneinen. Sinn und Zweck lt. Erwägungsgrund 21 der VRRL: Schutz des Verbrauchers vor Überrumpelung und Ausgleich für psychische Drucksituationen Markt- und Messestände werden in Erwägungsgrund 22 der VRRL erwähnt und als Geschäftsräume behandelt. Entscheidend für den EuGH: Kann ein Verbraucher vernünftigerweise damit rechnen, zu kommerziellen Zwecken angesprochen zu werden, wenn er sich zum Messestand des Unternehmers begibt? Messestände ohne Verkaufscharakter auf der Messe Rosenheim Aufmaß ist typisch © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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