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RA Digital - 06/2019

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284 Zivilrecht

284 Zivilrecht RA 06/2019 Der Messestand des V erweckte nicht den Eindruck, ein reiner Informationsstand ohne Verkaufscharakter zu sein. Aufmaß hin oder her: Wer sich auf ein Gespräch an einem Messestand einlässt, muss damit rechnen zu Verkaufszwecken angesprochen zu werden. Ergebnis: Der Messestand war ein Geschäftsraum. K hatte kein Widerrufsrecht gem. §§ 312, 312b, 312g, 355 BGB [26] Die (…) Würdigung des Berufungsgerichts, eine Überrumpelung des Klägers ergebe sich vorliegend auch nicht aus dem Umstand, dass auf der Messe neben Unternehmern, die einen Vertragsabschluss auf der Messe erzielen wollten, auch Aussteller vertreten gewesen seien, die einen Messestand primär oder ausschließlich zu Informationszwecken unterhalten hätten, ist revisionsrechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden. Anders könnte es sich in Bezug auf den Messestand der Beklagten nur darstellen, wenn dieser - wie etwa die von der Berufungsbegründung des Klägers hierfür (neben anderen) exemplarisch benannten Stände der Agentur für Arbeit, der AOK, des Arbeiter-Samariter-Bunds oder von Handwerkern, die ihr Berufsbild vorstellen wollten - nach außen das Erscheinungsbild eines reinen Informations- oder Werbestands vermittelt hätte, an dem, entgegen dem einen anderen Eindruck vermittelnden generellen Verkaufscharakter der Messe, Verkäufe nicht getätigt würden. Dies hat das Berufungsgericht indes nicht festgestellt. [27b] Auch der von der Revision in der mündlichen Verhandlung vorgebrachte Einwand, bei dem Kauf einer Einbauküche sei regelmäßig ein Aufmaß notwendig, so dass ein angemessen aufmerksamer Verbraucher nicht habe damit rechnen müssen, an dem Messestand der Beklagten sogleich mit einem Kaufangebot konfrontiert zu werden, rechtfertigt eine andere Beurteilung nicht. Denn maßgeblich ist, ob ein normal informierter, angemessen aufmerksamer und verständiger Verbraucher angesichts der ihm erkennbaren Gesamtumstände vernünftigerweise damit rechnen konnte, dass der betreffende Unternehmer an dem Messestand eine Verkaufstätigkeit ausübt und ihn möglicherweise zu kommerziellen Zwecken ansprechen wird, um einen Vertrag zu schließen. Diese Frage ist unabhängig davon zu beurteilen, ob im Hinblick auf den im Einzelfall in Rede stehenden Kaufgegenstand weitere Maßnahmen erforderlich sind, wie etwa ein Aufmaß nach den örtlichen Gegebenheiten beim Verbraucher zu nehmen, um die vertragsgemäße Leistung ordnungsgemäß erbringen zu können. Nach diesem Auslegungsergebnis handelt es sich bei dem Messestand um einen beweglichen Gewerberaum, an dem der Unternehmer seine Geschäfte für gewöhnlich ausübt. Damit liegt ein Geschäftsraum gem. § 312b II BGB vor und besteht kein Widerrufsrecht. Jura Intensiv B. Ergebnis K hat den Kaufvertrag nicht wirksam gem. §§ 312, 312b, 312g, 355 BGB wirksam widerrufen. FAZIT Ein Messestand ist ein beweglicher Gewerberaum i.S.d. § 312b II BGB, wenn ein normal informierter und verständiger Verbraucher vernünftigerweise damit rechnen kann, dort zu kommerziellen Zwecken angesprochen zu werden. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 06/2019 Zivilrecht 285 Problem: Weiterleben als Schaden Einordnung: Allgemeines Schadensrecht BGH, Urteil vom 02.04.2019 VI ZR 13/18 EINLEITUNG Keine andere Problematik belastet bis heute das Verhältnis zwischen Ärzten und Juristen so sehr wie die Diskussion um „wrongful life“. Im „Röteln-Fall“ des BGH (Urteil vom 18.01.1983, VI ZR 114/81) war die Kindsmutter während der Schwangerschaft an Röteln erkrankt, der behandelnde Arzt hatte dies nicht erkannt, weshalb ein erlaubter Schwangerschaftsabbruch unterblieb und das Kind schwerstgeschädigt zur Welt kam. Der Senat verneinte Ansprüche des Kindes auf Schadensersatz, weil es sich einer allgemeinverbindlichen Beurteilung entziehe, ob Leben mit schweren Behinderungen (wrongful life) gegenüber der Alternative des Nichtlebens überhaupt im Rechtssinne einen Schaden darstelle. Ob die Tatsache der Existenz eines ungewollten Kindes als Schaden für die Eltern in Betracht kommen kann, verneinte später das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 88, 203 ff.). Ob die Unterhaltspflicht der Eltern für ein ungewolltes Kind ein Schaden sein kann, bejahte der BGH (Urteil vom 18.03.1980, VI ZR 105/78), verneinte der 2. Senat des Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 88, 203 ff.), hingegen sprach sich der 1. Senat dafür aus (BVerfGE 96, 375 ff.). Der vorliegende Fall betrifft lebensverlängernde Maßnahmen und greift die in der Rechtsprechung zum „wrongful life“ entwickelten Grundsätze auf. SACHVERHALT K macht als Alleinerbe seines am 19. Oktober 2011 verstorbenen Vaters, des Patienten (P), gegen B Ansprüche auf materiellen und immateriellen Schadensersatz im Zusammenhang mit der künstlichen Ernährung des Patienten in den Jahren 2010 und 2011 geltend. Er ist der Auffassung, B hafte für die durch die künstliche Ernährung bedingte sinnlose Verlängerung des krankheitsbedingten Leidens des Patienten. P stand wegen eines dementiellen Syndroms von September 1997 bis zu seinem Tod unter Betreuung eines Rechtsanwalts, die sowohl die Gesundheitsfürsorge als auch die Personensorge umfasste. Seit 2006 lebte der Patient in einem Pflegeheim. Während eines stationären Krankenhausaufenthalts wurde ihm im September 2006 wegen Mangelernährung und Austrocknung des Körpers mit Einwilligung des Betreuers eine PEG-Sonde angelegt, durch welche er bis zu seinem Tod künstlich ernährt wurde. B, ein niedergelassener Arzt für Allgemeinmedizin, betreute seit dem Frühjahr 2007 den Patienten hausärztlich. Der Patient hatte weder eine Patientenverfügung errichtet, noch ließ sich sein Wille hinsichtlich des Einsatzes lebenserhaltender Maßnahmen anderweitig feststellen. Bereits im Jahr 2003 war die Demenz weit fortgeschritten und aufgrund einer mutistischen Störung seit 2008 eine Kommunikation gänzlich unmöglich. Ab November 2008 wurden dem Patienten regelmäßig Schmerzmittel auf Opioidbasis verschrieben. Im streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis 19. Oktober 2011 hatte der Patient regelmäßig Fieber, Atembeschwerden und wiederkehrende Druckgeschwüre. Viermal wurde eine Lungenentzündung festgestellt. Ende Mai bis Mitte Juni 2011 befand sich der Patient in stationärer Jura Intensiv LEITSATZ 1. Das menschliche Leben ist ein höchstrangiges Rechtsgut und absolut erhaltungswürdig. Das Urteil über seinen Wert steht keinem Dritten zu. Deshalb verbietet es sich, das Leben - auch ein leidensbehaftetes Weiterleben - als Schaden anzusehen. Aus dem durch lebenserhaltende Maßnahmen ermöglichten Weiterleben eines Patienten lässt sich daher ein Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld nicht herleiten. 2. Schutzzweck etwaiger Aufklärungs- und Behandlungspflichten im Zusammenhang mit lebenserhaltenden Maßnahmen ist es nicht, wirtschaftliche Belastungen, die mit dem Weiterleben und den dem Leben anhaftenden krankheitsbedingten Leiden verbunden sind, zu verhindern. Insbesondere dienen diese Pflichten nicht dazu, den Erben das Vermögen des Patienten möglichst ungeschmälert zu erhalten. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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