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RA Digital - 06/2020

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316 Öffentliches Recht

316 Öffentliches Recht RA 06/2020 Entscheidende Argumente: • Es erfolgen Lockerungen • Prozess ist sehr dynamisch • Geltungsdauer der Verkaufsflächenbeschränkung ist begrenzt • Gesamtes Warensortiment darf verkauft werden Obersatz Schildheuer, JURA INTENSIV, Grundrechte, Rn 861-870 Mehrfache Ungleichbehandlung Einrichtungen erzielten Erfolge nicht wieder zunichte zu machen. Hinzu kommt, dass die angegriffene Regelung Teil eines aktuell sehr dynamischen Prozesses ist, bei dem die getroffenen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr nahezu täglich neu überdacht und angepasst werden. So ist auch die Verordnung vom 17. März 2020 in ihrer geänderten Form vorerst nur bis zum 3. Mai 2020 befristet, um die Konsequenzen der Lockerungen beurteilen und weitere Schritte erwägen und umsetzen zu können. Angesichts des nur noch kurzen Geltungszeitraums der Verordnung und der der Antragstellerin möglichen Öffnung wenigstens eines Teils ihrer Verkaufsfläche haben ihre Interessen gegenüber überwiegenden öffentlichen Interessen auch jetzt noch zurückzustehen. Das gilt umso mehr, als große Warenhäuser jedenfalls auch eine Verkaufsfläche von bis zu 800 m 2 eröffnen dürfen und es ihnen unbenommen bleibt, ihr gesamtes Sortiment zum Verkauf anzubieten, da sie bei entsprechender Nachfrage nicht gehindert sind, Waren aus Lager oder anderen Abteilungen für die Kunden herbeizuschaffen und auf den den Kunden zugänglichen 800 m 2 zu verkaufen. […]“ Somit ist die streitgegenständliche Regelung angemessen und wahrt daher den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Folglich ist der Eingriff in die Berufsfreiheit gerechtfertigt. B. Verstoß gegen Art. 3 I GG Möglicherweise liegt aber ein Verstoß gegen Art. 3 I GG vor. Das setzt eine Ungleichbehandlung voraus, die verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt ist. I. Ungleichbehandlung Eine Ungleichbehandlung liegt vor, wenn wesentlich Gleiches ungleich behandelt wird. Das ist der Fall, wenn eine Personengruppe oder Situation rechtlich anders behandelt wird als eine vergleichbare andere Personengruppe oder Situation. Um dies festzustellen bedarf es der Festlegung eines gemeinsamen Oberbegriffs als Bezugspunkt, unter den die verschieden behandelten Personengruppen oder Situationen fallen. Hier liegt eine Ungleichbehandlung im Verhältnis zu Bau- und Gartenbaumärkten, dem Kfz- und Fahrradhandel sowie den Buchhandlungen vor, die von der Flächenbegrenzung befreit sind. Weiterhin dürfen Verkaufsstellen des Einzelhandels mit mehr als 800 m 2 Verkaufsfläche im Gegensatz zu kleineren Verkaufsstellen nur Teile ihres Geschäfts öffnen. Somit liegen mehrere Ungleichbehandlungen vor. Jura Intensiv II. Rechtfertigung der Ungleichbehandlungen Die Ungleichbehandlungen könnten gerechtfertigt sein. Voraussetzung: Sachlicher Grund Rechtfertigungsanforderungen variieren „Differenzierungen bedürfen stets der Rechtfertigung durch sachliche Gründe, die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Dabei gilt ein stufenloser am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen. Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Anforderungen an den die Ungleichbehandlung tragenden Sachgrund ergeben Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 06/2020 Öffentliches Recht 317 sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die von gelockerten auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können. Eine strengere Bindung des Gesetzgebers kann sich aus den jeweils betroffenen Freiheitsrechten ergeben. Zudem verschärfen sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen, je weniger die Merkmale, an die die gesetzliche Differenzierung anknüpft, für den Einzelnen verfügbar sind oder je mehr sie sich denen des Art. 3 Abs. 3 GG annähern.“ Verhältnismäßigkeitsprüfung ist geboten, wenn • auch ein Eingriff in ein Freiheitsgrundrecht vorliegt oder • der Betroffene das Unterscheidungsmerkmal kaum oder gar nicht beeinflussen kann. Vor diesem rechtlichen Hintergrund sind die einzelnen Ungleichbehandlungen zu bewerten. „[…] Die zur Öffnung freigegebene Fläche ist […] bei Warenhäusern und sonstigen Geschäften des Einzelhandels nach ihrer Fläche (800 m 2 ) gleich. Die aus der grundsätzlich größeren Grundfläche von Warenhäusern folgende Differenzierung erscheint gerechtfertigt, da von den großen Warenhäusern in den Innenstädten eine deutlich größere Anziehungskraft ausgehen dürfte und dadurch mehr Menschen in die Innenstädte gelockt werden könnten, was die Einhaltung des nach wie vor dringend erforderlichen Abstandsgebotes wesentlich erschweren würde. […] Auch die Freistellung der Bau- und Gartenbaumärkte erscheint […] nicht sachwidrig. Sie befinden sich in der Regel in dezentraler Lage, werden typischerweise im eigenen Kfz angefahren und es dürfte den Inhabern regelmäßig möglich sein, die nach § 1 Abs. 8 CoronaVV HE 4 erforderlichen Hygiene- und Abstandsregeln umzusetzen. Zudem dienen sie dem Handwerk und verschiedenen Dienstleistern als Materialquelle. Auch die unterschiedlichen Regeln hinsichtlich des Kfz- und Fahrradhandels stellen sich nicht als sachwidrig dar. Zwar ist hier auch eine Versorgung durch in ihrer Fläche reduzierte Betriebe denkbar. Angesichts des auf eine bestimmte Produktart beschränkten Angebots und des Umstands, dass sowohl Autos als auch Fahrräder nicht zu den Konsumgütern gehören, die bei Gelegenheit eines Einkaufsbummels erworben werden, dürfte der Andrang in derlei Geschäften nicht so groß sein, dass aus seuchenrechtlicher Sicht - auf die es vorrangig ankommt - eine Flächenbegrenzung geboten erscheint. Jura Intensiv Schließlich erscheint auch die Freistellung von Buchhandlungen ohne Begrenzung der Verkaufsfläche seuchenrechtlich und damit sachlich gerechtfertigt. Kleinere, inhabergeführte Geschäfte dürften oftmals schon nicht über eine Fläche von mehr als 800 m 2 verfügen und damit […] zur Öffnung ihres gesamten Geschäfts berechtigt sein. Die Privilegierung größerer Buchhandlungen erscheint ebenfalls gerechtfertigt, da sie in Zeiten weitgehender Kontaktbeschränkungen in gewisser Weise ebenso wie Lebensmittelmärkte, Drogerien und die übrigen in § 1 Abs. 7 CoronaVV HE 4 von den Beschränkungen des Absatzes 1 ausgenommenen Läden als systemrelevant bezeichnet werden können. Denn die Buchhandlungen ermöglichen es gerade auch älteren, allein Lebenden und insbesondere Familien mit Kindern andere Möglichkeiten der Vergleich mit kleineren Verkaufsstellen Vergleich mit Bau- und Gartenbaumärkten Vergleich mit Kfz- und Fahrradhandel Vergleich mit Buchhandlungen © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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