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RA Digital - 07/2018

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352 Zivilrecht

352 Zivilrecht RA 07/2018 LÖSUNG A. Anspruch der K gegen B gem. § 546 I BGB K könnte gegen B einen Anspruch auf Räumung und Herausgabe der Wohnung gem. §§ 546 I BGB haben. I. Vorliegen eines Mietverhältnisses K schloss am 19.08.2013 mit B einen Mietvertrag über eine Wohnung zu einem monatlichen Mietzins i.H.v. 800,- €. Ein Mietverhältnis i.S.d. § 535 BGB liegt damit zwischen den Parteien vor. Die Beurteilung der Wirksamkeit der Kündigungsausschlussklausel erfordert zunächst eine Abgrenzung von Allgemeiner Geschäftsbedingung und Individualabrede, weil sich sowohl die Voraussetzungen für die Einbeziehung der Klausel in den Vertrag, als auch Anzahl und Qualität der Klauselverbote unterscheiden. Wichtig: Nur weil B das Formular besorgt hat, ist er nicht automatisch der Verwender. Die Auswahl des Vertrages von „Haus und Grund“ erfolgte – welch Wunder – auf Wunsch der Vermieterseite. Ausführungen zum Merkmal „vom Verwender gestellt“ II. Beendigung gem. § 542 I BGB Dieses Mietverhältnis müsste wirksam beendet worden sein. Gem. § 542 I BGB kann jede Vertragspartei das Mietverhältnis nach den gesetzlichen Vorschriften kündigen, wenn die Mietzeit wie im vorliegenden Fall nicht bestimmt ist. Problematisch ist jedoch, dass in § 2 Nr. 1a) des Mietvertrags, der auf einem Formular der Haus & Grund GmbH beruht, ein unbefristeter Kündigungsverzicht enthalten ist. Zur Beurteilung der Wirksamkeit ist zunächst zu prüfen, ob es sich dabei um eine Allgemeine Geschäftsbedingung handelt. Gem. § 305 I 1 BGB sind Allgemeine Geschäftsbedingungen alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Vertragsbedingungen, die eine Vertragspartei (Verwender) der anderen Vertragspartei bei Abschluss eines Vertrages stellt. „[10] Als wesentliches Charakteristikum Allgemeiner Geschäftsbedingungen hat der Gesetzgeber die Einseitigkeit ihrer Auferlegung sowie den Umstand angesehen, dass der andere Vertragsteil, der mit einer solchen Regelung konfrontiert wird, auf ihre Ausgestaltung gewöhnlich keinen Einfluss nehmen kann. Mit Rücksicht darauf ist das Merkmal des „Stellens“ i.S.d. § 305 I 1 BGB erfüllt, wenn die Formularbestimmungen auf Initiative einer Partei oder ihres Abschlussgehilfen in die Verhandlungen eingebracht und ihre Verwendung zum Vertragsschluss verlangt wird. [11] Diese rechtlichen Vorgaben schließen es im Streitfall aber aus, die Bedingungen des von Haus und Grund herausgegebenen Vertragsformulars, dessen Verwendung [K] ausdrücklich verlangt hat, allein deshalb als von B gestellt anzusehen, weil B dem von der Gegenseite geäußerten Wunsch entsprochen hat, das genannte Formular zu besorgen und zu den Vertragsverhandlungen mitzubringen. Denn dieser Umstand ändert nichts daran, dass das Vertragsformular auf Initiative der Vermieterseite (und nicht der B) in den Vertrag Eingang gefunden hat. [12] Eine andere Beurteilung ist auch nicht etwa deshalb geboten, weil B nach eigenem Vorbringen auf einem dauerhaften Kündigungsausschluss (durch Streichung des Klammerzusatzes bei der diesbezüglichen Formularklausel von Haus und Grund) bestanden hätten. Zwar können Vertragsbedingungen auch dann „gestellt“ sein, wenn sie nicht schriftlich fixiert sind, sondern der Verwender sie lediglich „im Kopf“ gespeichert hat, um sie wiederholt zu verwenden. Dafür, dass bei B, die den Mietvertrag als private Mieter abschloss, eine derartige Absicht bestanden hätte, sind Anhaltspunkte jedoch nicht ersichtlich.“ Jura Intensiv Zudem liegen Allgemeine Geschäftsbedingungen gem. § 305 I 3 BGB nicht vor, soweit die Vertragsbedingungen im Einzelnen ausgehandelt sind, selbst vorformulierte Klauseln des Verwenders können deshalb im Einzelfall Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 07/2018 Zivilrecht 353 Gegenstand und Ergebnis von Individualabreden sein. Laut Prüfungsvermerk ist davon auszugehen, dass der Kündigungsausschluss i.S.d. § 305 I 3 BGB ausgehandelt wurde. Fraglich ist jedoch, ob die Vereinbarung wirksam ist. „[15] Es trifft nicht zu, dass ein dauerhafter Ausschluss der ordentlichen Kündigung auch als Individualvereinbarung nicht wirksam vereinbart werden kann. [16] Wie der Senat bereits entschieden hat, können die Vertragsparteien die ordentliche Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses im Wege der Individualvereinbarung auch für sehr lange Zeiträume ausschließen. Eine Grenze wird bei einem individuell vereinbarten Kündigungsausschluss nur durch § 138 BGB gesetzt, etwa - wofür hier allerdings keine Anhaltspunkte ersichtlich sind - bei Ausnutzung einer Zwangslage einer Partei oder beim Vorliegen sonstiger Umstände, die der Vereinbarung das Gepräge eines sittenwidrigen Rechtsgeschäfts geben. Die individuelle Vereinbarung eines dauerhaften Ausschlusses der ordentlichen Kündigung ist daher grds. möglich. Es mag allerdings, wie in der Instanzrechtsprechung und in der Literatur allgemein angenommen wird, nach Ablauf von 30 Jahren in entsprechender Anwendung des § 544 BGB eine außerordentliche Kündigung mit gesetzlicher Frist möglich sein, die auch nicht auf den ersten möglichen Termin nach diesem Zeitablauf beschränkt ist. Diese Möglichkeit ist vorliegend allerdings nicht von Bedeutung, da seit dem Abschluss des Vertrages erst wenige Jahre vergangen sind.“ Mithin war die ordentliche Kündigung aufgrund der zwischen den Parteien getroffenen Individualabrede wirksam ausgeschlossen. Die am 29.07.2015 wegen Eigenbedarfs ausgesprochene Kündigung konnte das Mietverhältnis daher nicht beenden. B. Ergebnis K steht gegen B folglich kein Anspruch gem. § 546 I BGB auf Räumung und Herausgabe der Wohnung zu. Jura Intensiv FAZIT Die Vertragsparteien eines Wohnraummietverhältnisses können die ordentliche Kündigung innerhalb der Grenzen der Sittenwidrigkeit gem. § 138 BGB durch Individualvereinbarung grds. für sehr lange Zeiträume ausschließen. In der Instanzrechtsprechung und Literatur wird lediglich teilweise vertreten, dass nach 30 Jahren analog § 544 BGB eine außerordentliche Kündigung mit gesetzlicher Frist möglich sei. Diese Frage ließ der BGH im vorliegenden Fall offen, da es darauf nicht ankam. Der Fall wurde allerdings zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, da die Einordnung des Kündigungsausschlusses als Allgemeine Geschäftsbedingung bzw. Individualabrede vom BGH nicht eindeutig vorgenommen werden konnte. Im Rahmen von Individualabreden können Kündigungsausschlussklauseln über lange Zeiträume wirksam vereinbart werden. § 307 I BGB findet keine Anwendung. Neben speziellen Klauselverboten wie §§ 536 IV, 573c IV gelten die allgemeinen Klauselverbote wie §§ 134, 138, 242, 276 III BGB. Für diese lagen hier aber keine Anhaltspunkte vor. Analog § 544 BGB kann der Vertrag nach 30 Jahren gekündigt werden, jedoch sind seit Vertragsschluss erst wenige Jahre vergangen. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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