Aufrufe
vor 4 Jahren

RA Digital - 07/2019

Die Ausbildungszeitschrift von Jura Intensiv.

366 Öffentliches Recht

366 Öffentliches Recht RA 07/2019 Freizeit tragen wollen oder eine längere Haartracht als Ausdruck der privaten Zugehörigkeit zu einer durch gemeinsame Lebenseinstellungen verbundenen Gruppierung oder kulturellen Szene verstehen.“ Somit liegt ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 2 I GG vor. II. Rechtfertigung des Eingriffs Der Eingriff in den Schutzbereich ist gerechtfertigt, soweit er durch die Schranken des Art. 2 I GG gedeckt ist. Schrankentrias Vgl. Schildheuer, JURA INTENSIV, Grundrechte, Rn 214-217 (auch zum Anwendungsbereich der „Rechte anderer“ und der „Sittengesetze“) Problem: Wesentlichkeitstheorie Wortlautauslegung des § 4 III 2 SG Definition „Uniform“ in der Umgangssprache (vgl. Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache in 10 Bänden, Band 9, 1999) Definition „Uniform“ in der Rechtssprache Vgl. BGH, BayVBl. 2018, 750, 751 Leipziger Kommentar zum StGB, § 132a Rn 50 1. Festlegung der Schranke Die allgemeine Handlungsfreiheit kann gem. Art. 2 I GG zugunsten der Rechte anderer, der verfassungsmäßigen Ordnung und der Sittengesetze eingeschränkt werden. Von dieser sog. Schrankentrias kommt hier nur die verfassungsmäßige Ordnung in Betracht, womit die gesamte Rechtsordnung einschließlich des Richterrechts, nicht aber Verwaltungsvorschriften gemeint sind. Da es sich bei der ZDv A-2630/1 um eine Verwaltungsvorschrift handelt, zählt sie folglich nicht zur verfassungsmäßigen Ordnung, kann den Eingriff in Art. 2 I GG also nicht rechtfertigen. Teil der Rechtsordnung ist aber § 4 III 2 SG, auf den sich die streitgegenständliche Regelung der Zentralen Dienstvorschrift stützt, sodass die Schranke der verfassungsmäßigen Ordnung einschlägig ist. 2. Schranken-Schranken Die Beschränkung der Grundrechte unterliegt ihrerseits gewissen Begrenzungen, um eine Aushöhlung der Grundrechte zu verhindern (sog. Schranken-Schranken). Fraglich ist in diesem Zusammenhang allein die materielle Verfassungsmäßigkeit des § 4 III 2 SG. Die Vorschrift genügt eventuell nicht dem Vorbehalt des Gesetzes in Gestalt der sog. Wesentlichkeitstheorie. Danach hat der parlamentarische Gesetzgeber alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen, darf sie also nicht der Exekutive überlassen. Wesentlich sind vor allem Entscheidungen, die einen erheblichen Grundrechtsbezug aufweisen. Je erheblicher eine Vorschrift in die Grundrechte des Betroffenen eingreift, desto genauer muss der Parlamentsgesetzgeber sie formulieren. Bezogen auf die Vorgaben zur Haartracht stellt sich daher die Frage, ob sie in § 4 III 2 SG hinreichend genau normiert sind. Das verlangt eine Auslegung des § 4 III 2 SG. Jura Intensiv „[24] Die Reichweite der Regelungskompetenz des Erlassgebers ist in § 4 Abs. 3 Satz 2 SG […] allein durch den Begriff „Uniform“ charakterisiert. Dem allgemein üblichen Sprachgebrauch folgend wird die Uniform als „besonders beim Militär und bei der Polizei im Dienst getragene, in Material, Form und Farbe einheitlich gestaltete Kleidung“ definiert. […] [25] Diesem Sprachgebrauch entspricht auch der Gebrauch des Begriffes in der Rechtssprache. So ist „Uniform“ im Sinne von § 3 VersammlG eine nach Form, Farbe, Schnitt oder Ausstattung gleichartige Bekleidung, die von der allgemein üblichen (zivilen) Kleidung abweicht. Auch der Begriff Uniform im Sinne von § 132 Abs. 1 Nr. 4 StGB bezeichnet die aufgrund öffentlich-rechtlicher Bestimmungen eingeführte einheitliche Dienstkleidung. […] Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 07/2019 Öffentliches Recht 367 [26] Für ein enges Verständnis des Uniformbegriffes spricht zudem, dass die Erlasskompetenz durch § 4 Abs. 3 Satz 2 SG grundsätzlich dem Bundespräsidenten eingeräumt worden ist, dem traditionell die „Symbolsetzungsgewalt“ zugestanden wird. Zu den Symbolen der Staatsgewalt mag das einheitliche, von Zivilkleidung deutlich unterscheidbare Dienstkleid des Soldaten gehören, nicht aber sein Haar. [27] Indem § 4 Abs. 3 Satz 2 SG […] von Kleidungsstücken spricht, die nicht Uniformteile sind, aber mit der Uniform getragen werden, geht er ebenfalls von einem Wortverständnis aus, nach dem eine Uniform aus Kleidungsstücken besteht. […]“ In systematischer Hinsicht ist zu beachten, Systematische Auslegung „[32] […] dass der Gesetzgeber […] durch § 17 Abs. 2 Satz 2 SG über ein Verbot der Gesichtsverhüllung innerhalb dienstlicher Unterkünfte und Anlagen, aber außerhalb der Dienstzeit selbst entschieden hat. Er hat damit ein Bekleidungsverbot in dem Grenzbereich zwischen Dienst und privater Lebensgestaltung als so wesentlich angesehen, dass es einer gesetzlichen Grundlage bedarf. Vor diesem Hintergrund spricht nichts dafür, dass der Gesetzgeber daneben den Erlassgeber zu Eingriffen ermächtigen wollte, die zum einen als Regelung über Körpergestaltung intensiver in die Lebensführung eingreifen als Bekleidungsvorschriften und zum anderen auch räumlich über den noch dem Dienstherrn zugewiesenen Bereich der Kaserne hinaus in den allein der Privatsphäre des Soldaten zugewiesenen Bereich notwendig hineinwirken.“ Somit spricht auch die systematische Auslegung dagegen, dass § 4 III 2 SG die streitgegenständliche Regelung der Zentralen Dienstvorschrift legitimieren kann. „[29] Soweit bislang angenommen worden ist, die Befugnis, einen uniformverträglichen Haar- und Barterlass anzuordnen, sei in § 4 Abs. 3 Satz 2 und 3 SG gleichsam stillschweigend kraft Sachzusammenhangs mitgegeben, überzeugt dies nicht. Zwar ist es unbestreitbar, dass die militärische Uniform auch dem einheitlichen Auftreten der Truppe im In- und Ausland dient und dass stark unterschiedliche Haarlängen, Haarfarben, Barttrachten etc. das damit bezweckte geschlossene Erscheinungsbild einer Einheit massiv beinträchtigen können. Deshalb gibt es in fast allen Armeen der westlichen Welt Bestimmungen über den zulässigen Haarund Bartschnitt. Da das erfolgreiche Auftreten der Bundeswehr im In- und Ausland auch von ihrem Aussehen abhängt und ein einheitliches Aussehen als sichtbares Zeichen der Einbindung in die militärische Gemeinschaft auch der inneren Geschlossenheit der Truppe dient, kommt den Regelungen über ein einheitliches Erscheinungsbild eine zwar nur dienende, aber nach wie vor unerlässliche Bedeutung für die Funktionsfähigkeit der Streitkräfte zu. Jura Intensiv [30] Daraus folgt jedoch nicht, dass die Befugnis zur Regelung der Dienstbekleidung in § 4 Abs. 2 Satz 2 und 3 SG zugleich auch die Ermächtigung zum Erlass aller für ein einheitliches Erscheinungsbild der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr für notwendig angesehenen Regelungen in Bezug auf Haar- und Barttracht, Fingernägel, Kosmetik, § 17 II 2 SG: „Der Soldat darf innerhalb der dienstlichen Unterkünfte und Anlagen auch während der Freizeit sein Gesicht nicht verhüllen, es sei denn, dienstliche oder gesundheitliche Gründe erfordern dies.“ Teleologische Auslegung/ Sachzusammenhang Begründung, warum Streitkräfte ein einheitlich Aussehen haben Kein Rückschluss vom Zweck der Regelung auf das Bestehen der notwendigen Regelungsbefugnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

RA - Digital

Rspr. des Monats