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RA Digital - 07/2019

Die Ausbildungszeitschrift von Jura Intensiv.

376 Referendarteil:

376 Referendarteil: Öffentliches Recht RA 07/2019 Prüfungsmaßstab darlegen Prüfung des Anordnungsanspruchs Die Anspruchsgrundlage findet sich hier im eher unbekannten Grünanlagengesetz. Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen: 1. Einschlägigkeit des GrünanlG 2. Genehmigungsbedürftigkeit 3. Genehmigungsfähigkeit: a) öffentliches Interesse an Nutzung b) öffentliches Interesse überwiegt Interesse an Nutzungsbeschränkung der Grünanlage Öffentliches Interesse ist in der Stellung der Antragstellerin als politische Partei begründet. Bekannt ist das Parteienprivileg (vgl. § 5 I PartG i.V.m. Art. 21 I 1 GG) im Zusammenhang mit Ansprüchen auf Zugang zu öffentlichen Einrichtungen: Für nicht ortsansässige Parteien folgt hieraus ein Gleichbehandlungsgebot. Da es sich um ein Kinder- und Volksfest handelt, bedurfte die politische Zielsetzung der Veranstaltung einer besonderen Begründung. Für den Anordnungsgrund bedeutet dies, dass der Antragsteller glaubhaft machen muss, dass ihm ohne Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstehen, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Die Antragstellerin hat den Anordnungsanspruch mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 1, 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 des Grünanlagengesetzes (GrünanlG) dürfen öffentliche Grün- und Erholungsanlagen nur so benutzt werden, wie es sich aus der Natur der einzelnen Anlage und ihrer Zweckbestimmung ergibt. Gemäß § 6 Abs. 5 GrünanlG bedarf die Benutzung der öffentlichen Grün- und Erholungsanlagen, die über Absatz 1 hinausgeht, der Genehmigung der zuständigen Behörde. Die Genehmigung kann im Einzelfall erteilt werden, wenn das überwiegende öffentliche Interesse dies erfordert und die Folgenbeseitigung gesichert ist. Bei der Entscheidung ist zu berücksichtigen, ob andere Standorte eine geringere Beeinträchtigung der Anlage zur Folge haben. Die von der Antragstellerin als Veranstaltungsort vorgesehene Spielwiese im Bürgerpark ist Teil einer Grünanlage im Sinne dieses Gesetzes, [...]. Da die Durchführung eines Kinder- und Volksfestes über den Nutzungszweck der öffentlichen Grün- und Erholungsanlage hinausgeht, bedarf die Antragstellerin hierfür einer Genehmigung der zuständigen Behörde nach § 6 Abs. 5 GrünanlG. In tatbestandlicher Hinsicht setzt § 6 Abs. 5 S. 1 GrünanlG zunächst ein öffentliches Interesse an der beabsichtigten Nutzung voraus, welches das Interesse an der Beschränkung der Nutzung von öffentlichen Grünanlagen, wie sie durch § 6 Abs. 1 bis 4 GrünanlG vorgesehen ist, überwiegt. Jura Intensiv Ein solches Interesse ist in der Betätigung der Antragstellerin als politische Partei zu sehen. Die Mitwirkung der Parteien an der politischen Meinungs- und Willensbildung besitzt einen hohen Stellenwert innerhalb der freilich demokratischen Grundordnung. Gerade in Zeiten erodierenden Vertrauens in die das System der repräsentativen Demokratie tragenden Parteien (vgl. Art. 21 GG) kommt der Arbeit der demokratischen Parteien, die das Verhältnis zu den Bürgern begründen und festigen soll, verstärkte Bedeutung zu. Auch wenn die Natur der Veranstaltung, wie der Antragsgegner zu Recht ausgeführt hat, nicht genuin politisch ist, da es sich um eine Festveranstaltung handelt, ergibt sich aus der Natur des hierfür als Termin in den Blick genommenen 1. Mai als Tag der Arbeit und der zeitlichen Nähe zur Europawahl am 26. Mai 2019 einerseits und der beabsichtigten Aufstellung von Informationstischen sowie Sonnenschirmen mit dem Parteilogo andererseits die gleichwohl politische Zielrichtung der Veranstaltung. [...] Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 07/2019 Referendarteil: Öffentliches Recht 377 Dieses öffentliche Interesse ist von so überragender Bedeutung, dass es den Schutz öffentlicher Grünanlagen unter Beachtung der in § 1 Abs. 1 GrünanlG verankerten Zweckbestimmungen abstrakt mit der Folge überwiegt, dass der Entscheidungsspielraum der Behörde für die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung eröffnet ist. Davon geht im Ergebnis im Übrigen erkennbar der Sache nach auch der Antragsgegner aus, indem er die für seine Entscheidung tragenden ermessenslenkenden Erwägungen darlegt. Weiterhin setzt § 6 Abs. 5 S. 2 GrünanlG voraus, dass die Folgenbeseitigung gesichert ist. Wegen des Hinweises in § 6 Abs. 5 S. 4 GrünanlG, wonach die Folgenbeseitigung insbesondere dann als gesichert gilt, wenn der Antragsteller bei der Genehmigungsbehörde Geld in Höhe der zu erwartenden Kosten hinterlegt oder eine Bankbürgschaft beibringt, ist davon auszugehen, dass die Vorschrift sich ihrem Sinn und Zweck nach auf die einer konkreten Veranstaltung unzweifelhaft kausal zurechenbaren Folgen – wie etwa Abfälle, Verunreinigungen durch Fäkalien sowie Schäden an Parkmobiliar und unmittelbar auftretende Beschädigungen der Vegetation – beschränkt. Eine derartige Folgenbeseitigung ist in den vergangenen Jahren durch die Antragstellerin mit einer Begehung des Veranstaltungsortes vor und dessen Übergabe an einen Mitarbeiter des Antragsgegners nach der Veranstaltung gewährleistet gewesen; es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass von dieser Praxis abgewichen werden sollte. Das dem Antragsgegner danach eröffnete Ermessen ist von ihm nicht ohne Rechtsfehler ausgeübt worden (vgl. § 114 S. 1 und 2 VwGO). Aus dem Wortlaut und aus Sinn und Zweck des § 6 Abs. 5 S. 2, 1. HS GrünanlG, vorrangig eine den in § 1 Abs. 1 GrünanlG benannten Zweckbestimmungen entsprechende Nutzung der Grünanlagen sicherzustellen, ergibt sich, dass die Genehmigung einer nicht primär diesen Zwecken dienende Nutzung die Ausnahme darstellt und eine umfassende Würdigung aller Umstände des konkreten Einzelfalls erfordert. Als wesentlichen, in die Ermessenserwägungen einzustellenden Belang führt der Antragsgegner – wenn auch ohne nähere tatsächliche Unterfütterung – generelle Erwägungen zur Schutzbedürftigkeit der Vegetation in den Grünanlagen, deren sinkende Eigenregenerationsfähigkeit und die sich abzeichnenden Auswirkungen des Klimawandels sowie die im Verhältnis zu den hier eingetretenen Veränderungen nicht hinreichende öffentliche Budgetierung für erforderliche Schutzmaßnahmen der Grünanlagen an. Jura Intensiv Die vom Antragsteller aufgrund dieser Erwägungen getroffene Entscheidung, in Abänderung seiner bisherigen Ermessenspraxis künftig generell die Zahl der Veranstaltungen, die sich als Beanspruchung der Grünanlagen über den in § 6 Abs. 1 bis 4 GrünanlG gezogenen Rahmen der Nutzung hinaus erweisen, auf ein „unerlässliches Minimum“ beschränken zu wollen, hält sich im Rahmen des ihm eröffneten Entscheidungsspielraums. [...] Zu Recht hat er sich auch aufgrund der – von der Antragstellerin nur behaupteten – Bemerkung einer Mitarbeiterin bei Begehung des Veranstaltungsortes nach dem für 2018 genehmigten und durchgeführten Fest, eine Genehmigung käme auch für 2019 gut in Betracht, nicht zur Erteilung einer Genehmigung auch für das Jahr 2019 verpflichtet gefühlt, da dieser – ihren Wahrheitsgehalt Öffentliches Interesse überwiegt hier (abstrakt) das Interesse an einer Nutzungsbeschränkung der Grünanlage. Es wäre konsequenter, zunächst die Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen abzuschließen (Sicherung der Folgenbeseitigung s.u.), bevor auf die Rechtsfolge (Ermessen) eingegangen wird. c) Sicherung der Folgenbeseitigung Rechtsfolge: Ermessen Eine Änderung der Verwaltungspraxis ist grundsätzlich zulässig. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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