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RA Digital - 07/2020

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376 Referendarteil:

376 Referendarteil: Öffentliches Recht RA 07/2020 Darlegung des Prüfungsmaßstabs; hierbei ist auf die besonderen Anforderungen an die Prüfungsdichte im Bereich des Versammlungsrechts einzugehen. Intensivere Prüfung bei Beschränkungen der Versammlungsfreiheit BVerfG, Beschluss vom 20.12.2012, 1 BvR 2794/10, juris. Rechtsgrundlage Definition „öffentliche Sicherheit“ BVerfG, Beschluss vom 14.5.1985, 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81, juris Strenge Anforderungen an die Gefahrenprognose Rechtsfolge: Ermessen, hierbei: strenge Prüfung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Subsumtion Bei der Entscheidung hat das Gericht das Interesse des Antragstellers, dass die angefochtene Verbots- oder Auflagenverfügung vor dem rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens nicht durchgesetzt wird, gegen das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung abzuwägen. Im Verfahren auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs, das für den Regelfall sicherstellt, dass die Verwaltungsbehörden keine irreparablen Maßnahmen durchführen, bevor die Gerichte deren Rechtmäßigkeit geprüft haben, ist der Rechtsschutzanspruch des Bürgers umso stärker, je schwerwiegender die ihm auferlegte Belastung wiegt und je mehr die Maßnahmen der Verwaltung Unabänderliches bewirken. Insbesondere im Bereich des Versammlungsrechts muss das verwaltungsgerichtliche Eilverfahren angesichts der Zeitgebundenheit von Versammlungen zum Teil Schutzfunktionen übernehmen, die sonst das Hauptsacheverfahren erfüllt. Die Verwaltungsgerichte müssen daher schon im Eilverfahren durch eine intensivere Prüfung dem Umstand Rechnung tragen, dass der Sofortvollzug der umstrittenen Maßnahme in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Versammlung in der beabsichtigten Form führt. Soweit möglich ist die Rechtmäßigkeit der Maßnahme nicht nur summarisch zu prüfen, jedenfalls aber eine sorgfältige Folgenabwägung vorzunehmen. Nach § 15 Abs. 1 VersG kann die zuständige Behörde eine Versammlung oder einen Aufzug von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist. Dabei umfasst der Begriff der öffentlichen Sicherheit den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen. Die im pflichtgemäßen Ermessen stehende Beschränkung der durch Art. 8 Abs. 1 GG gewährleisteten Versammlungsfreiheit durch die Erteilung von Auflagen setzt eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung voraus. Erforderlich ist eine Prognose, wonach aufgrund tatsächlicher Umstände der Eintritt einer Gefahr nahezu mit Gewissheit zu erwarten ist. Wegen der besonderen Bedeutung der grundrechtlich verbürgten Versammlungsfreiheit für die Funktionsfähigkeit der Demokratie darf ihre Ausübung nur zum Schutz gleichwertiger anderer Rechtsgüter unter strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit beschränkt werden. Jura Intensiv Bei Zugrundelegung dieser Grundsätze führt die nach § 80 Abs. 5 VwGO zu treffende Abwägung hier zu dem Ergebnis, dass sowohl die Anordnung zum Tragen einer Mund- Nasen-Bedeckung durch die Ordner als auch die Beschränkung der Teilnehmerzahl aller Voraussicht nach aus Gründen des Infektionsschutzes gerechtfertigt sind. Die von der Antragsgegnerin zur Begründung der von ihr erlassenen Auflage in Nr. 4 herangezogenen Gesichtspunkte wiegen schwer. Die Antragsgegnerin stellt zur Begründung ihrer Verfügung auf den Gesichtspunkt des Infektionsschutzes und die dazu erlassenen Regelungen in der CoronaVO ab, wonach es derzeit der Einhaltung von Mindestabständen zwischen Personen im öffentlichen Raum unter im Einzelnen in der Verordnung dargelegten Umständen bedürfe. Dieses Abstandsgebot gelte Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 07/2020 Referendarteil: Öffentliches Recht 377 auch für die Teilnehmer von Versammlungen. Seine Durchsetzung sei nur dann möglich, wenn die Anzahl der Teilnehmenden auf 5.000 Personen beschränkt werde. Bei den insoweit in Bezug genommenen Rechtsgütern des Lebens und der Gesundheit handelt es sich um zentrale Rechtsgüter. Ziel der in der baden-württembergischen CoronaVO - und vergleichbaren Verordnungen der anderen Bundesländer - enthaltenen Einschränkungen ist die Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 zum Schutz des Gesundheitssystems vor Überlastung sowie zum Schutz vulnerabler Personen. Dies ist nach wie vor notwendig, was sich aus den Besonderheiten der Übertragung dieses Virus ergibt. Nach den bislang vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen erfolgt die Übertragung des Virus zu einem großen Teil über Tröpfcheninfektion, das heißt über Tröpfchen, die beim Husten oder Niesen entstehen und beim Gegenüber über die Schleimhäute vor allem der Nase und des Mundes aufgenommen werden. Zudem erscheint auch die Übertragung über sogenannte Aerosole, also Tröpfchenkerne, die kleiner als fünf Mikrometer sind, und zum Beispiel beim Singen und Sprechen ausgeschieden werden, als denkbar (vgl. hierzu die Informationen des Robert-Koch-Instituts, [...]). Im Hinblick auf die Infektiosität von Personen, die sich mit dem SARS-CoV-2-Virus infiziert haben, ist nach derzeitiger Erkenntnislage davon auszugehen, dass die Übertragung der Krankheit bereits zwei Tage vor Symptombeginn möglich ist und am Tag vor Symptombeginn ihren Höhepunkt erreicht. Hieraus ergibt sich, dass die Übertragung, anders als bei einer Reihe anderer Infektionskrankheiten, nicht erst dann erfolgt, wenn dieses Risiko anhand von Symptomen erkannt werden kann. [...] Aus all dem ergibt sich, dass die Eindämmung der Ausbreitung des SARS-CoV-2- Virus ausgesprochen schwierig ist und der stetigen Einhaltung von Gegenmaßnahmen bedarf. [...] Nicht zuletzt geht auch das Robert-Koch- Institut nach wie vor davon aus, es handele sich um eine sehr dynamische und ernst zu nehmende Situation. Die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland werde insgesamt als hoch, für Risikogruppen als sehr hoch eingeschätzt (Lagebericht vom 14.05.2020). Vor diesem Hintergrund ist die Wahrung der infektionsschutzrechtlichen Anforderungen bei Demonstrationen weiterhin notwendig. Die Beschränkung der Teilnehmerzahl auf 5.000 Personen ist dabei auch aus Sicht des Gerichts, auch unter Berücksichtigung des hohen Guts der durch Art. 8 GG geschützten Versammlungsfreiheit nicht zu beanstanden. Jedenfalls bei einer darüber hinausgehenden Teilnehmerzahl lassen sich die derzeit bestehenden und erforderlichen Gebote der Kontaktreduzierung und der Einhaltung des Mindestabstandes von 1,5 Metern nicht in verlässlicher Weise einhalten. Die Antragsgegnerin hat in ihrer Verfügung überzeugend und in nachvollziehbarer Weise dargelegt, dass bei höheren Teilnehmerzahlen die Einhaltung der Mindestabständige nicht verlässlich durchgehalten werden kann. Sie begründet dies mit ihren Erfahrungen bei zwei vorangegangenen Demonstrationen, die der Antragsteller als Verantwortlicher initiiert hat. Dabei gelang die Einhaltung der Abstände bei einer Größe von etwa 5.000, scheiterte aber, als sich bei der Demonstration am vergangenen Wochenende 10.000 Personen einfanden. Aus Sicht des Gerichts ist dies ohne Weiteres nachvollziehbar. [...] Selbst wenn jedem Teilnehmenden (Einzelpersonen oder Angehörige eines Haushalts), wie der Antragsteller ausführt, eine Fläche von 6,25 qm zugewiesen wird, ist nicht davon auszugehen, dass die auf Jura Intensiv Das Gericht nimmt hier eine Prüfung „im freien Raum“ vor; eine Anbindung an Tatbestand oder Rechtsfolge fehlen ebenso wie eine klare Differenzierung der verschiedenen Prüfungspunkte im Rahmen der Verhältnismäßigkeit (legitimer Zweck, Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit). In der Klausur sollte die Prüfung hingegen klar strukturiert sein, insbesondere sind Ergebnissätze voranzustellen. Beschreibung der besonderen Gefahren des Corona-Virus Begründung der Begrenzung auf 5.000 Personen Wie immer ist das Vorbringen der Beteiligten erschöpfend zu würdigen. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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