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RA Digital - 07/2020

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Die Ausbildungszeitschrift von Jura Intensiv.

378 Referendarteil:

378 Referendarteil: Öffentliches Recht RA 07/2020 Prüfung der Anordnung zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes Auflage rechtmäßig, obwohl sie über die Corona-VO hinausgeht zwei Stunden angesetzte Versammlung statisch in sich ruht und ohne Bewegung abläuft. Zum einen ist notwendig, dass jeder Teilnehmer einen Platz findet und einnimmt, zum anderen ist nicht davon auszugehen, dass jeder Teilnehmer über die gesamte Dauer der Veranstaltung auf der ihm zugewiesenen Fläche verharrt. Die sich daraus ergebende Dynamik wird zwangsläufig auch zu engeren Begegnungen der Teilnehmer führen. Je mehr die Zahl der Teilnehmer zunimmt, desto vielfältiger wird eine solche Dynamik sein. Sie unter Kontrolle zu halten, fällt bei zunehmender Größe schwer. [...] Zu den Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben, dass sich eine große Personenzahl über einen Zeitraum von zwei Stunden auf einer begrenzten Fläche aufhält, kommt hinzu, dass auch An- und Abfahrt der Teilnehmenden in den Blick genommen werden muss. Auch hierauf weist die Antragsgegnerin zurecht hin und führt aus, die Infektionsrisiken seien bei 5.000 Teilnehmern gerade noch zu vertreten. Das Gericht teilt diesen Ansatz sowohl in rechtlicher Hinsicht, da mögliche Unterschreitungen der Mindestabstände bei An- und Abreise der Teilnehmer der Versammlung zuzurechnen, da sie durch sie veranlasst sind, als auch im Tatsächlichen. Denn nach den Erfahrungen der letzten Wochen reist ein erheblicher Teil der Teilnehmer mit öffentlichen Verkehrsmitteln an und wird sich innerhalb eines begrenzten Zeitraums nach Ende der Versammlung zu den Bahnhöfen begeben. [...] Mit seinen Einwänden, die Antragsgegnerin habe die örtlichen Gegebenheiten nicht berücksichtigt und die Grenze von 5.000 Teilnehmern willkürlich festgesetzt, vermag der Antragsteller die Verhältnismäßigkeit der verfügten Auflage nicht in Zweifel zu ziehen. Zwar trifft zu, dass das Infektionsgeschehen in Stuttgart in den letzten Wochen stetig zurückgegangen ist. Es ist aber der Kreis der Teilnehmenden nicht auf Bürger der Stadt Stuttgart beschränkt und haben die vom Antragsteller initiierten Versammlungen in den letzten Wochen regelmäßig auch Teilnehmer aus anderen Teilen Baden- Württemberg angezogen. Für andere Bereiche Baden-Württembergs gilt nicht durchgängig, dass die Infektionsraten so niedrig sind, dass nahezu ausgeschlossen werden könnte, dass sich infizierte Personen unter den Teilnehmern befinden werden, so dass der Blick insoweit nicht auf das Stuttgarter Stadtgebiet beschränkt werden kann. [...] Jura Intensiv Bei Zugrundelegung der oben dargelegten Grundsätze überwiegt auch im Hinblick auf die in Nr. 2 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 14.05.2020 verfügten Auflage, dass alle Ordner eine nicht-medizinische Alltagsmaske oder eine vergleichbare Mund- Nasen-Bedeckung tragen müssen, im vorliegenden Fall nach summarischer Prüfung das Interesse an der Abwehr infektionsbedingter Risiken für Leib und Leben einer Vielzahl von Personen, weil unter den hier gegebenen Umständen voraussichtlich eine enge räumliche Nähe bis hin zu unmittelbaren Körperkontakten der Ordner mit den zahlreichen Teilnehmern unvermeidlich ist. Auch wenn die Corona-VO in § 3 Abs. 1 lediglich vorschreibt, dass Personen ab dem vollendeten sechsten Lebensjahr 1. im öffentlichen Personenverkehr, an Bahn- und Bussteigen sowie in Flughafengebäuden und 2. in den Verkaufsräumen von Ladengeschäften und allgemein in Einkaufszentren eine nicht-medizinische Alltagsmaske oder eine vergleichbare Mund-Nasen- Bedeckung tragen müssen, wenn dies nicht aus medizinischen Gründen oder aus sonstigen zwingenden Gründen unzumutbar ist oder wenn nicht ein anderweitiger mindestens gleichwertiger baulicher Schutz besteht, Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 07/2020 Referendarteil: Öffentliches Recht 379 durfte die Antragsgegnerin vorliegend auch für die geplante Versammlung überobligatorisch in verhältnismäßiger Weise eine Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung durch die Ordner auferlegen. Dies ergibt sich aus der Dynamik des Versammlungsgeschehens und insbesondere der ständig erforderlichen Bewegung des Ordnungspersonals. Wie die Antragsgegnerin in ihrem Bescheid vom 14.05.2020 richtigerweise ausführt, besteht die Aufgabe der Ordner gerade darin, die Maßnahmen zum Infektionsschutz, insbesondere die Abstandsregelungen, durchzusetzen. Dabei ist es jedenfalls nicht ausgeschlossen, sondern vielmehr vorhersehbar, dass sich die jeweiligen Ordner des Öfteren und auch über einen längeren Zeitraum hinweg anderen Personen weniger als 1,5 m nähern werden. [...] Zu erwähnen ist hier insbesondere auch, dass das Gericht bereits daran zweifelt, dass die Ordner bei den Einlasskontrollen den erforderlichen Abstand von 1,5 m einhalten können. [...] Dabei dringt der Antragsteller mit seinem Vortrag, soweit ein Mindestabstand laut Corona-VO eingehalten werden könne, sei eine Mund-Nasen-Bedeckung nicht erforderlich, denn eine Mund-Nasen-Bedeckung schütze nur vor einer Übertragung der Krankheit und es sei nicht ersichtlich, dass die vom Versammlungsleiter ausgewählten Ordner Kranke Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider seien, nicht durch. Denn dabei verkennt er, dass die Übertragung der Krankheit - wie bereits oben dargelegt - bereits zwei Tage vor Symptombeginn möglich ist und am Tag vor Symptombeginn ihren Höhepunkt erreicht, eine Übertragung also nicht erst dann erfolgt, wenn dieses Risiko anhand von Symptomen erkannt werden kann. Dass der Versammlungsleiter nur gesunde Personen als Ordner einsetzt und eine Übertragung deshalb ausgeschlossen sei, vermag das Gericht damit nicht zu überzeugen. Die Einschätzung der Antragsgegnerin, dass das Tragen einer Mund-Nasen- Bedeckung eine geeignete Schutzmaßnahme ist, um die Weiterverbreitung der Krankheit einzuschränken, ist auch nicht zu beanstanden. In einer aktuellen Empfehlung stellt die WHO zwar fest, dass der Einsatz von nicht zertifizierten Masken, die Mund und Nase bedecken, nicht ausreichend evaluiert sei und daher weder eine Empfehlung für noch gegen den Einsatz gegeben werden könne […]. Dagegen empfiehlt nunmehr jedoch das Robert-Koch-Institut (RKI) im Rahmen einer Neubewertung ein generelles Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung (MNB) in bestimmten Situationen im öffentlichen Raum als einen weiteren Baustein, um Risikogruppen zu schützen und den Infektionsdruck und damit die Ausbreitungsgeschwindigkeit von COVID-19 in der Bevölkerung zu reduzieren. [...] Jura Intensiv Soweit der Antragsteller weiter geltend macht, die Ordner würden ihre mitgeführte Mund-Nasen-Bedeckung aufziehen, sobald sie den Mindestabstand nicht mehr einhalten, führt dies zu keiner anderen Bewertung. Denn laut RKI ist Voraussetzung für eine Verlangsamung der Ausbreitung von COVID-19, dass genügend Menschen eine Mund-Nasen-Bedeckung tragen und richtig mit der Mund-Nasen-Bedeckung umgehen: die Bedeckung muss durchgehend eng anliegend über Mund und Nase getragen und bei Durchfeuchtung gewechselt werden; sie darf während des Tragens nicht (auch nicht unbewusst) zurechtgezupft werden und auch nicht um den Hals getragen werden […]. Der Vorschlag, die Mund-Nasen-Bedeckung je nach Einhaltung des Abstandes zu anderen Personen auf- oder abzuziehen, widerspricht damit der Sinnhaftigkeit des Tragens einer Mund-Nasen-Bedeckung. Typische Einwände gegen den Mund-Nasen-Schutz Permanentes Tragen des Mund- Nasen-Schutzes ist zwingend erforderlich © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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