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RA Digital - 07/2021

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366 Öffentliches Recht

366 Öffentliches Recht RA 07/2021 Extensive Auslegung • alles, was mit der EU zu tun hat „[67] […] ist der Begriff der Angelegenheiten der Europäischen Union weit zu verstehen. Zu ihnen gehören neben Vertragsänderungen, entsprechenden Änderungen auf der Ebene des Primärrechts und Rechtsetzungsakten auch völkerrechtliche Verträge, wenn sie in einem Ergänzungs- oder sonstigen besonderen Näheverhältnis zum Recht der Europäischen Union stehen.“ II. „Umfassend“ i.S.v. Art. 23 II 2 GG 1. Grundsätzliches Verständnis Ausgangspunkt der rechtlichen Überlegungen Je stärker innerstaatliche Kompetenzen des Bundestages betroffen sind, desto genauer muss die Unterrichtung sein. Besonders relevant: Haushaltshoheit des Bundestages • da der Bundestag für den Haushalt verantwortlich ist, muss er wissen, welche Ausgaben auf EU-Ebene beschlossen werden könnten. Schlussfolgerung bzgl. des Umfangs der Unterrichtung Fortlaufende Pflicht Auch Information über Zwischenergebnisse „[69] […] Die Unterrichtung muss dem Deutschen Bundestag in erster Linie eine frühzeitige und effektive Einflussnahme auf die Willensbildung der Bundesregierung eröffnen. Nur auf einer ausreichenden Informationsgrundlage ist der Bundestag in der Lage, den europäischen Integrationsprozess zu begleiten und zu beeinflussen […]. [72] Zur Wahrung der Mitwirkungsrechte des Deutschen Bundestages ist eine umso intensivere Unterrichtung geboten, je komplexer ein Vorgang ist, je tiefer er in den Zuständigkeitsbereich der Legislative eingreift und je mehr er sich einer förmlichen Beschlussfassung oder Vereinbarung annähert. Insbesondere Vereinbarungen und Mechanismen, die erheblich in die Zuständigkeiten des Bundestages und namentlich in seine haushaltspolitische Gesamtverantwortung eingreifen, lösen vollständige und detaillierte Unterrichtungspflichten aus. Die Unterrichtung muss so erfolgen, dass das Parlament nicht in eine bloß nachvollziehende Rolle gerät. [73] In qualitativer Hinsicht erfasst die Pflicht zur umfassenden Unterrichtung zunächst Initiativen und Positionen der Bundesregierung selbst. Darüber hinaus erstreckt sie sich auf die Weiterleitung amtlicher Unterlagen […] der Organe […] und Behörden der Europäischen Union und anderer Mitgliedstaaten […], ist darauf aber nicht beschränkt. Sobald und soweit die Bundesregierung selbst mit einer Angelegenheit befasst ist, können auch ihr vorliegende Informationen über informelle und (noch) nicht schriftlich dokumentierte Vorgänge erfasst sein. Jura Intensiv [74] […] Es handelt sich […] um eine auf Dauer angelegte, fortlaufende Pflicht […].Sie verdichtet sich mit zunehmender Komplexität und Bedeutung eines Vorgangs sowie mit der zeitlichen Nähe zu einer förmlichen Beschlussfassung oder zum Abschluss einer Vereinbarung. Die Bundesregierung hat die Informationen immer dann zu aktualisieren, wenn sich neue Entwicklungen ergeben haben oder sie ihre Haltung zu einem Dossier ändert. [75] Dies umfasst zugleich die Pflicht, nicht nur bereits in EU-Gremien unter Mitwirkung der Bundesregierung abschließend beratene oder sogar bereits beschlossene Rechtsetzungsakte sowie sonstige relevante Dokumente zuzuleiten. Vielmehr muss die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag auch ihr vorliegende Zwischenergebnisse und Textstufen übermitteln. […]“ Geheimhaltungsbedürftigkeit Schranke? als 2. Geheimhaltungsbedürftigkeit als Schranke Möglicherweise steht die Geheimhaltungsbedürftigkeit einer Information ihrer Weiterleitung an den Bundestag entgegen und begrenzt somit den Informationsanspruch des Bundestages aus Art. 23 II 2 GG. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 07/2021 Öffentliches Recht 367 [77] […] Insbesondere in Bezug auf Initiativen der Bundesregierung im Verhältnis zu den übrigen Mitgliedstaaten und zu Organen der Europäischen Union erscheinen Fallkonstellationen nicht ausgeschlossen, in denen ein vorzeitiges Bekanntwerden der Haltung der Bundesregierung in der Öffentlichkeit deren Verhandlungsposition im europäischen Gefüge nachhaltig schwächt. […] [78] In derartigen Fällen, in denen das Wohl des Staates durch das Bekanntwerden vertraulicher Informationen gefährdet werden kann, kann die Unterrichtung vertraulich erfolgen. […] [79] Die Voraussetzungen für die Wahrung der Vertraulichkeit hat der Deutsche Bundestag mit dem Erlass seiner Geheimschutzordnung geschaffen, welche Bestandteil seiner Geschäftsordnung ist (§ 17 GO-BT) und in detaillierter Weise die Voraussetzungen für die Wahrung von Dienstgeheimnissen bei seiner Aufgabenerfüllung regelt. […] [80] Die Geheimschutzbestimmungen sind Ausdruck der Tatsache, dass das Parlament ohne eine Beteiligung am geheimen Wissen der Regierung weder das Gesetzgebungsrecht noch das Haushaltsrecht noch das parlamentarische Kontrollrecht gegenüber der Regierung auszuüben vermöchte. Auch die Unterrichtungs- und Mitwirkungsrechte nach Art. 23 Abs. 2 GG liefen in vielen Fallkonstellationen leer, wenn sich die Bundesregierung regelmäßig auf die Geheimhaltungsbedürftigkeit des jeweiligen Ereignisses auf europäischer Ebene berufen könnte. […] Mithin kommt die Berufung auf eine absolute Geheimhaltungsbedürftigkeit gerade gegenüber dem Bundestag in aller Regel dann nicht in Betracht, wenn beiderseits wirksam Vorkehrungen gegen das Bekanntwerden von Dienstgeheimnissen getroffen wurden.“ Demnach begrenzt die Geheimhaltungsbedürftigkeit einer Information nicht das Recht des Bundestages aus Art. 23 II 2 GG. Jura Intensiv 3. Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung als Schranke Der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung könnte jedoch eine Schranke darstellen. „[82] Grenzen der Unterrichtungspflicht ergeben sich aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung […]. Das Funktionengefüge des Grundgesetzes geht davon aus, dass die Regierung einen Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung besitzt, der einen grundsätzlich nicht ausforschbaren Initiativ-, Beratungs- und Handlungsbereich einschließt. Zu diesem Kernbereich gehört jedenfalls die Willensbildung der Regierung, sowohl hinsichtlich der Erörterungen im Kabinett als auch bei der Vorbereitung von Kabinetts- und Ressortentscheidungen, die sich vor allem in ressortinternen und -übergreifenden Abstimmungsprozessen vollzieht. Solange die interne Willensbildung der Bundesregierung nicht abgeschlossen ist, besteht daher kein Anspruch des Parlaments auf Unterrichtung. [83] […] Wenn die Bundesregierung indes ihre Willensbildung selbst so weit konkretisiert hat, dass sie Zwischen- oder Teilergebnisse an die Öffentlichkeit geben kann oder mit einer eigenen Position in einen Abstimmungsprozess mit Dritten eintreten will, fällt ein Vorhaben nicht Grund für Geheimhaltungsbedürftigkeit Aber: Unterrichtung kann vertraulich erfolgen Geheimnisschutz durch Geheimschutzordnung des Bundestages Zentrales Argument: Wie soll eine effektive Kontrolle der Bundesregierung erfolgen, wenn der Bundestag nicht über alle Informationen verfügt? Dogmatischer Ansatzpunkt: Gewaltenteilungsprinzip (Art. 20 II 2 GG) Konsequenz: Geschützter Bereich der internen Willensbildung der Bundesregierung Aber: Nicht mehr interne Willensbildung, wenn Bundesregierung mit Ergebnissen ihrer internen Beratung nach außen tritt © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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