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RA Digital - 08/2019

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416 Nebengebiete

416 Nebengebiete RA 08/2019 Vertrag genannten Ort der Arbeitsleistung (...). Es macht keinen Unterschied, ob im Arbeitsvertrag auf eine Festlegung des Orts der Arbeitsleistung verzichtet und diese dem Arbeitgeber im Rahmen von § 106 GewO vorbehalten bleibt oder ob der Ort der Arbeitsleistung bestimmt, aber die Möglichkeit der Zuweisung eines anderen Orts vereinbart wird. In diesem Fall wird lediglich klargestellt, dass § 106 Satz 1 GewO gelten und eine Versetzungsbefugnis an andere Arbeitsorte bestehen soll. (...) Ausübungskontrolle hinsichtlich des Direktionsrechts 2. Das Arbeitsgericht hat weiterhin zutreffend festgestellt, dass die Versetzung des Klägers nach M. der gebotenen Ausübungskontrolle am Maßstab von § 106 Satz 1 GewO, § 315 BGB standhält. Die erkennende Kammer schließt sich dem an. a) Die Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen verlangt eine Abwägung der wechselseitigen Interessen nach verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, den allgemeinen Wertungsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie der Verkehrssitte und Zumutbarkeit. In die Abwägung sind alle Umstände des Einzelfalls einzubeziehen. Dem Inhaber des Bestimmungsrechts nach § 106 Satz 1 GewO, § 315 Abs. 1 BGB verbleibt auch im Fall der Versetzung für die rechtsgestaltende Leistungsbestimmung ein nach billigem Ermessen auszufüllender Spielraum. Innerhalb dieses Spielraums können dem Bestimmungsberechtigten mehrere Entscheidungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Dem Gericht obliegt nach § 106 Satz 1 GewO, § 315 III 1 BGB die Prüfung, ob der Arbeitgeber als Gläubiger die Grenzen seines Bestimmungsrechts beachtet hat. Bei dieser Prüfung kommt es, wie ausgeführt, nicht auf die vom Bestimmungsberechtigten angestellten Erwägungen an, sondern darauf, ob das Ergebnis der getroffenen Entscheidung den gesetzlichen Anforderungen genügt. Die Darlegungs- und Beweislast für die Einhaltung dieser Grenzen hat der Bestimmungsberechtigte. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Ausübungskontrolle ist der Zeitpunkt, zu dem der Arbeitgeber die Ermessensentscheidung zu treffen hatte. Jura Intensiv b) Das Arbeitsgericht hat rechtsfehlerfrei erkannt, dass die Beklagte mit der Versetzung des Klägers vom Wertstoffhof in W. zu ihrem Standort in M. billiges Ermessen gewahrt hat. (...) Für die Rechtfertigung einer Versetzung kommt es nicht darauf an, ob die Voraussetzungen einer Kündigung vorgelegen hätten. aa) Die Beklagte hat ein berechtigtes Interesse daran, den Kläger nicht mehr auf dem Wertstoffhof in W. einzusetzen. Sie hat ausreichende Tatsachen dafür vorgetragen, die den Verdacht begründen, dass der Kläger seine arbeitsvertraglichen Pflichten an diesem Arbeitsort verletzt hat. Auf die strafrechtliche Bewertung seines Verhaltens kommt es nicht an. Es ist auch unerheblich, ob die gegen den Kläger erhobenen Vorwürfe geeignet wären, einen Grund für eine außerordentliche oder ordentliche Kündigung abzugeben, denn die Beklagte hat als milderes Mittel lediglich eine räumliche Versetzung des Klägers angeordnet. (1) (…) Die Verwertung des Vorbringens der Beklagten, insbesondere auch der drei Observationsberichte der beauftragten Detektei vom 14.05., 09.07. und 30.07.2016, ist mit dem Recht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung vereinbar. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 08/2019 Nebengebiete 417 Anders als die Berufung meint, ist es unmaßgeblich, dass die Beklagte die tatsächlichen Anhaltspunkte, die aus ihrer Sicht den Verdacht einer schweren Pflichtverletzung bzw. eines strafbaren Verhaltens des Klägers begründeten, nicht iSv. § 32 I 2 BDSG aF vor Beauftragung der Detektei „dokumentiert“ hat. Ein solches Versäumnis führt weder zu einer Präklusion mit Vortrag zu den Verdachtsmomenten im Prozess noch begründet es für sich genommen die Unverwertbarkeit der aus der Maßnahme gewonnenen Erkenntnisse. Die Vorgabe, die Tatsachen zu dokumentieren, auf die sich ein Anfangsverdacht gründet, verfolgt den Zweck, dem hiervon erfassten Personenkreis die nachträgliche Rechtmäßigkeitskontrolle zu erleichtern. Aus ihr kann ein prozessuales Verwertungsverbot jedenfalls dann nicht abgeleitet werden, wenn der Arbeitgeber den Verdacht von Straftaten spätestens im Rechtsstreit durch konkrete Tatsachen untermauert und dadurch eine Rechtmäßigkeitskontrolle gesichert ist (vgl. BAG 27.07.2017 - 2 AZR 681/16 - Rn. 37; 20.10.2016 - 2 AZR 395/15 - Rn. 33). (…) (2) Es besteht, entgegen der Ansicht der Berufung, weder ein Sachvortrags- oder Beweisverwertungsverbot wegen einer Verletzung des gem. Art. 2 I iVm. Art. 1 IGG geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers (vgl. auch Art. 8 I EMRK). Auch dies hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt. Im arbeitsgerichtlichen Verfahren kann sich ein Sachvortrags- oder Beweisverwertungsverbot aus der Notwendigkeit einer verfassungskonformen Auslegung des Prozessrechts - etwa der § 138 III, § 286, § 331 I1 ZPO - ergeben. Wegen der nach Art. 1 III GG gegebenen Bindung an die insoweit maßgeblichen Grundrechte und der Verpflichtung zu einer rechtsstaatlichen Verfahrensgestaltung hat das Gericht zu prüfen, ob die Verwertung von heimlich beschafften persönlichen Daten und Erkenntnissen, die sich aus diesen Daten ergeben, mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen vereinbar ist (…). Jura Intensiv bb) Hinter dem Interesse der Beklagten an der Versetzung des Klägers nach M. muss das Interesse des Klägers an der Beibehaltung seines bisherigen Arbeitsplatzes auf dem Wertstoffhof in W. zurückzutreten. Auch dies hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt. Kein Beweisverwertungsverbot wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Interessenabwägung Die Beklagte hat keine Kündigung erklärt, sondern den Kläger aufgrund der Verdachtsmomente lediglich versetzt. Damit hat sie auf das nicht beanstandungsfreie Verhalten des Klägers während seiner Tätigkeit auf dem Wertstoffhof mit einem milden Mittel reagiert. Der Kläger muss bei dem Wechsel des Arbeitsorts seinen Wohnort nicht ändern, der einfache Weg zur Arbeit beträgt rund 40 Minuten. Zwar ist das berechtigte Interesse des Klägers an kurzen Pendelzeiten und geringem finanziellen Aufwand im Rahmen der individuellen Abwägung aller betroffenen Interessen ein wesentliches Kriterium. Der zeitliche Mehraufwand für die Fahrstrecke nach M. ist dem Kläger jedoch zumutbar. Der einfache Arbeitsweg nach M. beläuft sich auf 56,4 Kilometer, die Strecke ist ca. 36 Kilometer länger als zuvor. Die auftretenden Unbequemlichkeiten und zusätzlich entstehenden Kosten muss der Kläger hinnehmen. Sie gehen im Grundsatz nicht über das hinaus, was Arbeitnehmern regelmäßig zugemutet wird, nämlich die Belastungen des Wegs zur und von der Arbeit zu tragen (...). © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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