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RA Digital - 08/2019

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446 Referendarteil:

446 Referendarteil: Strafrecht RA 08/2019 LÖSUNG Von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrenshindernisse sind in strafprozessualen Assessorklausuren stets zu beachten, unabhängig davon, ob eine Abschlussverfügung der Staatsanwaltschaft, ein Urteilsentwurf oder ein Gutachten zu den Erfolgsaussichten einer Revision zu fertigen ist. Hohe Klausurrelevanz haben dabei vor allem • Vorliegen eines Strafantrages, • Verfolgungsverjährung, • Strafklageverbrauch, • sachliche Zuständigkeit des Gerichts, • wirksame Anklage, • wirksamer Eröffnungsbeschluss. Da eine Nachtragsanklage nicht erhoben ist, muss das Verfahren wegen eines von Amts wegen zu beachtenden Verfahrenshindernisses, nämlich einer fehlenden Anklage eingestellt werden. A. Prozessvoraussetzungen und Verfahrenshindernisse Es könnte an der Identität zwischen der abgeurteilten Tat und dem von der Anklageschrift erfassten Lebenssachverhalt fehlen und damit das Verfahrenshindernis einer fehlenden Anklage bestehen. „[5] Gegenstand der Urteilsfindung ist gemäß § 264 I StPO die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung darstellt. Tat im Sinne dieser Vorschrift ist ein einheitlicher geschichtlicher Vorgang, der sich von anderen ähnlichen oder gleichartigen unterscheidet und innerhalb dessen der Angeklagte einen Straftatbestand verwirklicht haben soll. Die Tat als Prozessgegenstand ist dabei nicht nur der in der Anklage umschriebene und dem Angeklagten darin zur Last gelegte Geschehensablauf; vielmehr gehört dazu das gesamte Verhalten des Angeklagten, soweit es mit dem durch die Anklage bezeichneten geschichtlichen Vorgang nach der Auffassung des Lebens ein einheitliches Vorkommnis bildet. Verändert sich im Verlaufe des Verfahrens das Bild des Geschehens, wie es in der Anklageschrift und dem Eröffnungsbeschluss umschrieben ist, so ist die Prüfung der Frage, ob die Identität der prozessualen Tat trotz Veränderung des Tatbildes noch gewahrt ist, nach dem Kriterium der „Nämlichkeit“ der Tat zu beurteilen. Dies ist - ungeachtet gewisser Unterschiede - dann der Fall, wenn bestimmte Merkmale die Tat weiterhin als ein einmaliges und unverwechselbares Geschehen kennzeichnen. Die prozessuale Tat wird in der Regel durch Tatort, Tatzeit und das Tatbild umgrenzt und insbesondere durch das Täterverhalten sowie die ihm innewohnende Angriffsrichtung sowie durch das Tatopfer bestimmt. [6] Gemessen hieran ist der abgeurteilte Betrug zum Nachteil des Tatopfers Y nicht Gegenstand der zugelassenen Anklage. Insoweit handelt es sich nicht um die nämliche Tat im Sinne des § 264 StPO. Beide Lebensvorgänge unterscheiden sich nicht nur im Hinblick auf Tatzeit und Tatort, sondern insbesondere in Bezug auf das Tatbild, das Tatopfer sowie die Angriffsrichtung. Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass der abgeurteilte Betrug auf einen aus dem Raub stammenden Beutegegenstand bezogen ist. Anders als in der Fallkonstellation einer sich an den Raub anschließenden Hehlerei, in denen der Tatbestand der Hehlerei als ein mit dem vorangegangenen Raub einheitliches geschichtliches Vorkommnis bildender Vorgang angesehen worden ist, wenn und soweit sich der Angeklagte „als Glied in der sich an diese Tat anschließenden ‚Verwertungskette‘ für das Raubgut hehlerisch betätigte“, fehlt es in der vorliegenden Fallkonstellation schon aufgrund der unterschiedlichen Angriffsrichtung an einem in diesem Sinne engen Zusammenhang mit der Vortat. Jura Intensiv [7] Anderes folgt auch nicht aus dem Umstand, dass die Staatsanwaltschaft die Tatsache der Veräußerung der Uhr durch den Angeklagten in den Anklagesatz aufgenommen und im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen erwähnt hat. Die in der Anklageschrift enthaltenen Hinweise erfolgten ersichtlich nicht zum Zwecke einer Ausdehnung des Anklagevorwurfs auf dieses Geschehen, sondern sind im Sinne eines Beweisanzeichens zur Stützung des Verdachts einer Beteiligung des Angeklagten an der Tat in die Anklageschrift aufgenommen worden. Anhaltspunkte dafür, dass die Veräußerung eines Teils der Tatbeute deliktisch erfolgt Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 08/2019 Referendarteil: Strafrecht 447 sein und der Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft sich auch auf dieses Geschehen erstrecken könnte, sind weder dem konkreten Anklagesatz noch dem wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen, das zur Ergänzung und Auslegung des Anklagesatzes herangezogen werden kann, zu entnehmen“. Es besteht ein von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis. B. Verfahrensrüge Etwaige rügefähige Verfahrensfehler liegen nicht vor. C. Sachrüge Eine Verletzung materiellen Rechts ist nicht ersichtlich. D. Ergebnis Das LG durfte den A nicht wegen Betruges verurteilen. Es besteht ein von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis. Das Urteil ist aufzuheben und das Verfahren einzustellen, da es an der Verfahrensvoraussetzung einer wirksamen Anklageschrift (und deshalb auch an einem wirksamen Eröffnungsbeschluss) fehlt. Die Revision der A ist begründet und hat Erfolg. FAZIT 1. Die Tat als Prozessgegenstand ist nicht nur der in der Anklage umschriebene und dem Angeklagten darin zur Last gelegte Geschehensablauf; vielmehr gehört dazu das gesamte Verhalten des Angeklagten, soweit es mit dem durch die Anklage bezeichneten geschichtlichen Vorgang nach der Auffassung des Lebens ein einheitliches Vorkommnis bildet. Verändert sich im Verlaufe des Verfahrens das Bild des Geschehens, wie es in der Anklageschrift und dem Eröffnungsbeschluss umschrieben ist, so ist die Prüfung der Frage, ob die Identität der prozessualen Tat trotz Veränderung des Tatbildes noch gewahrt ist, nach dem Kriterium der „Nämlichkeit“ der Tat zu beurteilen. Dies ist - ungeachtet gewisser Unterschiede - dann der Fall, wenn bestimmte Merkmale die Tat weiterhin als ein einmaliges und unverwechselbares Geschehen kennzeichnen. Jura Intensiv 2. Die Entscheidung des BGH illustriert die große praktische Bedeutung des prozessualen Tatbegriffs. Dieser ist für das Strafprozessrecht und für strafprozessuale Assessorklausuren an verschiedenen Stellen von entscheidender Bedeutung. Vgl. dazu die Zusammenfassung in RA Heft 3/2019 © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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