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RA Digital - 08/2021

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398 Zivilrecht

398 Zivilrecht RA 08/2021 Schutzpflicht des Mieters Das venire contra factum proprium verbietet den Selbstwiderspruch. Wer durch sein Verhalten einen Vertrauenstatbestand gesetzt hat, auf den der andere schutzwürdig vertrauen durfte, darf sich nicht in Widerspruch zum Vorverhalten setzen. Wer an einem Wettkampfspiel teilnimmt, setzt den Vertrauenstatbestand, den Mitspieler nicht auf Schadensersatz zu verklagen, wenn dieser einem innerhalb des Regelwerks unter Einhaltung der Fairness verletzt hat. Hier könnte ein Selbstwiderspruch der K darin zu sehen sein, dass sie Sportstätten für rasante Wettkampfspiele vermietet und die Spieler bei Beschädigung des Inventars verklagt, wenn diese sich innerhalb des Regelwerks bewegt haben. Das OLG Celle bezieht sich hier auf das Urteil des BGH vom 27.10.2009, VI ZR 296/08. Das OLG Celle überträgt die Grundsätze des Selbstwiderspruchs bei Sportverletzungen auf Verletzungen des Eigentums am Inventar der Sportanlage. Gebot der Rücksichtnahme erwächst die Schutzpflicht des Mieters, das Eigentumsrecht des Vermieters nicht zu verletzen, indem Inventar beschädigt wird. Dies ist durch den Körpereinsatz des B geschehen, als die Glasscheibe des K zu Bruch ging. III. Vertretenmüssen des B Fraglich ist, ob B diese Pflichtverletzung zu vertreten hat. Schuldhaftes Handeln erfordert zumindest Fahrlässigkeit. Fahrlässig handelt gem. § 276 BGB, wer die im Verkehr objektiv gebotene Sorgfalt außer Acht lässt. Bei Wettkampfspielen ist bei Verletzung des Gegners gem. § 242 BGB das Verbot des venire contra factum proprium zu beachten. Im Falle einer Körperverletzung liegt ein Verstoß gegen das Gebot des Selbstwiderspruchs vor, wenn sich der verletzte Anspruchsteller in Widerspruch zu einem von ihm selbst geschaffenen Vertrauenstatbestand setzt, auf den der Anspruchsgegner vertrauen durfte. Bei Körperverletzungen gilt, dass eine Haftung mangels Verschulden ausscheidet, wenn es sich um eine Verletzung handelt, die ein Wettkampfspieler beim Austragen eines Wettkampfes durch einen anderen Spieler erleidet, sofern dessen Spielweise im Rahmen der Regeln lag, nach denen die Wettkämpfer das Spiel angetreten haben. 1. Übertragbarkeit der Regeln zum Selbstwiderspruch auf Verletzung des Eigentums an der Sportstätte Im vorliegenden Fall ist erstens zu klären, ob diese für die Verletzung eines Gegners oder Mitspielers geltenden Regeln auf die Beschädigung des Inventars der Wettkampfstätte übertragbar sind. [20] Für die Fallkonstellation der Verletzung eines Sportlers durch einen anderen Sportler im Rahmen eines sportlichen Wettkampfs hat der Bundesgerichtshof ausgeführt, dass die Haftung eines Sportlers aus § 823 Abs. 1 BGB den Nachweis voraussetzt, dass dieser schuldhaft gegen die Regeln des sportlichen Wettkampfs verstoßen und dabei einen anderen verletzt hat. Dagegen scheide eine Haftung aus, wenn es sich um Verletzungen handele, die sich ein Sportler bei einem regelgerechten und dem – bei jeder Sportausübung zu beachtenden – Fairnessgebot entsprechenden Einsatz seines Gegners zuzieht. In einem solchen Fall habe sich der Schädiger jedenfalls nicht sorgfaltswidrig verhalten. Die Sorgfaltsanforderungen an den Teilnehmer eines Wettkampfs würden sich nach den besonderen Gegebenheiten des Sports bestimmen, bei dem sich der Unfall ereignet hat. Sie seien an der tatsächlichen Situation und den berechtigten Sicherheitserwartungen der Teilnehmer des Wettkampfes auszurichten und würden durch das beim jeweiligen Wettkampf geltende Regelwerk konkretisiert. Die Beweislast für eine Sorgfaltspflichtverletzung des Schädigers trage dabei nach allgemeinen Grundsätzen der Verletzte (…). [21] Der Senat meint, dass diese Rechtsgrundsätze jedenfalls im Ergebnis auch auf die vorliegende Fallkonstellation übertragen werden können (wobei im Rahmen des vertraglichen Schadensersatzanspruches nach § 280 Abs. 1 BGB im Hinblick auf die Vorschrift des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB der Beklagte sein fehlendes Verschulden zu beweisen hat), bei der im Rahmen eines sportlichen Wettkampfes ein Sportler nicht einen anderen – am Wettkampf teilnehmenden (…) – Sportler verletzt, sondern vielmehr das Equipment, das ein Dritter zur Verfügung gestellt hat, damit die Sportler – vorliegend gegen Entgelt – überhaupt erst in die Lage Jura Intensiv Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 08/2021 Zivilrecht 399 versetzt werden, den Wettkampf durchzuführen. Denn die Interessenlage ist bei beiden Fallkonstellationen dieselbe: Der Sportler ist berechtigt, im Rahmen des Wettkampfes die Verhaltensweisen zu tätigen, die dem jeweiligen Sport immanent sind und die den in dieser Sportart anerkannten Regeln und Übung entsprechen. Verletzt ein Sportler bei Einhaltung dieses Rahmens entweder einen anderen an dem Wettkampf teilnehmenden Sportler oder aber die Räumlichkeit bzw. das Equipment, das ein Dritter zum Zwecke der Durchführung des sportlichen Wettkampfes zur Verfügung stellt, fehlt es in dem einen wie dem anderen Fall am Verschulden des Verletzers an der Rechtsgutsverletzung. Folglich sind die Regeln des Selbstwiderspruchs, die bei einer wettkampfbedingten Verletzung der Sportler untereinander gelten, auch anzuwenden, wenn ein Sportler im Wettkampf die Spielstätte beschädigt. 2. Verschulden des B Zweitens ist zu klären, ob sich B innerhalb der Wettkampfregeln bewegt hat oder ob er die Eigentumsverletzung schuldhaft zu vertreten hat. [25] Für Art und Ausmaß der „bestimmungsgemäßen Ausübung des Tennissports“ im Sinne der vorgenannten Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 27. Oktober 2009 stehen dem Senat folgende Erkenntnisquellen zur Verfügung: [26] Zunächst die „Tennisregeln der International Tennis Federation (ITF)“, in denen unter „Regel 8: Aufschläger und Rückschläger“ auszugsweise Folgendes geregelt ist (…): „Fall 1: Darf der Rückschläger außerhalb der Linien des Spielfeldes stehen? Entscheidung: Ja. Der Rückschläger darf jede Position innerhalb oder außerhalb der Linien auf seiner Seite des Netzes einnehmen“. [27] Entgegen der Argumentation der Klägerin (…) besagt dies – aus Sicht des Senats selbstverständlich, vgl. dazu auch noch die nachfolgenden Ausführungen – nicht lediglich etwas zu der „stehenden Position des retournierenden Spielers beim Aufschlag“, vielmehr bezieht sich dies auf jede Situation im Rahmen des laufenden Spiels; jeder Spieler ist mithin – selbstverständlich, s. sogleich – berechtigt, sich im Rahmen des Spiels auch außerhalb der Spielfeld-Linien zu bewegen. [28] Zudem haben mehrere Mitglieder des erkennenden Senats unmittelbare eigene Erfahrungen mit dem – mit dem Tennissport vergleichbaren – Tischtennissport, mittelbar ist zumindest einem Mitglied des erkennenden Senats auch der Ablauf eines Tennisspiels bekannt. Diese Erkenntnisse beruhen auf Folgendem (…): [29] Zwei der erkennenden Mitglieder des Senats spielen aktiv Tischtennis, ein Mitglied seit inzwischen 40 Jahren, insoweit durchgehend auf Wettbewerbsniveau, davon mehrere Jahre in der (zum damaligen Zeitpunkt) dritthöchsten deutschen Spielklasse. Nach dieser Maßgabe ist dem Senat bekannt, dass Spieler beim Tischtennis beim Versuch, einen geschlagenen Ball des Gegners noch zu erreichen und zu retournieren, sich nicht selten mehrere Meter von der Tischtennisplatte entfernen und dabei nicht selten auch in den Bereich oder sogar in Kontakt mit den – teilweise 4 bis 5 m von der Platte aufgebauten – Banden geraten, die die nebeneinander liegenden Courts voneinander abtrennen. Bekannt ist dem Senat nach dieser Maßgabe ferner, dass die Aufmerksamkeit des retournierenden Tischtennis-Spielers in diesen Situationen allein dem Jura Intensiv Der Tennisspieler darf außerhalb der Linien retournieren – das weiß jedes Kind, muss im Urteil aber auf das Regelwerk des ITF gestützt werden. Davon abgesehen, dass dieser Teil der Urteilsbegründung Zeugnis legt, wieviel Spaß der Senat bei der Formulierung hatte, steckt hinter den Ausführungen ein Rechtsproblem, das nicht nur, aber vor allem für das Referendariat relevant ist. Analog § 244 IV StPO muss ein Zivilgericht, wenn es einen Antrag auf Sachverständigengutachten wegen eigener Sachkunde abgelehnt hat, darlegen, worauf sich die eigene Sachkunde stützt. Hier liegt der Fall ähnlich. Das Gericht erläutert die Quelle eigener Sachkunde, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, warum es nicht von Amts wegen ein Sachverständigengutachten eingeholt hat. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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