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RA Digital - 09/2017

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470 Referendarteil:

470 Referendarteil: Zivilrecht RA 09/2017 Verfahrensschuldner es von dem Dritten zurückmiete. Das Berufungsgericht habe nicht festgestellt, dass die Beklagten zu 2 und 3 als Eigentümer und Verfahrensschuldner zur Zeit der Beschlagnahme unmittelbaren Eigenbesitz an dem zwangsverwalteten Grundstück gehabt hätten. Darum geht es in diesem Rechtsstreit wirklich! Einem Teil des Antrags des Klägers ist bereits rechtskräftig stattgegeben worden. BGH, Urteil vom 21.04.2016, XI ZR 72/14 Nach § 152 II ZVG sind Mietverträge ggü. dem Zwangsverwalter wirksam. Nach § 152 I ZVG hat er alles zu tun, um das Grundstück ordnungsgemäß zu nutzen. Damit ist er auch zur Kündigung nachteiliger Mietverträge berechtigt. Obersatz, wenn eine Tatsache aufgrund der Beweiserhebung durch das Gericht feststeht Die Beklagten zu 2) und 3) waren nicht Eigenbesitzer des Hauses. § 149 I ZVG gewährt dem Schuldner, der auf dem beschlagnahmten Grundstück selbst wohnt, ein Recht auf Belassung der unentbehrlichen Räume. Der Fremdbesitz ergibt sich daraus, dass die Beklagten sich ggü. dem Kläger auf den Mietvertrag berufen haben. Der Kläger behauptet, die Beklagte zu 1) sei alleinige Mieterin und Nutzerin des zwangsverwalteten Grundstücks gewesen. Die Beklagten zu 2) und 3) hätten mit der Beklagten zu 1) vor der Beschlagnahme einen Mietvertrag über das Anwesen zur Verhinderung der Zwangsvollstreckung geschlossen. Dieser Mietvertrag sei zu diesem Zweck auch vollzogen worden, denn die Mietvertragsparteien seien sich einig gewesen, dass der Beklagte zu 2) als Geschäftsführer der Beklagten zu 1) den Besitz an den Wohnräumen fortan für diese habe ausüben sollen. Der Kläger beantragt nunmehr noch, die Beklagten zu 2 bis 4 zu verurteilen, das Grundstück in L, … straße … zu räumen und an den Kläger herauszugeben. Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen. Sie behaupten nach dem Berufungsurteil, immer in dem zwangsversteigerten Anwesen ihren Hauptwohnsitz gehabt und diesen nie aufgegeben zu haben. Das Objekt sei nie der Beklagten zu 1 übergeben worden. ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE Die Klage ist zulässig und begründet. Der Kläger kann als Zwangsverwalter von den Beklagten zu 2) und 3) aus § 150 II ZVG und von dem Beklagten zu 4) aus § 152 I ZVG, § 985 BGB die Überlassung des Besitzes an dem zwangsverwalteten Grundstück verlangen. Der Kläger war als Zwangsverwalter nach §§ 150 II ZVG aufgrund der wirksamen (da unangefochtenen) Beschlagnahme des Grundstücks dazu berechtigt, sich den unmittelbaren Besitz an dem Grundstück zu verschaffen, also etwaige Mietverhältnisse zu kündigen (§ 152 II, I ZVG). Aufgrund der wirksamen Kündigung des Mietverhältnisses waren die Beklagten mithin zur Räumung des Grundstücks verpflichtet. Jura Intensiv Die Beklagten können sich dabei gegenüber dem Kläger nicht auf § 149 I ZVG berufen, denn die Beweisaufnahme hat zur vollen Überzeugung des Gerichts i.S.v. § 286 I ZPO ergeben, dass die Beklagten zu 2) und 3) zum Zeitpunkt der Beschlagnahme des Grundstücks - trotz der tatsächlichen Sachherrschaft - nicht aufgrund ihres Eigentums unmittelbare Eigenbesitzer waren, weil der Beklagte zu 2) als Geschäftsführer der Beklagten zu 1) dieser lediglich als Organ der Gesellschaft den Besitz an dem gemieteten Haus vermittelt hat. Mithin waren sie aufgrund ihrer Eigentümerstellung und des Mietvertrages nur mittelbare Eigenbesitzer des zwangsverwalteten Grundstücks. Diese Überzeugung ergibt sich einmal aus dem unstreitig abgeschlossenen Mietvertrag der Beklagten zu 2) und 3) mit der Beklagten zu 1) und dem unstreitigen Verhalten der Beklagten gegenüber dem Kläger im Zwangsverwaltungsverfahren. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 09/2017 Referendarteil: Zivilrecht 471 Diese haben dem Kläger bei der Beschlagnahme zur Kenntnis gebracht, dass das Grundstück an die Beklagte zu 1) vermietet sei, welche die vereinbarte monatliche Miete zahle und darüber hinaus die laufenden Kosten der Instandhaltung und der Betriebskosten trage. Weiter hat der Beklagte zu 2) bei der Inbesitznahme, vom Kläger auf § 149 ZVG hingewiesen, ausgeführt, der Ausschluss des Kündigungsrechts im Mietvertrag mit der Beklagten zu 1) biete ihnen einen ausreichenden Schutz. Im Zwangsverwaltungsverfahren hat die Beklagte zu 1) ihre Rechte gegenüber dem Kläger aus dem Mietvertrag abgeleitet und ist als alleinige Nutzerin und Besitzerin des Grundstücks aufgetreten. Sie hat die Mieten gezahlt und die Betriebs- und Instandhaltungskosten getragen, wie im Mietvertrag vereinbart, oder hat sich dessen gegenüber dem Kläger zumindest berühmt. Noch im Berufungsverfahren haben die Beklagten ihre Rechte gegenüber dem Kläger aus den Vereinbarungen mit der Beklagten zu 1) abgeleitet. Denn sie haben sich auf den zwischen der Beklagten zu 1) auf der einen und den Beklagten zu 2) und 3) auf der anderen Seite geschlossenen Mietvertrag berufen, auf eine Untervermietung verwiesen und ausgeführt, es bestehe zwischen der Beklagten zu 1) und den Beklagten zu 2) bis 4) eine Wohnraumüberlassung. Damit haben sie den Vollzug des Mietvertrages vom 20.12.2006 und die Besitzübertragung auf die Beklagte zu 1) eingeräumt. Dieser Vortrag war, entgegen der Annahme der Beklagten, nicht unbestritten. Der Kläger hat sich durchweg darauf berufen, dass die Beklagte zu 1) alleinige Mieterin und Nutzerin des zwangsverwalteten Grundstücks gewesen ist. Darin liegt die Behauptung, diese habe das Anwesen entweder als unmittelbare oder als mittelbare (Untermietvertrag mit den Beklagten zu 2) und 3) Fremdbesitzerin besessen. Insofern können im Verlauf des Verfahrens entstehende Widersprüchlichkeiten im Parteivortrag im Rahmen der Beweiswürdigung Beachtung finden. Denn Erkenntnisquellen der Beweiswürdigung sind auch der Sachvortrag und das Prozessverhalten der Parteien. Verwertbar ist deshalb der Inhalt der Schriftsätze und ihrer Anlagen, aber auch Art, Zusammenhang und Zeitpunkt des Vorbringens, eine Änderung des Sachvortrags oder gar mehrfach wechselnder Vortrag. Jura Intensiv Allerdings ist eine Partei nicht daran gehindert, ihr Vorbringen im Laufe des Rechtsstreits zu ändern, insbesondere zu präzisieren, zu ergänzen oder zu berichtigen. Deswegen darf bei der Beurteilung der Schlüssigkeit eines Vorbringens Tatsachenvortrag nicht allein deswegen unberücksichtigt gelassen werden, weil er sich zu früherem Vorbringen in Widerspruch setzt. Eine Partei darf im zweiten Rechtszug anders vortragen als in der ersten Instanz, denn sie ist in der Berufungsinstanz, außer bei einem gerichtlichen Geständnis nach § 288 ZPO, nicht an ihr erstinstanzliches Vorbringen gebunden. Auch können für einen Klageantrag, sofern nicht eine bewusste Verletzung der Wahrheitspflicht (§ 138 I ZPO) gegeben ist, in tatsächlicher Hinsicht widersprechende Begründungen gegeben werden, wenn das Verhältnis dieser Begründungen zueinander klargestellt ist, sie also nicht als ein einheitliches Vorbringen geltend gemacht werden. Der auf einem erheblichen, wenn auch widersprüchlichen Vortrag beruhende Beweis ist zu erheben. Auch die Würdigung des Prozessverhaltens der Parteien ist Gegenstand der richterlichen Wahrheitsfindung. In der Praxis ist eine solche Würdigung recht häufig und oft auch sehr hilfreich. Vor allem in der informatorischen Anhörung verstricken sich Parteien häufig in Widersprüche. Hier bestand die Beweiswürdigung auch darin, darzulegen, ob etwas überhaupt bestritten war oder nicht. BGH, Urteil vom 10.11.2016, I ZR 235/15 Zusammengefasst: Das gesamte Prozessverhalten einer Partei ist Gegenstand der Würdigung. BGH, Urteil vom 16.04.2015, IX ZR 195/14 und vom 10.11.2016, I ZR 235/14 Vortrag darf durchaus geändert werden, sofern keine Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht vorliegt. Beweisanträge dürfen aber bei der Würdigung des Parteivorbringens allein nicht zulasten der Partei übergangen werden, auch wenn diese sich auf widersprüchlichen Vortrag beziehen, BGH, Urteile vom 06.02.2013, I ZR 22/12 und vom 22.03.2016, VI ZR 163/14 © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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