484 Öffentliches Recht RA 09/2017 LEITSÄTZE (DER REDAKTION) 1. Bei der Erklärung eines Bürgermeisters handelt es sich um eine hoheitliche Äußerung, wenn der Bürgermeister in amtlicher Eigenschaft öffentlich gegen eine Partei Stellung bezieht und auf diese Weise seine Amtsautorität für diese Äußerung in Anspruch nimmt. 2. Ein amtlicher Bezug ist gegeben, wenn die Facebook- Seite, auf der die Äußerung veröffentlicht wurde, als offizieller Account des Bürgermeisters der Gemeinde ausgewiesen und zudem mit der Internetseite der Gemeinde verlinkt ist. Jüngst erst Hessen, 2. Examen, Termin Juli 2017, 1. Klausur; vorher z.B. NRW und Rh.-Pfalz, 1. Examen, Termin August 2015, 2. Klausur; Niedersachsen, 1. Examen, Termin April 2015, 1. Klausur; Rh.-Pfalz, 1. Examen, Termin August 2016, 2. Klausur Problem: Äußerungen eines Oberbürgermeisters über die AfD Einordnung: Kommunalrecht/Staatshaftungsrecht VGH Kassel, Beschluss vom 11.07.2017 8 B 1144/17 EINLEITUNG In der nachfolgend dargestellten Entscheidung des VGH Kassel geht es – mal wieder – um die rechtliche Zulässigkeit der Äußerung eines Oberbürgermeisters. Die RA hatte darüber bereits vor nicht allzu langer Zeit berichtet (RA 1/2017, S. 37). Der Grund für die gehäufte Berichterstattung ist, dass diese Thematik und die ähnlich gelagerten Fälle der Äußerungen von Fachbehörden, Regierungsmitgliedern oder des Bundespräsidenten immer wieder Gegenstand von Examensklausuren sind. Daher sollten sie in jedem Fall einen Schwerpunkt in der Examensvorbereitung darstellen. SACHVERHALT (LEICHT GEKÜRZT) Der Wirtschaftsclub Rhein-Main lud die Bundesvorsitzende der Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) zu einer Veranstaltung ein, die am 23.03.2017 in Frankfurt a.M. stattfinden sollte. Hierzu äußerte sich der Oberbürgermeister der Stadt in einem auf seinem offiziellen Facebook- Account veröffentlichten Beitrag wie folgt: „AfD? AUSLADEN! Der Präsident des Wirtschaftsclubs Rhein-Main lädt eine AfD- Vorsitzende nach Frankfurt ein? Die Mitglieder sollten sich schleunigst überlegen, wie sie damit umgehen. Die ganze Aktion gibt völlig unnötig den Rechtspopulisten eine Plattform und wirft einen Schatten auf die anständigen Frankfurter Unternehmer und unsere liberale Stadt. Gott sei Dank gibt es bei uns auch großartige Initiativen, die für eine sachliche, demokratische Politik eintreten. Die konstruktiven Kräfte im Wirtschaftsclub täten gut daran, jetzt ein klares Zeichen zu setzen!“ Jura Intensiv Der Wirtschaftsclub Rhein-Main sagte die Veranstaltung daraufhin ab. Die AfD verlangt, diesen Text zu löschen. Zu Recht? LÖSUNG Der AfD steht der behauptete Anspruch auf Löschung zu, wenn dafür eine Anspruchsgrundlage existiert, deren Voraussetzungen vorliegen. Die Herleitung des FBA ist zwar strittig, seine Existenz und seine Voraussetzungen sind jedoch allg. anerkannt (zusammenfassend: Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 360ff.). Voraussetzungen des FBA I. Anspruchsgrundlage Als Anspruchsgrundlage kommt der gewohnheitsrechtlich anerkannte öffentlich-rechtliche Folgenbeseitigungsanspruch (FBA) in Betracht. II. Anspruchsvoraussetzungen Der FBA setzt einen hoheitlichen Eingriff in ein subjektiv-öffentliches Recht voraus, durch den ein rechtswidriger Zustand eintritt, der noch andauert. Ferner dürfen keine Ausschlussgründe vorliegen. 1. Hoheitlicher Eingriff in ein subjektiv-öffentliches Recht Es muss ein hoheitlicher Eingriff in ein subjektiv-öffentliches Recht der AfD vorliegen. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG
RA 09/2017 Öffentliches Recht 485 „Als subjektive Rechte der Antragstellerin sind das Recht der Partei auf Chancengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 21 Abs. 1 GG und das ihr als Personenmehrheit zustehende allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG durch die streitgegenständliche Äußerung des Oberbürgermeisters berührt. Bei der streitgegenständlichen Erklärung handelt es sich um eine hoheitliche Äußerung, weil der Oberbürgermeister damit in amtlicher Eigenschaft - als Repräsentant der Antragsgegnerin - öffentlich gegen die Antragstellerin Stellung bezogen und auf diese Weise die Amtsautorität des Oberbürgermeisters für diese Äußerung in Anspruch genommen hat. […] Hier ergibt sich der amtliche Bezug bereits aus dem äußeren Erscheinungsbild der Erklärung. Denn die Facebook-Seite, auf der die Äußerung veröffentlicht wurde, wird als offizieller Account des Oberbürgermeisters der Antragsgegnerin ausgewiesen und ist zudem mit der Internetseite der Antragsgegnerin verlinkt. Darüber hinaus nimmt die Äußerung auch inhaltlich die Amtsautorität des Oberbürgermeisters für sich in Anspruch. Durch die Verwendung der Worte „unsere liberale Stadt“ und „Gott sei Dank gibt es bei uns auch großartige Initiativen“, wird verdeutlicht, dass hier eine Stellungnahme des Oberbürgermeisters für die Stadt insgesamt abgegeben werden soll.“ Da die Äußerung des Oberbürgermeisters keine Regelungswirkung hat, liegt zwar kein klassischer Eingriff in die Rechte der AfD vor. Angesichts der gezielten Parteinahme gegen die AfD ist jedoch von einem mittelbaren Eingriff auszugehen. Somit liegt ein hoheitlicher Eingriff in subjektiv-öffentliche Rechte der AfD vor. 2. Rechtswidriger, noch andauernder Zustand Durch den Eingriff muss ein rechtswidriger Zustand eingetreten sein, der nach wie vor andauert. Jura Intensiv „Grundsätzlich ist staatlichen Stellen Öffentlichkeitsarbeit nicht verwehrt. […] Zulässige Öffentlichkeitsarbeit findet jedoch zunächst dort ihre Grenze, wo die Wahlwerbung beginnt. Die Rücksicht auf […] die Chancengleichheit der Parteien […] verbietet es Amtsträgern, sich in amtlicher Funktion im Hinblick auf Wahlen mit politischen Parteien […] zu identifizieren und sie unter Einsatz staatlicher Mittel zu unterstützen oder zu bekämpfen. Davon ausgehend wird das Recht politischer Parteien, gleichberechtigt am Prozess der Meinungs- und Willensbildung des Volkes teilzunehmen, jedenfalls verletzt, wenn Amtsträger parteiergreifend zugunsten oder zulasten einer politischen Partei […] in den Wahlkampf eingreifen. Das gilt indes nicht nur im Wahlkampf selbst, sondern darüber hinaus auch für den politischen Meinungskampf und Wettbewerb im Allgemeinen. […] Nimmt ein Amtsträger für sein Handeln die Autorität des Amtes oder die damit verbundenen Ressourcen in spezifischer Weise in Anspruch, ist er dem Neutralitätsgebot unterworfen. Bei amtlichen Äußerungen unterliegt daher auch ein (Ober-) Bürgermeister gegenüber politischen Parteien i.S.d. Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG einem strikten Neutralitätsgebot, ohne dass es darauf ankommt, ob die streitgegenständliche Erklärung geeignet ist, unmittelbar bevorstehende Wahlen zu beeinflussen. Subj.-öff. Rechte der AfD Es ist strittig, ob einer jur. Person i.S.v. Art. 19 III GG überhaupt das allg. Persönlichkeitsrecht zustehen kann. Zumindest sollte dann Art. 1 I GG nicht zitiert werden, da diese Norm nur auf natürliche Personen anwendbar ist (zum Ganzen: Schildheuer, JURA INTENSIV Skript Grundrechte, Rn 226). In einer Klausur ist hier also genauer zu arbeiten, als es der VGH getan hat. 1. Schwerpunkt der Entscheidung: Begründung, warum hoheitliches Handeln vorliegt. Beachte: Es kommt auf den konkreten Einzelfall an, d.h. in einer Klausur müssen die Sachverhaltsangaben vollständig erfasst und detailliert bewertet werden. Mittelbarer Eingriff wegen Finalität Erst abstrakte rechtliche Überlegungen, dann (s. folgender Absatz) Subsumtion des konkreten Sachverhalts. Grundsätzliche Befugnis staatlicher Stellen zur Öffentlichkeitsarbeit Grenze: Neutralitätspflicht gegenüber Parteien Neutralitätspflicht gilt nicht nur im Wahlkampf, sondern immer. Vgl. OVG Münster, RA 2017, 37, 38 Neutralitätspflicht gilt auch für einen (Ober-) Bürgermeister © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis
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