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RA Digital - 09/2018

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478 Öffentliches Recht

478 Öffentliches Recht RA 09/2018 Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn 261 Differenzierung: Freiheitsbeschränkung •• Freiheitsentziehung Diese Differenzierung kann alternativ auch erst im Prüfungspunkt „Festlegung der Schranke“ erfolgen. Definition „Freiheitsbeschränkung“ Beispiele: Platzverweis, Nachsitzen in der Schule Definition „Freiheitsentziehung“ Entscheidend: Eingriffsintensität Fixierung grds. Freiheitsentziehung Ausnahme: Kurzfristige Maßnahme = Fixierung bis zu einer halben Stunde Hier: Freiheitsentziehung (+) Untrennbarer Zusammenhang zwischen Art. 2 II 2, 3 GG und Art. 104 GG • zusammen zitieren • qualifizierter Gesetzesvorbehalt Ob der qualifizierte Gesetzesvorbehalt beachtet wurde, kann entweder hier oder i.R.d. Prüfungspunktes „Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes“ geklärt werden. Förmliches Gesetz = Parlamentsgesetz Einschränkendes Gesetz: § 25 PsychKHG BW Inhalt des § 25 PsychKHG BW 3. Eingriff Weiterhin muss ein Eingriff in den Schutzbereich vorliegen. Ein Eingriff ist jede staatliche Maßnahme, durch die ein grundrechtlich geschütztes Verhalten ganz oder teilweise unmöglich gemacht wird. Im Zusammenhang mit Eingriffen in die Freiheit der Person ist zwischen einer Freiheitsbeschränkung und einer Freiheitsentziehung zu differenzieren. Die Freiheitsentziehung ist eine qualifizierte Form der Freiheitsbeschränkung, für die Art. 104 II-IV GG besondere Schrankenanforderungen enthält. „[67] […] Eine Freiheitsbeschränkung liegt vor, wenn jemand durch die öffentliche Gewalt gegen seinen Willen daran gehindert wird, einen Ort aufzusuchen oder sich dort aufzuhalten, der ihm an sich (tatsächlich und rechtlich) zugänglich wäre. Die Freiheitsentziehung als schwerste Form der Freiheitsbeschränkung liegt dann vor, wenn die – tatsächlich und rechtlich an sich gegebene – Bewegungsfreiheit nach jeder Richtung hin aufgehoben wird. Sie setzt eine besondere Eingriffsintensität und eine nicht nur kurzfristige Dauer der Maßnahme voraus. [68] Jedenfalls eine 5-Punkt-[…]Fixierung, bei der sämtliche Gliedmaßen des Betroffenen mit Gurten am Bett festgebunden werden, stellt eine Freiheitsentziehung im Sinne von Art. 104 Abs. 2 GG dar, es sei denn, es handelt sich um eine lediglich kurzfristige Maßnahme. Von einer kurzfristigen Maßnahme ist in der Regel auszugehen, wenn sie absehbar die Dauer von ungefähr einer halben Stunde unterschreitet. […]“ Da die Fixierung von A länger als eine halbe Stunde andauerte, liegt ein Eingriff in ihre körperliche Bewegungsfreiheit in Form einer Freiheitsentziehung vor. Folglich greift die Fixierung in den Schutzbereich des Art. 2 II 2 i.V.m. Art. 104 GG ein. II. Rechtfertigung des Eingriffs Der Eingriff in den Schutzbereich ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt, soweit er durch die Schranken des Grundrechts gedeckt ist. Jura Intensiv 1. Festlegung der Schranke Das Grundrecht aus Art. 2 II 2 GG steht unter dem einfachen Gesetzesvorbehalt des Art. 2 II 3 GG, der aber durch den qualifizierten Gesetzesvorbehalt des Art. 104 I 1 GG ergänzt wird. Schranke der Freiheit der Person ist daher ein qualifizierter Gesetzesvorbehalt aus Art. 2 II 3 i.V.m. Art. 104 I 1 GG. Da eine Freiheitsentziehung vorliegt, sind zudem die weiteren Anforderungen des Art. 104 II-IV GG zu beachten. a) Förmliches Gesetz, Art. 104 I 1 GG Art. 104 I 1 GG verlangt, dass die Freiheitsbeschränkung auf einem förmlichen Gesetz, d.h. auf einem Parlamentsgesetz beruht. Die Fixierung des A stützt sich auf § 25 des baden-württembergischen Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (PsychKHG BW), wonach besondere Sicherungsmaßnahmen wie z.B. die Fixierung auf ärztliche Anordnung zeitlich befristet zulässig sind, wenn und solange eine gegenwärtige erhebliche Gefahr für die Sicherheit in der Einrichtung besteht, insbesondere bei erheblicher Selbstgefährdung oder der Gefährdung bedeutender Rechtsgüter Dritter, und dieser Gefahr nicht mit weniger eingreifenden Mitteln begegnet werden kann. Im Falle der Fixierung muss zudem eine unmittelbare, persönliche und in der Regel ständige Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 09/2018 Öffentliches Recht 479 Begleitung erfolgen. Die besonderen Sicherungsmaßnahmen sind schließlich unverzüglich aufzuheben, wenn die Voraussetzungen für ihre Anordnung weggefallen sind, und sie sind zu dokumentieren. Somit findet die Fixierung des A ihre rechtliche Grundlage in einem förmlichen Gesetz i.S.v. Art. 104 I 1 GG. b) „Beachtung der vorgeschriebenen Formen“, Art. 104 I 1 GG Art. 104 I 1 GG verlangt weiterhin die Beachtung der in dem Parlamentsgesetz vorgeschriebenen Formen, d.h. die zuständige Stelle muss die Freiheitsbeschränkung verfahrens- und formfehlerfrei angeordnet haben. Mit dem behandelnden Arzt hat die gem. § 25 PsychKHG BW zuständige Stelle gehandelt, und zwar formell ordnungsgemäß. Folglich wurden die formellen Anforderungen des Art. 104 I 1 GG beachtet. c) Richterliche Anordnung, Art. 104 II GG Da eine Freiheitsentziehung vorliegt, bedarf es gem. Art. 104 II GG zusätzlich einer richterlichen Anordnung. Fraglich ist, ob es genügt, dass die Unterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung von einem Richter angeordnet wird oder ob die Einzelmaßnahme der Fixierung einer zusätzlichen richterlichen Anordnung bedarf. „[69] Aufgrund ihrer besonderen Eingriffsintensität ist die nicht nur kurzfristige Fixierung sämtlicher Gliedmaßen auch im Rahmen eines bereits bestehenden Freiheitsentziehungsverhältnisses als eigenständige Freiheitsentziehung zu qualifizieren, die den Richtervorbehalt des Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG abermals auslöst. […] [71] Die besondere Intensität des Eingriffs folgt […] daraus, dass ein gezielt vorgenommener Eingriff in die Bewegungsfreiheit als umso bedrohlicher erlebt wird, je mehr der Betroffene sich dem Geschehen hilflos und ohnmächtig ausgeliefert sieht. Hinzu kommt, dass der Eingriff in der Unterbringung häufig Menschen treffen wird, die aufgrund ihrer psychischen Verfassung die Nichtbeachtung ihres Willens besonders intensiv empfinden. Des Weiteren sind die Betroffenen für die Befriedigung natürlicher Bedürfnisse völlig von der rechtzeitigen Hilfe durch das Pflegepersonal abhängig. Im Verhältnis zu anderen Zwangsmaßnahmen wird die Fixierung von ihnen daher regelmäßig als besonders belastend wahrgenommen. Darüber hinaus besteht auch bei sachgemäßer Durchführung einer Fixierung die Gefahr, dass der Betroffene durch die längerdauernde Immobilisation Gesundheitsschäden wie eine Venenthrombose oder eine Lungenembolie erleidet. Jura Intensiv [98] Die Freiheitsentziehung erfordert grundsätzlich eine vorherige richterliche Anordnung. Eine nachträgliche richterliche Entscheidung ist nur dann zulässig, wenn der mit der Freiheitsentziehung verfolgte verfassungsrechtlich zulässige Zweck nicht erreichbar wäre, sofern der Maßnahme die richterliche Entscheidung vorausgehen müsste. Dies wird bei der Anordnung einer 5-Punkt-[…]Fixierung zur Abwehr einer von dem Betroffenen ausgehenden akuten Selbst- oder Fremdgefährdung allerdings regelmäßig der Fall sein. [99] Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG fordert in einem solchen Fall, die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen. Das Tatbestandsmerkmal „unverzüglich“ ist dahin auszulegen, dass die richterliche Entscheidung ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, nachgeholt werden muss. […] Formelle Rechtswidrigkeit führt ausnahmsweise automatisch zur Verfassungswidrigkeit (vgl. Schildheuer, JURA INTENSIV, Grundrechte, Rn 264) Beachte: Art. 104 II-IV GG normiert zusätzliche Anforderungen, verdrängt also Art. 104 I GG nicht. Problem: Muss Fixierung separat vom Richter angeordnet werden? Ja, da besondere Eingriffsintensität Begründung der besonderen Eingriffsintensität Grds. vorherige richterliche Anordnung Ausnahme: Eilfall, der bei Fixierung regelmäßig vorliegt • nachträgliche richterliche Entscheidung gem. Art. 104 II 2 GG Definition „unverzüglich“ i.S.v. Art. 104 II 2 GG Beispiel für gerechtfertigte Verzögerung: Weiter Anfahrtsweg des Richters zur Einrichtung. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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