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RA Digital - 09/2019

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458 Zivilrecht

458 Zivilrecht RA 09/2019 Problem: Haftung des Anschlussinhabers beim Filesharing Einordnung: Deliktsrecht LG Frankfurt am Main, Urteil vom 17.07.2019 2-03 O 237/18 (stark verkürzt) LEITSATZ Zur Haftung des Anschlussinhabers, wenn er einen Dritten als Täter benennt. Der Original-Fall stellt eine Fundgrube für das Assessorexamen dar, weil er einen Verweisungsbeschluss, einen zulässigen Einspruch nach Versäumnisurteil, mehrfache Klageänderungen, einen teilweisen Klageverzicht und jede Menge Probleme des Beweisrechts enthält. Der Fall sei Referendaren ausdrücklich zur Lektüre empfohlen. EINLEITUNG Gerade bei vorpubertierenden und pubertierenden Kindern ist der Wunsch nach elektronischer Unterhaltung nicht selten größer als das Budget durch Taschengeld und Zuwendungen der Großeltern. So mancher erliegt der Versuchung des illegalen Downloads in sogenannten „Tauschbörsen“. Der Nachweis ist allerdings schwierig. SACHVERHALT Die Klägerin (K) ist Produzentin und Vermarkterin von digitalen Entertainment-Produkten. Sie hat das Alleinvertriebsrecht des streitgegenständlichen Computerspiels. Die Beklagte (B) lebte zum Zeitpunkt der behaupteten Rechtsverletzungen mit ihrem Mann und ihrem Sohn in einem Mehrfamilienhaus. Sie ist Inhaberin eines Internetanschlusses, den sie durch ein Passwort sicherte. Der Internetanschluss wurde zur damaligen Zeit von ihr, ihrem Ehemann, ihrem 13-jährigen Sohn, und – im Besuchsfall – von ihrer 17-jährigen Nichte genutzt. Es steht aufgrund der ermittelten IP-Adresse fest, dass vom Anschluss der B ein Download des Computerspiels stattgefunden hat. K ließ B mit anwaltlichem Schreiben vom 06.02.2014 unter Fristsetzung zum 17.02.2014 wegen behaupteter Verletzungshandlungen abmahnen und zur Abgabe einer Unterlassungserklärung sowie zur Zahlung eines Pauschalbetrages von 800,00 EUR zur umfänglichen Erledigung der Angelegenheit auffordern. B gab die begehrte Unterlassungserklärung zunächst nicht ab. Sie antwortete wahrheitsgemäß, dass sich die streitgegenständliche Software nie auf ihrem Rechner befunden habe. Sie fragte ihren Ehemann sowie Sohn, wer das Spiel heruntergeladen haben könnte. Dieser antwortete wahrheitsgemäß, dass es weder er selbst, noch seine Cousine gewesen sei. Es steht fest, dass der Sohn zuvor über die Gefahren des Filesharing aufgeklärt wurde und nie auffällig geworden ist. B benannte gegenüber K ihre Nichte als vermeintliche Täterin, obwohl diese den Vorwurf B gegenüber bestritt. Mit anwaltlichem Schreiben vom 27.09.2017 wurden B erneut und erstmals ihre Nichte abgemahnt - vergeblich. K ist der Meinung, B hafte für die vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren der Abmahnung der B als Anschlussinhaberin gemäß § 97a III UrhG. Eine Deckelung nach § 97a III 2 UrhG finde nicht statt. Für den Lizenzanalogieschadensersatz hafte B als Anschlussinhaberin gemäß § 97 II UrhG. Die Haftung der B ergebe sich ferner aus § 832 BGB. Sie habe sowohl gegenüber ihrer damals minderjährigen Nichte, als auch gegenüber ihrem damals minderjährigen Sohn Aufsichtspflichten verletzt. Weil sich die Täterschaft der Nichte nicht beweisen ließ, verlangt K ferner von B den Ersatz der nutzlos aufgewendeten Rechtsverfolgungskosten im Verhältnis zur Nichte der B. Es ist davon auszugehen, dass der Anschluss der B nach den geltenden Sicherheitsstandards geschützt ist. Zu Recht? Jura Intensiv Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 09/2019 Zivilrecht 459 LÖSUNG A. Anspruch der K gegen B auf Schadensersatz gem. § 97 II UrhG K könnte gegen B einen Anspruch auf Zahlung eines Lizenzanalogieschadens und der sinnlos aufgewendeten Abmahnkosten aus § 97 II UrhG haben. Dann muss B ein nach dem UrhG geschütztes Recht widerrechtlich, vorsätzlich oder fahrlässig verletzt haben. [42] Die Klägerin trägt nach den allgemeinen Grundsätzen als Anspruchstellerin die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs auf Schadensersatz erfüllt sind. Allerdings spricht eine tatsächliche Vermutung für eine Täterschaft des Anschlussinhabers, wenn zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung keine anderen Personen diesen Internetanschluss benutzen konnten. Eine die tatsächliche Vermutung ausschließende Nutzungsmöglichkeit Dritter ist anzunehmen, wenn der Internetanschluss zum Verletzungszeitpunkt nicht hinreichend gesichert war oder bewusst anderen Personen zur Nutzung überlassen wurde. In solchen Fällen trifft den Inhaber des Internetanschlusses jedoch eine sekundäre Darlegungslast. Diese führt weder zu einer Umkehr der Beweislast noch zu einer über die prozessuale Wahrheitspflicht und Erklärungslast (§ 138 Abs. 1 und 2 ZPO) hinausgehenden Verpflichtung des Anschlussinhabers, dem Anspruchsteller alle für seinen Prozesserfolg benötigten Informationen zu verschaffen. Der Anschlussinhaber genügt seiner sekundären Darlegungslast vielmehr dadurch, dass er dazu vorträgt, ob andere Personen und gegebenenfalls welche anderen Personen selbständigen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kommen Im Rahmen des Vortrags zu Umständen, die seine eigene Internetnutzung betreffen, kann der Anschlussinhaber jedoch zu der Angabe verpflichtet sein, ob auf dem von ihm genutzten Computer „Filesharing“-Software vorhanden war. Die pauschale Behauptung der bloß theoretischen Möglichkeit des Zugriffs von im Haushalt lebenden Dritten auf den Internetanschluss genügt hingegen nicht. Entspricht der Anschlussinhaber seiner sekundären Darlegungslast, ist es wieder Sache der Klägerin als Anspruchstellerin, die für eine Haftung des Beklagten als Täter einer Urheberrechtsverletzung sprechenden Umstände darzulegen und nachzuweisen. Jura Intensiv Diesen Anforderungen an die sekundäre Darlegungslast ist B nachgekommen. Sie hat eine konkrete mögliche Alternative zu ihrer Täterschaft durch die Benennung der Nichte als mögliche Täterin aufgezeigt. Ferner steht fest, dass sich das streitgegenständliche Spiel zu keiner Zeit auf ihrem Rechner befunden hat. Schließlich hat sie dargelegt, dass ihre Familienmitglieder keine Computerspiele spielten und sie diese aufgefordert habe, gründliche Nachforschungen zu betreiben, ob eventuell Dritte den Anschluss benutzt haben könnten. Damit oblag es K, die Täterschaft der B darzulegen und nachzuweisen, was dieser nicht gelungen ist. B. Anspruch aus § 832 BGB K könnte gegen B einen Anspruch auf Zahlung eines Lizenzanalogieschadens und der sinnlos aufgewendeten Abmahnkosten aus § 832 BGB haben. Dann muss B zur Führung der Aufsicht über eine Person verpflichtet sein, welche K widerrechtlich einen Schaden zugefügt hat. Es steht fest, dass BGH, GRUR 2013, 511 (Morpheus); BGHZ 200, 76 Rn 14 – (BearShare); BGH, GRUR 2016, 191 (Tauschbörse III); BGH, GRUR 2016, 1280 Rn 32 - Everytime we touch EUGH, NJW 2019, 33 – Bastei Lübbe Weitergehende Nachprüfungen dahingehend, ob die Familienmitglieder hinsichtlich der behaupteten Zugriffszeiten oder wegen der Art der Internetnutzung als Täter der geltend gemachten Rechtsverletzung in Betracht kommen, sind dem Anschlussinhaber hingegen nicht zumutbar. Ferner ist es dem Anschlussinhaber nicht zumutbar, die Internetnutzung seiner Familienmitglieder einer Dokumentation zu unterwerfen, um im gerichtlichen Verfahren seine täterschaftliche Haftung abwenden zu können. Auch kann vom Anschlussinhaber nicht die Untersuchung des Computers seiner Familienmitglieder im Hinblick auf die Existenz von „Filesharing“-Software verlangt werden. Aus demselben Grund ist ein Anspruch aus § 823 I BGB nicht gegeben, der in einer Klausur kurz wegen Verletzung eines sonstigen Rechts anzuprüfen wäre. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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